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  • AutorenbildWalter Gasperi

74. Locarno Film Festival: Abel Ferraras düsterer "Zeros and Ones"

Aktualisiert: 14. Aug. 2021


Zeros and Ones (Abel Ferrara)

Abel Ferrara ist zweifellos der bekannteste Name im Wettbewerb um den Goldenen Leoparden. In seinem neuesten Film schickt der 70-jährige New Yorker, der seit 16 Jahren in Rom lebt, Ethan Hawke als US-Soldat durch ein von der Pandemie gezeichnetes, postapokalyptisches Rom.


In seinem letzten Film "Siberia" schickte Abel Ferrara Willem Dafoe als sein Alter Ego auf einer Berghütte auf einen Höllentrip mit peinigenden Erinnerungen und Wahnvorstellungen. Mit "Zeros and Ones" nähert er sich nun von der Grundstruktur wieder mehr seinen frühen Genrefilme, doch noch düsterer als im legendären "Bad Lieutenant" ist nun die Welt.


Erst ganz am Ende wird es in diesem Rom-Film hell und nie hat man wohl bei einem Film, der weitgehend auf den Straßen spielt, so wenig von der Ewigen Stadt gesehen. Schon zum schlichten Vorspann mit weißen Titeln auf schwarzem Grund erzeugt ein düsterer Elektro-Soundtrack beunruhigende Stimmung. Diese setzt sich fort, wenn die Handlung mit der Ankunft eines US-Soldaten (Ethan Hawke) per Zug einsetzt. Die Maske des Protagonisten verweist ebenso auf die Pandemie wie der menschenleere Bahnhof Termini. Weder Autos noch Menschen sieht man auf den nächtlichen Straßen.


Nur schemenhaft kommt einmal das Kolosseum ins Bild, einzig stärker präsente Sehenswürdigkeit ist der Petersdom, auf den ein Anschlag geplant wird. Wenn der Protagonist in dieser postapokalyptischen Welt seinen entführten Bruder sucht, stößt er nicht nur immer wieder auf US-Militär, sondern auch auf russische Oligarchen, Chinesen und Islamisten und gleichzeitig spielt wie meistens bei Ferrara mit religiösen Bildern und Zitaten aus der Bibel der Katholizismus und mit dem Petersdom die Institution Kirche herein.


Bestenfalls fragmentarisch entwickelt Ferrara eine Handlung, will mit den verschiedenen Gruppierungen vor dem Hintergrund der Pandemie dunkle Seiten der Welt kritisieren, bis am Ende doch die Morgendämmerung einsetzt. An die Stelle der scheinbar endlosen Nacht tritt ein blauer Himmel und mit dokumentarischen Aufnahmen von Straßenverkehr, eines Restaurants und einem Kind in rotem Mantel - Ferraras Tochter - wird plötzlich in diesem so lange so düsteren Film daran erinnert, dass das Leben doch weitergeht.


Sehvergnügen bietet "Zeros and Ones", in dem Ferrara auch immer wieder Handyaufnahmen und Videobilder in die Erzählung mischt, mit seinen dunklen und rohen Bildern kaum und die Fragmentierung der Handlung lässt auch kaum echte Spannung aufkommen, doch in der Evokation einer apokalyptischen Stimmung beeindruckt dieser Film doch.


Anleitung zur Lesart des Films bot Ethan Hawke – zumindest bei der Vorführung in Locarno – gleich selbst mit einem angehängten Statement: Er selbst habe das Drehbuch nicht verstanden, doch er habe es gut gefunden. Nach Sichtung des Films sei ihm klar geworden, dass man das Leben täglich auf zwei Arten sehen könne: Einerseits könne man jeden Morgen denken "Ich werde sterben" und alle Übel der Welt von Verbrechen über Korruption bis Umweltzerstörung sehen, andererseits könne man aber auch jeden Morgen denken "Ich wurde geboren" und alles Schöne, das uns umgibt, sehen. – Diese Pole scheint auch "Zeros and Ones" mit der für Ferrara typisch düsteren Haupthandlung und dem für diesen Regisseur überraschend hellen und optimistischen Finale zu verhandeln.

Weitere Berichte zum 74. Locarno Film Festival:

- Vorschau - Eröffnungsfilm "Beckett"

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