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78. Locarno Film Festival: Bewegende Kindergeschichten

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 22 Stunden
  • 3 Min. Lesezeit
Aus der Perspektive von Kinden: "Hirkalla - Gilgamesch´s Dream" und "Gioia mia - Sweetheart"
Aus der Perspektive von Kinden: "Hirkalla - Gilgamesch´s Dream" und "Gioia mia - Sweetheart"

Auf der Piazza Grande bietet Mohamed Jabarah Al-Daradji im Spielfilm "Hirkalla – Gilgamesch´s Dream" bewegend Einblick in die Situation von Straßenkindern im von Demonstrationen und Anschlägen erschütterten Bagdad. Für leichtere Kost sorgt in der Sektion "Cineasti del Presente" Margherita Spampinato mit ihrem Debüt "Gioia Mia – Sweetheart". Die Italienerin erzählt darin ebenso feinfühlig wie witzig von der langsamen Annäherung eines neunjährigen Jungen und seiner Großtante.


An Roberto Rossellinis "Germania, anno zero" (1948), in dem der italienische Neorealist erschütternd vom Schicksal eines Zwölfjährigen im zerbombten Nachkriegs-Berlin erzählt, erinnert Mohamed Jabarah Al-Daradjis "Hirkalla – Gilgamesch´s Dream". Mit authentischen Straßenszenen evoziert der 47-jährige Iraker, der 1995 in die Niederlande floh, dicht die Atmosphäre in dem vom Krieg zerstörten Bagdad, in dem terroristische Anschläge immer wieder für Gefahr bei den alltäglichen Demonstrationen sorgen.


Eingebettet in diesen Hintergrund erzählt Al-Daradji vom neunjährigen, an Diabetes leidenden Chum-Chum. Seine Eltern hat er im Krieg verloren, doch träumt er, befeuert durch eine Comic-Serie über das "Gilgamesch"-Epos, sie aus dem Jenseits zurückzuholen. Doch groß ist die Diskrepanz zwischen dem Mythos und dem Alltag des auf den Straßen der Stadt lebenden und vom Sammeln und Verkauf von Altmetall lebenden Jungen.


Einen Freund hat er im etwas älteren Moody, der aber, um Geld für die Flucht nach Europa zu verdienen, bald Handlangerdienste für die Terroristen übernimmt, während Chum-Chums etwas ältere Schwester in die Nachtclubszene verkauft wird. Nur wenig Hoffnung verbreitet hier eine Lehrerin, die selbst ihre Familie verloren hat, aber mit einem klapprigen Bus Kinder einsammelt und im Bus unterrichtet.


Ganz auf Kinderhöhe bleibt der Film, schildert ohne große Dramatisierung nüchtern, aber eindringlich und bewegend die bedrückenden Lebensverhältnisse der Kinder, vermittelt die ständigen Gefahren ebenso wie die Träume von Flucht und einem besseren Leben.


Leichtere Kost bietet die Italienerin Margherita Spampinato mit ihrem Debüt Gioia Mia – Sweetheart", das in der Sektion "Cineasti del Presente," gezeigt wird. Ausgesprochen vorhersehbar und überraschungsarm ist zwar die Geschichte um einen neunjährigen Jungen, der aus Norditalien für einen Monat nach Sizilien zu seiner Großtante geschickt wird, weil sein Kindermädchen heiratet und seine Eltern arbeiten müssen.


So schulbuchmäßig nämlich Gegensätze aufeinandertreffen, wenn der Junge immer am Handy hängt, er mit der Religiosität der alten Frau nichts anfangen kann, er ihre sizilianische Küche ablehnt und sie seine schlechten Manieren kritisiert, so gewiss ist auch, dass sich die beiden gegensätzlichen Figuren sukzessive näherkommen werden.


Vorwerfen kann man diese Vorhersehbarkeit "Gioia Mia – Sweetheart" ebenso wie die Konsequenz, mit der die Konfliktpunkte und die Annäherung durchdekliniert werden, und doch nimmt dieses Debüt dank des warmherzigen Blicks auf die Figuren und seine wunderbaren Darsteller:innen für sich ein. Dazu tragen auch Nebenfiguren bei, wie die alten Freundinnen der Großtante, die Erinnerungen an die Filme Gianni Di Gregorios wie "Pranzo di Ferragosto" wecken, oder die Freunde, die der Junge in der Fremde findet, sowie das alte Haus mit Innenhof und spukender Wohnung oder der herzkranke Mops Fred.


Alles andere als innovatives Kino, wie man es eigentlich in der Sektion "Cineasti del Presente" erwartet, ist das freilich, aber wenn man die am Reißbrett entworfene Geschichte akzeptiert, unterhält man sich dank der liebevollen Erzählweise und der sicheren Balance von Witz und Drama, bei dem auch ein bedrückendes Geheimnis gelüftet wird, dennoch bestens: Ein Film, der sich auch im regulären Kinoprogramm zu einem Crowd-Pleaser entwickeln könnte.

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