top of page

Viennale 2025: Großes Gefühlskino und elliptisches Mexiko-Bild

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 13 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit
63. Viennale: "The History of Sound" von Oliver Hermanus und "Copper" von Nicolas Péredas
63. Viennale: "The History of Sound" von Oliver Hermanus und "Copper" von Nicolás Peredas

Der Bogen des Angebots der Viennale spannt sich von Oliver Hermanus´ klassisch erzähltem, aber zutiefst bewegendem Drama "The History of Sound", in dem der Südafrikaner von der Liebe zweier Musikstudenten gegen Ende des Ersten Weltkriegs erzählt, bis zu Nicolás Peredas im mexikanischen Alltag verankertem, stark elliptischem "Copper".


Wie schwer Nicolás Peredas "Copper" einzuordnen ist, zeigt sich schon daran, dass das Filmfest Hamburg in seiner Beschreibung von einem Politthriller spricht, die englische Ausgabe der Wikipedia dagegen von Docufiction. Für letzteres spricht, dass die Figuren die Namen ihrer Darsteller:innen tragen, für ersteres, dass es doch eine fiktionale Handlung gibt.


Andererseits spielt sich die Haupthandlung aber weitgehend zwischen den Bildern ab, denn Pereda reiht vor allem lange statische und zumeist sehr nahe Einstellungen aneinander. So berichtet die Hauptfigur Lázaro, dass er auf seinem Weg zur Arbeit in der Mine am Straßenrand einen Toten entdeckt und danach wieder nach Hause zurückgekehrt sei. Seine Mutter empfiehlt ihm, den Vorfall am besten zu vergessen.


Bald konfrontiert aber der Chef der Mine Lázaro mit einem Zeugen, der ihn beim Toten gesehen habe. Während diese Handlung aber nicht weiterentwickelt wird, gewinnt Lázaros Bemühen aufgrund von Atembeschwerden zunächst von einer Ärztin, dann von einem zweiten Arzt krankgeschrieben zu werden mehr Gewicht. Einerseits verlangt der Arzt dafür aber eine Gegenleistung, andererseits erfährt Lázaros Chef von diesen Konsultationen.


Einer Sozialstudie verweigert sich Pereda, weil er mit den nahen Einstellungen jeden Überblick verweigert. Nie kommt so die Mine ins Bild, sondern bleibt ebenso auf ein Büro reduziert wie der Arbeitsplatz von Lázaros Tante und auch die Szenen bei den Ärzt:innen und die Lebenssituation Lázaros mit Mutter und Tante bleibt diffus. Statt eine ausformulierte Geschichte zu erzählen, evoziert der 43-jährige mexikanisch-kanadische Regisseur so durch Leerstellen und Andeutungen ein dichtes Klima von Abhängigkeiten, Machtgefälle und Korruption, das über den konkreten Film hinaus als bedrückendes Stimmungsbild Mexikos gelesen werden kann.


Ganz klassisch und linear erzählt dagegen Oliver Hermanus in "The History of Sound", bietet rundes Erzählkino, das in seiner Perfektion aber nie verstaubt, bieder oder kitschig wirkt, sondern durch die Echtheit der Gefühle zutiefst bewegt. Nachdem der 1983 geborene Südafrikaner für seine großartige Neuinterpretation von Akira Kurosawas Meisterwerk "Ikiru" (1952) in "Living" (2022) die Handlung von Tokio ins London der 1950er Jahre verlegt hatte, diente ihm für seinen sechsten Spielfilm eine 1987 erschienene Kurzgeschichte von Ben Shattuck als Vorlage. Shattuck selbst schrieb auch das Drehbuch und, während die Geschichte um die beiden Musiker Lionel Worthing (Paul Mescal) und David White (Josh O´Connor) durch Orts- und Zeitangaben einen authentischen Eindruck erweckt, ist sie in Wahrheit reine Fiktion.


Mit Worthing als Ich-Erzähler, der gleich in der ersten Szene seine Gabe beschreibt, Töne nicht nur hören, sondern auch sehen und schmecken zu können, folgt Hermanus dem Protagonisten von der elterlichen Farm im Kentucky des Jahres 1910 zum Musikkonservatorium von Boston, wo er sich über die Liebe zu klassischen Volksliedern in den Komponisten David White verliebt. Der Erste Weltkrieg wird sie zwar trennen, doch nach Kriegsende lädt White seinen Freund auf eine Reise durchs ländliche Maine ein, um dort die Volkslieder der bäuerlichen Bevölkerung mit einem Grammophon aufzuzeichnen und für die Nachwelt zu bewahren.


Wie "Living" besticht auch "The History of Sound" durch eine bewundernswert zurückhaltende Inszenierung, die Emotionen mehr dämpft als pusht, und eine bestechende Einbettung der Handlung in einen ebenso präzise wie unaufdringlich eingefangenen sozialen und historischen Hintergrund.


Die warme Stimmung, die die in Brauntöne getauchten Bilder evozieren, wird durch die zahlreichen tiefmelancholischen Lieder, in denen es immer wieder um Tod und verlorene Liebe geht, meisterhaft verstärkt und gleichzeitig verdichten diese Lieder die innige Liebe zwischen Lionel und David.


Wie diese Songs ist auch dieser Film in künstlerische Form gegossene Emotionen und wie Bill Nighy in "Living" gelingt es auch hier Paul Mescal und Josh O´Connor in kleinsten Gesten und Blicken die Intensität der Gefühle spürbar zu machen. So erzählt Hermanus nach "Moffie" (2019) zwar erneut eine bewegende homosexuelle Liebesgeschichte, auf die aber der schon mehrfach gezogene Vergleich mit "Brokeback Mountain" aufgrund der Aussparung gesellschaftlicher Repression nur bedingt zutrifft, wirft aber gleichzeitig auch existentielle Fragen nach dem Lebensglück und den Folgen von Entscheidungen auf und setzt schließlich der Tradition der amerikanischen Volkslieder ein großes Denkmal.

Kommentare


bottom of page