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  • AutorenbildWalter Gasperi

74. Locarno Film Festival: Zwischen virtueller und realer Welt

Aktualisiert: 11. März 2022


Belle (Mamoru Hosoda) (c) Studio Chizu

Mit Shawn Levys Action-Komödie "Free Guy", die schon diesen Donnerstag in den Kinos startet, und Mamoru Hosodas großartigem Animé "Belle" liefen auf der Piazza Grande zwei Filme, die zwischen der realen Welt und der Welt eines Computerspiels pendeln.


Doppelt kann man den Titel von Shawn Levys "Free Guy" lesen, einerseits als Feststellung der Freiheit des Protagonisten Guy (Ryan Reynolds), andererseits auch als Aufforderung ihn zu befreien. Dem Publikum erscheint dieser Mittdreißiger zunächst als reale Figur, die ein monotones Leben als Bankangestellter führt. Bald wird jedoch klar, dass es sich dabei um einen sogenannten NPC – einen Non Playing Character – eines Computerspiels handelt, die von den Spielentwicklern zwecks Ambiente und Realismus eingebaut werden. Während die realen Spieler mit ihren Avataren frei agieren können, ist das Handeln der NPC durch Programmierung genau festgelegt.


Doch dieser Guy wurde eben etwas anders programmiert, erweist sich als lernfähig, wird sich seiner selbst bewusst, bricht aus dem Regelwerk aus, verliebt sich und möchte auch die Welt des Spiels verlassen. Weil diese Figur dem geldgierigen Besitzer aber ein Dorn im Auge ist, möchte er das Spiel herunterfahren und somit alle Figuren löschen, während die beiden Entwickler des Spiels fieberhaft daran arbeiten, dies zu verhindern und ihren Guy zu retten.


Das Vorbild von Peter Weirs Klassiker "The Truman Show" ist unübersehbar und auch an "Matrix" oder Platons Höhlengleichnis lässt die Frage der Freiheit und der Realität denken, doch an der tiefschichtigen Auslotung solcher philosophischer Fragen ist Shawn Levy nicht interessiert, sondern reißt sie höchstens an. In erster Linie soll hier flotte Unterhaltung mit spektakulären Action-Szenen in der Welt des Spiels geboten werden, bei der freilich mit der Liebesgeschichte auch Romantik nicht zu kurz kommen darf.


Das ist mit sichtlichem Vergnügen leichthändig inszeniert und bietet auch dank eines bestens aufgelegten Ensembles über zwei Stunden kurzweiliges Popcorn-Kino, dessen Wirkung freilich mit Filmende auch schon wieder verpufft.


Ein anderes Kaliber ist da schon der neue Animé des Japaners Mamoru Hosoda ("Mirai"), der in Locarno mit dem erstmals vergebenen Locarno Kids Award ausezeichnet wurde. Auch Hosoda versetzt das Publikum in "Belle" in die Welt eines Computerspiels, doch wesentlich stärker ist hier einerseits die Rückbindung an die Realität, andererseits die Poesie, die dieser Animé durch die detailreiche Gestaltung und Farbenfreude entwickelt.


Einfühlsam vermittelt Hosoda so die Trauer und Unsicherheit, unter der die 17-jährige Suzu seit dem frühen Unfalltod ihrer Mutter leidet. Nicht nur in der Schule ist sie eine Außenseiterin, sondern auch die Kommunikation mit ihrem Vater funktioniert nicht mehr. So minderwertig und isoliert sie sich aber in ihrem Alltag im ländlichen Japan fühlt, so beliebt und erfolgreich ist sie als Sängerin Belle im Computerspiel "U".


Gekonnt spielt Hosoda mit der Geschichte von "Die Schöne und das Biest", wenn Belle im Gegensatz zu allen Mitspieler*innen in der Computerwelt im vermeintlich bösen Drachen auch eine verwundete Seele entdeckt und ihn vor den nur scheinbar guten Ordnungshüter, die in Wahrheit nur alles kontrollieren wollen, schützt. Wie sie dabei ihre wahre Persönlichkeit preisgeben muss und auch in der Realität Selbstbewusstsein entwickelt, so deckt sie auch Kindesmisshandlung auf, die hinter dem Spieler des Drachen steckt.


Schwere Themen packt der japanische Regisseur mit Verlust, Trauer, jugendlicher Verlorenheit und Selbstfindung sowie Kindesmisshandlung in diesen Animé, doch immer bewahrt "Belle" Leichtigkeit, entfaltet einerseits in der Welt des Spiels magische Bildkraft und erzählt in der realen Welt bewegend von Stärkung des Selbstbewusstseins und Engagements für die Schwachen. Haften bleibt hier nicht nur das Bild, wie Suzu allein mit ihrer Präsenz, ihrer erhobenen Hand und ihrem Blick einen zornigen Vater vom Schlagen abhält und besiegt in die Knie gehen lässt.


Weitere Berichte zum 74. Locarno Film Festival:

- Vorschau - Eröffnungsfilm "Beckett"


Teaser zu "Belle"


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