top of page

78. Locarno Film Festival: Trashiger "Dracula", starkes Familienporträt

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 2 Stunden
  • 2 Min. Lesezeit
Radu Judes "Dracula" und Rosanne Pels "Donkey Days" im Wettbewerb des 78. Locarno Film Festivals
Radu Judes "Dracula" und Rosanne Pels "Donkey Days" im Wettbewerb des 78. Locarno Film Festivals

Radu Jude packt in seinen 170-minütigen "Dracula" alles hinein, was ihm gerade einfällt, die Niederländerin Rosanne Pel zeichnet in "Donkey Days" dagegen ein dichtes Bild ambivalenter familiärer Bindungen.


Mit "Dracula" hat sich der Rumäne Radu Jude eines prototypischen Mythos seines Heimatlandes angenommen. Keine weitere Verfilmung legt Jude aber vor, sondern stellt vielmehr als Alter Ego einen Regisseur ins Zentrum, der in seinem Büro am Computer sitzend überlegt, wie er mittels künstlicher Intelligenz der alten Vampir-Geschichte neues Leben einhauchen könnte.


Nur dieser Regisseur, der wie ein Puppenspieler in rund 15 Kapiteln und 170 Minuten stets neue Geschichten aneinanderreiht, und eine Dracula-Show in einem Restaurant, aus der bald eine Verfolgung des Dracula-Darstellers und seiner Geliebten durch die mit Pfählen bewaffneten Zuschauer:innen wird, ziehen sich durch den ganzen Film.


Unterbrochen wird diese Verfolgung aber immer wieder durch andere Geschichte. Da bietet der im Büro sitzende Regisseur in fiktiven Clips bald Einblick in die Verwendung von Murnaus "Nosferatu" zur Bewerbung von Potenzmitteln ebenso wie eines Reisebüros, erzählt eine tragisch endende Liebesgeschichte aus dem ländlichen Rumänien der 1960er Jahre, lässt einen Dracula Arbeiter an Computerarbeitsplätzen ausbeuten, erzählt in billigen Fernsehkulissen eine klassische Dracula-Geschichte mit Wirtshaus und Schloss und arbeitet auch eine Episode aus der Bibel provokativ um.


Unbestritten ist der Einfallsreichtum von Jude, der Szenen auch immer wieder mit Künstlicher Intelligenz und Computerspielen verfremdet, mit Trash spielt und mit vulgären Szenen provozieren will, gleichzeitig aber auch Verweise auf Wittgenstein, Heidegger und Schopenhauer ebenso einflechtet wie Kritik an der Folter in verschiedenen Ländern oder Kommentare zur rumänischen Geschichte.


Übervoll ist "Dracula" so, doch verliert sich der Film auch in einer ermüdenden und die Zuschauer:innen förmlich erschlagenden Nummernrevue. Jude scheint alles, was ihm gerade eingefallen ist, in diesen Film hineingepackt zu haben und nimmt in Kauf, dass somit jede schlüssige Linie und Dramaturgie fehlt: Ein wilder Mix, aus dem nun jeder das herauspicken kann, was ihm gefällt, ist so entstanden, aber kein überzeugender Film, sondern vielmehr Trash, mit dem Jude auch auszutesten scheint, wie weit Festivals bereit sind, ihm aufgrund seines Renommees zu folgen und seine Filme auszuwählen.


Ungleich runder ist Rosanne Pels zweiter Spielfilm "Donkey Days". Filme, die familiäre Beziehungen durchleuchten, gibt es zwar schon zahlreiche, dennoch überzeugt, wie die Niederländerin von einem ambivalenten Dreieck zwischen einer Mutter und ihren beiden erwachsenen Töchtern erzählt.


In knappen Szenen stehen in dem elliptisch erzählten Film immer wieder dominantem Auftreten und Gemeinheiten Vertrautheit und Nähe gegenüber. Bald kümmert man sich fürsorglich um die andere, dann fliegen wieder die Fetzen, weil man sich übergangen fühlt. Auch Eifersucht im Kampf um die Anerkennung der Mutter tritt zutage, sichtbar wird aber auch, wie das Streben nach Unabhängigkeit durch die familiären Bande behindert werden kann.


Getragen wird dieses Familienbild von den drei Hauptdarstellerinnen Susanne Wolff, Jil Krammer und Hildegard Schmahl. Sie spielen mit Leidenschaft und intensiv vermittelt die nah geführte Kamera von Aafke Beernink ihre unterschiedlichen Gefühlsregungen. Gleichzeitig sorgt aber die musikalische Untermalung mit dem Schlager "Mein Freund, der Baum" oder auch mit klassischer Musik ebenso wie witzige Details und Irritationen durch Verwischung der Zeitebenen oder eine blinzelnde Frau auf einem Gemälde für ironische Brechungen, die den teils heftigen Auseinandersetzungen die Schwere nehmen und "Donkey Days" eine leichte und lebensbejahende Note verleihen.

bottom of page