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78. Locarno Film Festival: Piazza, Wettbewerb, Ehrenpreise und Filmgeschichte – Eine Vorschau

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 2 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
78. Locarno Film Festival: Große Plattform für zahlreiche Newcomer
78. Locarno Film Festival: Große Plattform für zahlreiche Newcomer

Ausnahmslos Weltpremieren bieten die 17 Filme, die heuer um den Goldenen Leoparden konkurrieren, dünn gesät sind dabei aber die großen Namen. Auch auf der Piazza Grande geben abgesehen von drei Cannes-Filmen großteils Newcomer den Ton an. Zahlreiche Klassiker bietet dagegen die Retrospektive, die heuer dem britischen Nachkriegskino von 1945 bis 1960 gewidmet ist.


Eröffnet wird das 78. Locarno Film Festival mit dem Spielfilm "Le pays d´Arto", in dem die Armenierin Tamara Stepanyan von einer Französin erzählt, die nach dem Tod ihres armenischen Mannes in dessen Heimat aufbricht, um dessen Vergangenheit nachzuspüren.


Stepanyan ist aber bei weitem nicht die einzige Regisseurin, die ihren Film im prächtigen Ambiente der rund 8000 Zuschauer:innen fassenden Piazza Grande als Weltpremiere präsentieren darf. Auch Miguel Ángel Jiménez, der mit "The Birthday Party" eingeladen wurde, Brian Kirk, der "The Dead of Winter" präsentieren wird, Eric Lin, der nach seiner Arbeit als Kameraarbeit und mehreren Kurzfilmen mit "Rosemead" seinen ersten langen Spielfilm gedreht hat, sowie der Iraker Jabarah Al-Daradji, dessen "Irkala – Gilgamesh´s Dream" nach dem Sturz Saddam Husseins spielt, gehören zu den Newcomern.


Der durch politische Dokumentarfilme wie "Mais im Bundeshuus" (2003) oder "Cleveland versus Wall Street" (2010) bekannte Westschweizer Jean-Stéphane Bron darf in diesem Rahmen die ersten zwei Folgen seiner Serie "The Deal" vorstellen, doch die richtig großen Namen hat Locarno von anderen Festivals übernommen.


So wird Jafar Panahis Cannes-Sieger "It Was Just an Accident" wohl ebenso für ein Highlight sorgen wie Joachim Triers ebenfalls schon in Cannes uraufgeführtes und preisgekröntes Familiendrama "Sentimental Value". Auch Hafsia Herzis "La petite dernière", in dessen Mittelpunkt eine in einem Pariser Banlieue aufwachsende Jugendliche steht, lief schon im Wettbewerb von Cannes, während Bill Condons Musical-Version von "Kiss of the Spider Woman" beim Sundance Festival uraufgeführt wurde.


Gespannt sein darf man hier auch auf den hochgelobten Horrorfilm "Together", der als zweiter Abendfilm gegen Mitternacht gezeigt werden wird. Zu dieser späten Stunde gibt es auch noch Stanley Kubricks "Shining" zu sehen, der anlässlich der Verleihung des Vision Awards an die Kostümbildnerin Milena Canonero gezeigt wird, sowie der Polizeithriller "Project A", der passend zur Auszeichnung Jackie Chans mit dem Pardo alla Carriera programmiert wurde.


Mit dem Ehrenleoparden wird in Locarno dagegen der US-Regisseur Alexander Payne geehrt, in dessen Werk man sich mit "Nebraska" (2013) und "The Descendants" (2011) einen Einblick verschaffen kann. Dazu kommt der Raimondo Rezzonico Award für das in Beirut beheimatete libanesische Produzentenduo von About Productions. Bieten in dessen Wirken Mounia Akls "Costa Brava, Lebanon" (2021) und Joana Hadjithomas und Khalil Joreiges "Memory Box" (2021) Einblick, so kann man anlässlich der Verleihung des Leopard Club Award an Emma Thompson die britische Schauspielerin wieder einmal in Ang Lees "Sense and Sensibility" (1995) bewundern.


Hart um die Leoparden gekämpft wird dagegen im Wettbewerb, in den 17 Filme als Weltpremieren eingeladen wurden. Die bekanntesten Namen sind hier sicher der Rumäne Radu Jude, der seinen schon mit Spannung erwarteten "Dracula Park" präsentiert, und der Franzose Abdellatif Kechiche. Dass Kechiche, der 2013 mit "Blau ist eine warme Farbe" in Cannes die Goldene Palme gewann, nach dem von der Kritik mehrheitlich zerrissenen "Mektoub, My Love: Canto Uno" die Fortsetzung "Mektoub, My Love: Canto Due" nun in Locarno und nicht in Cannes oder Venedig präsentiert, ist freilich nicht unbedingt ein gutes Zeichen.


Gespannt sein darf man aber auch auf "Dry Leafs" des Georgiers Alexander Koberidze, der zuletzt mit "Was sehen wir, wenn wir zum Himmel schauen?" begeisterte, und auf "White Snail", mit dem die österreichischen Dokumentarfilmer Elsa Kremser und Levin Peter ihren ersten Spielfilm vorlegen.


Eigenwilliges Kino darf man auch von Julian Radlmaiers "Sehnsucht in Sangerhausen" erwarten und Ben Rivers, der nach "Bogancloch" im letzten Jahr, heuer schon wieder mit "Mare´s Nest" eingeladen würde, könnte mit einem Grenzgang zwischen Film und Bildender Kunst den Wettbewerb aufmischen.


Wie auf der Piazza Grande ist auch im Wettbewerb das Gastgeberland Schweiz nur mit einem Film – mit "Le Lac" von Fabrice Aragno - vertreten. Noch auffallender ist aber die völlige Abwesenheit nicht nur der USA, sondern auch Lateinamerikas in dieser Sektion.


Überhaupt finden sich im Wettbewerb mit "Two Seasons, Two Strangers" des Japaners Sho Miyake, "Tales of the Wounded Land" des Libanesen Abbas Fahdel und "With Hasan in Gaza" des Palästinensers Kamal Ajjafari nur drei Produktionen, die nicht aus Europa kommen.


Diese Europazentrierung kennzeichnet auch den Parallelwettbewerb "Cineasti del presente", in dem sich unter den 15 Filmen aber immerhin zwei kanadische, eine südkoreanische und zwei argentinische Produktionen finden. Der bekannteste Name dürfte hier die Schweizerin Jacqueline Zünd sein, die mit "Don´t Let the Sun" eingeladen wurde.


Während man in der Sektion "Pardi di domani", in der kurze und mittellange Filme von Nachwuchsregisseur:innen gezeigt werden, Entdeckungen machen kann, kann man in den "Histoire(s) du Cinema" und in der Retrospektive in die Filmgeschichte eintauchen.


Mit dem Fokus auf dem britischen Nachkriegskino von 1945 bis 1960 kann man hier nicht nur klassische Ealing Komödien wie "Passport to Pimlico" (1949) und Whisky Galore!" (1949), Carol Reed dichten Thriller "Odd Man Out" oder Michael Powells bei seiner Uraufführung von den Kritikern vernichteten Pschothrilller "Peeping Tom" (1959) erstmals oder erneut genießen, sondern auch wenig bekannte Filme wie Joseph Loseys "Time Without Pity" (1957), David Leans "The Passionate Friends" (1949) oder "I Know Where I´M Going" von Michael Powell und Emeric Pressburger (1945) entdecken.


Dazu kommt neben speziellen Filmvorführungen für Kinder im Rahmen der Sektion Locarno Kids Screenings die vom Schweizerischen Verband der Filmjournalistinnen und Filmjournalisten (SVFJ) organisierte Semaine de la critique, in deren Rahmen alljährlich sieben außergewöhnliche Dokumentarfilme gezeigt werden. Aus der Schweiz wurde dafür heuer "Flying Scents – Of Plants and People" von Antshi von Moos eingeladen, während Österreich mit "Grünes Licht" von Pavel Cuzuioc  und Deutschland mit "The Cowboy" von André Hörmann vertreten ist.


Einen Überblick über das aktuelle Schweizer Filmschaffen kann man sich schließlich im Panorama Suisse verschaffen, in dem schon in den (Schweizer) Kinos gelaufene Produktionen wie Piet Baumgartners "Bagger Drama", Marie Brendles "Friedas Fall", Petra Volpes "Heldin" oder Jasmin Gordons "Les courageux" ebenso nochmals gezeigt werden wie bei Solothurner Filmtagen uraufgeführte Filme wie Zijad Ibrahimovics Dokumentarfilm "Il ragazzo della Drina" oder Eleanora Camizzis "Bilder im Kopf".



Weitere Informationen zum 78. Locarno Film Festival finden Sie hier.

 

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