Doch etwas überraschend zeichnete die von der US-Amerikanerin Eliza Hittman geleitete fünfköpfige Jury den Actionfilm "Vengeance is Mine, All Others Pay Cash" des Indonesiers Edwin mit dem Goldenen Leoparden auch. Auch der Regiepreis für Abel Ferrara für "Zeros and Ones" war nicht zu erwarten.
2012 zeigte der Indonesier Edwin im Wettbewerb der Berlinale mit "Postcards from the Zoo" einen sehr langsamen und ereignisarmen Film, nun lässt der 43-Jährige mit "Vengeance is Mine, All Others Pay Cash" das Pendel in die entgegengesetzte Richtung ausschlagen. Von Anfang an setzt er auf Tempo, wenn zunächst junge Männer ähnlich wie im James Dean-Klassiker "Rebel Without a Cause" ihre Maskulinität und ihren Mut bei Motorradrennen beweisen, ehe sich ein fulminant choreografierter langer Kampf zwischen dem Protagonisten und einer jungen Frau entwickelt. In ihr findet der Mann nicht nur ein gleichwertiges Gegenüber, sondern es entwickelt sich auch eine Liebe, die aber von kindlichen Traumata beider überschattet und gefährdet wird.
Zweifellos fulminant ist der Auftakt und die Abrechnung mit einer Männlichkeit, die im Kampf Impotenz kompensiert, hat Witz und Biss, allerdings stellte sich bei der ersten Sichtung auch das Gefühl ein, dass Edwin bei dieser Verfilmung eines Romans von Eka Kurniawan den Stoff nicht wirklich in den Griff bekam. Leicht konnte man hier nämlich angesichts der Dichte der Dialoge bzw. Untertitel, der Fülle der Figuren und einer ausufernden, auch immer wieder mit Rückblenden arbeitenden Handlung den Überblick verlieren. – Den Goldenen Leoparden gab es dafür trotzdem.
Während der Spezialpreis der Jury für Qiu Jiongjiongs "Jia Ma Tang Hui – A New Old Play" sowohl aufgrund des originellen künstlerischen Ansatzes als auch aufgrund der kritischen Aufarbeitung von 50 Jahren chinesischer Geschichte des 20. Jahrhunderts nachvollziehbar ist, überrascht die Auszeichnung Abel Ferraras für den düsteren "Zeros and Ones" als bester Regisseur. – Wollte man hier einfach einen Altmeister ehren, obwohl sein roher und sehr fragmentarischer, in Rom spielender Thriller wohl nur wenige überzeugen konnte.
Für den Schweizer Beitrag "Soul of a Beast" gab es nicht nur eine Besondere Erwähnung sondern auch den Preis der Ökumenischen Jury, während der Verband der Filmkritiker FIPRESCI doch etwas überraschend Bertrand Mandicos zwar fantasievollen, aber auch viel zu langen "After Blue - Paradise sale" auszeichnete.
Verdientermaßen wurde dagegen die Russin Anastasiya Krasovskaya für ihre Leistung im Sozialdrama "Gerda" als beste Darstellerin ausgezeichnet. Auch der Preis für den besten Darsteller an Mohamed Mellali und Valero Escolar für ihre Verkörperung eines ungleichen Handwerkerduos in "Sis dies corrents", dem auch die Jury von Europa Cinema Label auszeichnete, geht in Ordnung, auch wenn es hier beispielsweise mit Franz Rogowski als Darsteller in Peter Brunners "Luzifer" durchaus Alternativen gegeben hätte.
Eine glückliche Hand bewies die Jury auch bei der Vergabe der Darstellerpreise im Parallelwettbewerb "Cineasti del presente" mit der Wahl von Saskia Rosendahl für ihre Leistung in Sabrina Sarabis "Niemand ist bei den Kälbern" und von Gia Agumava, der in "Wet Sand" der Georgierin Elene Naveriani einen homosexuellen Restaurantbesitzer spielt, der seine Liebe über Jahrzehnte nur im Geheimen leben konnte.
Beim Programm der Piazza Grande gewann schließlich Stefan Rutzowitzkys "Hinterland" den vom Publicum vergebenen Prix du Public, während die französische Tragikomödie "Rose", in dem Aurélie Sadaa von einer etwa 80-Jährigen erzählt, die nach dem Tod ihres Mannes aus der Lethargie erwacht und neue Lebensfreude entwickelt, mit dem Variety Piazza Grande Award ausgezeichnet wurde.
Weitere Berichte zum 74. Locarno Film Festival:
- "Al Naher - The River" und "Nebesa - Heavens Above" (Wettbewerb) - Stefan Ruzowitzkys "Hinterland" - "Petite Solange" und "Soul of a Beast" (Wettbewerb)
- Sis corrents dies", "Gerda", "After Blue - Paradis sale" (Wettbewerb) - "Monte Verità", "La place d´une autre", "Niemand ist bei den Kälbern"
- Shawn Levys "Free Guy" und Mamoru Hosodas "Belle" - Peter Brunners "Luzifer" und Alexander Zeldovichs "Medea"
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