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78. Locarno Film Festival: Licht und Schatten auf der Piazza Grande

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 9. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 16. Aug.

Piazza-Filme beim Locarno Film Festival: "Sentimental Value" von Joachim Trier und "The Dead of Winter" von Brian Kirk
Piazza-Filme beim Locarno Film Festival: "Sentimental Value" von Joachim Trier und "The Dead of Winter" von Brian Kirk

Die abendlichen Open-Air-Vorführungen auf der über 7000 Zuschauer:innen fassenden Piazza Grande sind ein Kernstück des Locarno Film Festivals. Wie schwierig hier aber die Programmierung ist, zeigt auch die heurige Auswahl, bei der die Weltpremiere von Brian Kirks enttäuschendem Krimi "The Dead of Winter" Joachim Triers starkem Cannes-Preisträger "Sentimental Value" gegenübersteht.


Schon beim Eröffnungsfilm "Le pays d´Arto" zeigte sich, dass Locarno bei Weltpremieren meist auf nicht gerade herausragende Filme zurückgreifen muss. Das Bild setzte sich mit Brian Kirks "The Dead of Winter" fort, der anlässlich der Verleihung des Leopard Club Awards an die zweifache Oscar-Preisträgerin Emma Thompson, die auch als Executive-Producer dieses Krimis fungierte, gezeigt wurde.


Atmosphärisch dicht ist der Beginn, wenn eine ältere Frau (Emma Thompson) im winterlich verschneiten Minnesota mit ihrem Wagen zum Eisfischen aufbricht. Eindringlich beschwören Flugaufnahmen von Kameramann Christopher Ross nicht nur die Kälte, sondern mehr noch die Abgeschiedenheit der Region. Wieso freilich die Musik von Volker Bertelsmann schon bei der gewöhnlichen Autofahrt aufdreht, um Thrillerspannung aufzubauen, bleibt rätselhaft.


Die Krimihandlung setzt ein, als die Fischerin beobachtet, wie eine junge Frau von einem älteren Mann verfolgt, gefasst und zu seinem Haus gebracht wird. Aufgrund fehlenden Handy-Empfangs sieht sich die Protagonistin gezwungen, der im Keller gefangen gehaltenen Frau selbst zu helfen. Gefährliche Gegnerin hat sie dabei aber weniger im Mann, der als willfähriger Handlanger gezeichnet wird, als vielmehr in dessen skrupelloser und beinharter Frau.


Originell ist noch die Rollenverschiebung zwischen Mann und Frau, doch durch wiederholte kurze Erinnerungen der Protagonistin an ihre Beziehung zu ihrem verstorbenen Mann wird nicht nur der konsequente Spannungsaufbau immer wieder gestört, sondern auch die Rührseligkeit dieser Rückblenden passt nicht zum Thriller-Genre.


Dazu kommt, dass die Handlung zunehmend eine wenig glaubwürdige, ja absurde Entwicklung nimmt, die nur durch schwarzen Humor, der aber zu spärlich gesetzt wird, abgefedert werden könnte. So können aber weder die atmosphärische Dichte noch Thompsons Spiel diesen Thriller retten.


Wie schon in den letzten Jahren müssen so auch heuer schon in Cannes präsentierte und ausgezeichnete Filme auf der Piazza für die Highlights sorgen. In den ersten Festivaltagen war dies Joachim Triers in Cannes mit dem Grand Prix ausgezeichnetes Familiendrama "Sentimental Value", das in Locarno am attraktiven Samstagabend gezeigt wurde.


Schon wie der Norweger nach einem Schwenk über Oslo zu einem alten Stadthaus über eine Off-Erzählerin und einen Schulaufsatz der Theaterschauspielerin Nora (Renate Reinsve) mit einer Montagesequenz die Geschichte der Familie, die in diesem Haus lebte und lebt, zusammenfasst, begeistert. Lose erzählt Trier in der Folge von der alleinstehenden Nora, ihrer verheirateten Schwester und ihrem als Filmregisseur arbeitenden Vater (Stellan Skarsgard), der ein Drehbuch geschrieben hat, in dem er die Hauptrolle auf Nora zugeschnitten hat.


Mit Schwarzblenden trennt Trier immer wieder Szenen, springt so von Nora zu ihrer Schwester Agnes und dann auch wieder zum Vater. Weil Noras Verhältnis zu ihrem Vater sehr angespannt ist, lehnt sie die Filmrolle ab, doch auch der US-Schauspielerin (Elle Fanning), die der Vater als Ersatz gewinnen kann, kommen bald Zweifel, ob sie denn die richtige Besetzung ist.


Unterstützt von einem großartigen Ensemble entwickelt Trier ein bewegendes Familiendrama, das auch leichthändig Theater- und Film-im-Filmszenen in die Realität übergehen lässt, wirft mit den unterschiedlichen Lebenskonzepten von Nora und ihrer Schwester Agnes Fragen nach dem Vorrang von Beruf oder Familie auf und arbeitet intensiv heraus, wie die Familienmitglieder trotz aller Differenzen und Entfremdung letztlich immer miteinander verbunden bleiben.


Großartig bringt dies vor allem eine Szene zum Ausdruck, in der das Gesicht des Vaters in Überblendungen mehrfach in die Gesichter seiner beiden Töchter übergeht und umgekehrt: Großes Kino für ein breites Publikum, wie man es sich öfter auf der Piazza Grande wünschen würde.



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