Filmbuch: DER WEISSE HAI revisited – Steven Spielbergs JAWS und die Geburt des amerikanischen Albtraums
- Walter Gasperi
- vor 7 Tagen
- 4 Min. Lesezeit

Steven Spielberg landete 1975 mit "Jaws" ("Der weiße Hai") nicht nur einen Welterfolg, sondern läutete damit auch die Ära des Blockbuster-Kinos ein. Anlässlich des 50. Geburtstags dieses Klassikers wurde im Bertz+Fischer Verlag ein 2015 erstmals erschienener Sammelband neu aufgelegt, der auf 280 Seiten in 22 Essays aus unterschiedlichsten Blickwinkeln Spielbergs dritten Spielfilm analysiert.
Als ein Wendepunkt in der Geschichte Hollywoods gilt der 20. Juni 1975. An diesem Tag lief in 409 US-Kinos "Jaws" ("Der weiße Hai") an und läutete einerseits das Ende des gesellschaftskritischen New Hollywood und andererseits mit seinem weltweiten Kassenerfolg die Zeit des Blockbuster-Kinos ein.
Ein gewisser Etikettenschwindel verbirgt sich dahinter, wenn der Bertz + Fischer Verlag den 2015 erstmals erschienenen Sammelband nun als "erweiterte Neuauflage" ankündigt. Neu ist nämlich nur das sechsseitige Nachwort von Herausgeber Wieland Schwanebeck, die anderen Beiträge blieben unverändert. Dass diese freilich immer noch sehr lesenswert sind, spricht für ihre hohe Qualität und Zeitlosigkeit.
In sieben Kapiteln und 22 Essays wird "Jaws" auf 280 Seiten, die mit Bildern hervorragender Qualität aufgelockert werden, umfassend analysiert. Im Abschnitt "Die Filmmaschinerie" skizziert so Wieland Schwanebeck die popkulturelle Beeinflussung durch "Jaws" ebenso wie die vielfältigen Deutungsmöglichkeiten und arbeitet auch Unterschiede zwischen Peter Benchleys Roman und Spielbergs Film heraus.
Felix Lempp bietet dagegen in seinem Beitrag über drei Making of-Dokumentationen nicht nur Einblick in die schwierige Entstehungsgeschichte des Films, sondern zeigt auch auf, wie sich Intentionen und Schwerpunktsetzungen bei diesen Making-of´s mit zeitlicher Distanz änderten und sich der Fokus von der Nachzeichnung der Entstehung des Films auf dessen Wirkungsgeschichte verschob. Michael Hiemke wiederum zeichnet ein Schulprojekt nach, bei dem er Schülerinnen ohne Kenntnis des Films Musik zu einer zentralen Filmszene komponieren ließ, und vergleicht die Ergebnisse mit der Originalmusik von John Williams.
"(Film-)geschichtliche Kontexte" stehen im Mittelpunkt des zweiten Kapitels. Ian Freer schildert hier spannend die wahre Geschichte des Untergangs der U.S.S. Indianapolis, von dem im Film der Haijäger Quint erzählt. Wieland Schwanebeck spürt dagegen dem Einfluss Alfred Hitchcocks und den Parallelen zwischen dem "Master of Suspense" und Spielberg nach, die beide zu den bekanntesten Filmemachern ihrer Zeit gehör(t)en und vielfach auf reine Unterhalter reduziert wurden und werden.
Heiko Nemitz arbeitet aufregend den Übergang zwischen gesellschaftskritischem New Hollywood und Blockbuster-Kino heraus, dessen Schnittstelle "Jaws" markiert. Plastisch stellt er anhand eines Vergleichs mit Robert Altmans "Nashville", der nur zwei Wochen vor Spielbergs Film in die Kinos kam, der resignativ-pessimistischen Grundtendenz der Filme des New Hollywood den Optimismus gegenüber, den "Jaws" durch die Besiegung des Hais verbreitet.
Im Kapitel "Gattungsfragen" blickt Marcus Stiglegger auf das Subgenre des Tier-Horrors, während Michael Flintrop "Jaws" als Tier-Horror beschreibt, der mit der narrativen Struktur des Katastrophenfilms arbeitet, sich aber von den anderen Katastrophenfilmen der 1970er Jahre durch den jungen Regisseur und den Einsatz unverbrauchter Schauspieler:innen statt eines Starensembles unterscheidet.
Diese Ansätze mit Tierhorror und Katastrophenfilm verbindet Sofia Glasl in ihrem Beitrag und zeigt auf, wie Spielberg mit seinem synkretistischen Stil zudem mit dem Abenteuerfilm und dem Buddie-Movie arbeitet. Die Autorin sieht in "Jaws" dabei mit dem Aufbruch des Trios zur Haijagd eine klassische Heldenreise nach dem Muster von Joseph Campbell. Dabei arbeite Spielberg mit der Ahnung von Bedrohung mit Terror ebenso mit dem Horror der konkreten Bedrohung und in der zweiten Hälfte durch das Vorwissen der Zuschauer:innen auch mit Suspense.
Im Abschnitt "Räumliche Aspekte" analysiert Stefan Jung Spielbergs Arbeit mit dem vorstädtischen und dem außerstädtischen Raum in "Duel" ebenso wie in "Jaws", dessen Handlung sich bekanntlich von der Kleinstadt aufs offene Meer bewegt. Willem Strank arbeitet dagegen heraus, wie der Hai vom zunächst auf die Rückenflosse reduzierten Zeichenhaften sukzessive präsenter wird, während Eckhard Pabst die Arbeit mit Grenzen und die Grenzüberschreitungen, von denen Horrorfilme immer erzählen, analysiert.
Im Kapitel "Tiefenblicke" analysiert Elisabeth Bronfen "Jaws" psychoanalytisch. Die Autorin untersucht das Spiel mit Schrecken, der im Zustand der Gefahr entsteht, Angst, die durch einen Zustand der Erwartung einer nicht genau definierbaren Gefahr gekennzeichnet ist, und Furcht, bei der man sich vor einem bestimmten Objekt fürchtet, um dann mit Sigmund Freud auf das Spannungsfeld von Lebenstrieb und Todestrieb in "Jaws" zu blicken. Bronfen stellt dabei den Film auch in den Kontext amerikanischer Traumata und zeigt auf, wie der Polizist Brody gerade durch die Tötung des Feindes als Einzelkämpfer ganz im Stil von klassischen Westernfiguren mit dem Meer als Prärieersatz zum Helden wird.
Jan D. Kucharzewski widmet sich dagegen den drei unterschiedlichen Männertypen, die die drei Protagonisten Brody, Quint und Hooper verkörpern, und ihren Männlichkeitsritualen, während Dorothe Malli Parallelen zwischen "Jaws" und dem biblischen Leviathan und Hiob herausarbeitet.
Im Kapitel "Das Tier und wir" legt Tabea Weber dar, wie der Hai in "Jaws" als das absolut Andere gezeichnet wird, das vernichtet werden muss, und wie der Film das Bild vom (weißen) Hai geprägt hat. Konstanze Hiemke widmet sich dagegen dem Haigebiss mit seinen stets nachwachsenden, messerscharfen Zähnen und Lars Koch analysiert ausführlich die Bedrohung durch den Hai als eine Projektionsfläche gesellschaftlicher Ängste der USA der 1970er Jahre.
Nicht fehlen darf ein Kapitel über die "Nachwirkungen von 'Jaws'". Hier folgt auf Kathleen Loocks Blick auf Sequels im Allgemeinen und die drei Fortsetzungen von "Jaws" im Speziellen ein Beitrag des Meeresbiologen Christian Wild über das Bild des Hais im Film und die Realität. Csaba Lázár widmet sich schließlich den Variationen des "Hai-Horrors" von Joe Dantes "Piranha" (1978) über Renny Harlins "Deep Blue Sea" (1999) bis zur minimalistischen Überlebensgeschichte "Open Water" (2003) und den trashigen Billigproduktionen "Sharknado" (2013) und "Sharknado 2" (2014). - Gerade bei diesem Kapitel wäre freilich eine Überarbeitung und Fortführung der Darstellung bis ins Jahr 2025 wünschenswert gewesen
Herausgeber Wieland Schwanebeck blickt in seinem Nachwort zur Neuauflage auf die Veränderung des Kinos seit der Premiere von "Jaws", zeigt aber auch die Zeitlosigkeit dieses Films und dessen Fortleben in einem Lego-Set zum Schiff Orca ebenso wie in einem "Jaws"-Brettspiel.
Abgerundet wird der trotz seiner Fundiertheit großteils leicht lesbare und spannende Sammelband durch eine ausführliche Bibliographie, die allerdings nur vor 2015 erschienene Literatur erfasst, ein Register sowie ausführlichen Credits zu "Jaws".
Schwanebeck, Wieland (Hg.), Der weiße Hai revisited. Steven Spielbergs JAWS und die Geburt eines amerikanischen Albtraums, Deep Focus 22, 2. erw. Aufl., Bertz + Fischer, Berlin 2025, 280 S., € 28, ISBN 978-3-86505-339-8
Comments