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Filmbuch: Die letzte Einstellung

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 2 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit
"Die letzte Einstellung": Stimmungsvolle Graphic Novel über eine Filmproduktion während der untergehenden NS-Herrschaft
"Die letzte Einstellung": Stimmungsvolle Graphic Novel über eine Filmproduktion während der untergehenden NS-Herrschaft

Isabel Kreitz erzählt in ihrer im Reprodukt Verlag erschienenen Graphic Novel stimmungsvoll und detailreich von den Dreharbeiten am letzten – unvollendeten und verschollenen – Film des Dritten Reichs, zu dem Erich Kästner, obwohl er ein "verbotener Autor" war, das Drehbuch schrieb.


Auslöser für die Graphic Novel "Die letzte Einstellung" war einerseits Hans-Christoph Blumenbergs Buch "Das Leben geht weiter - Der letzte Film des Dritten Reichs", das Isabel Kreitz 2008 als Geschenk erhielt, und andererseits ihre gleichzeitige Beschäftigung mit Erich Kästners Leben aufgrund der Arbeit an Comics zu seinen Kinderbüchern. Verweben wollte Kreitz so die Biographie des berühmten Autors mit der Produktionsgeschichte dieses Propagandafilms.


Bewusst doppeldeutig ist dabei der Titel "Die letzte Einstellung" zu lesen. Er bezieht sich einerseits auf das Ende der NS-Filmproduktion und andererseits meint Einstellung auch die Haltung der Protagonist:innen, die einerseits jahrelang bereitwillig für das NS-Regime Filme drehten, andererseits wie Kästner zehn Jahre lang verboten wurden und in "innere Emigration" gingen, dann in der Notlage aber doch Aufträge annahmen.


Während Kreitz Kästner mit dem Psyeudonym Heinz Hoffmann und die weibliche Hauptfigur Erika Harms, die an Kästners Lebensgefährtin Luiselotte Enderle angelehnt ist, anonymisiert, behalten andere Figuren wie der Regisseur Wolfgang Liebeneiner, der Drehbuchautor Gerhard Menzel oder die Schauspieler:innen Viktor de Kowa und Hilde Krahl ihre realen Namen.


Einsetzend im Jahr 1933 zeichnet Kreitz atmosphärisch dicht ein Bild von der Machtübernahme der Nationalsozialisten mit zunehmender Ausgrenzung und Verfolgung Oppositioneller. Der Reichstagsbrand wird ebenso angeschnitten wie die Bücherverbrennung und auch Hoffmann / Kästner verliert seinen Job als Zeitungsredakteur. Durchaus kritisch ist der Blick der Autorin dabei auf den berühmten Autor, wenn dieser hinter jeder Frau her ist, seine Sekretärin Erika Harms verführt, dann aber sitzen lässt, als sie schwanger wird.


Nach diesem Prolog überspringt Kreitz elf Jahre. 1944 hat Harms den Sprung in die Filmbranche geschafft und arbeitet als Assistentin von Wolfgang Liebeneiner bei der UFA bei der Produktion des Films "Das Leben geht weiter". Als Hoffmann ausgebombt wird, gewährt sie ihm nicht nur Unterkunft in ihrer Wohnung, sondern verschafft ihm auch einen Job beim Film: Der "verbotene Autor" soll das Drehbuch von Gerhard Menzel, mit dem Propagandaminister Joseph Goebbels nicht zufrieden ist, überarbeiten, aber selbstverständlich ungenannt bleiben.


In stimmungsvollen, schwarzweißen Bleistiftzeichnungen, in denen Grautöne dominieren und auf alle Effekte verzichtet wird, evoziert Kreitz, die acht Jahre lang an dieser Graphic Novel arbeitete, dicht die Atmosphäre dieser bedrückenden Zeit. Dies gelingt ihr auch durch detailreiche Schilderung des Hintergrunds. Da gibt es 1933 den Besuch der Kinopremiere von Gustav Ucickys Progragandafilm "Morgenröte" und eines Kabaretts ebenso wie 1943 den Besuch der Premiere von "Die Feuerzangenbowle" und die Parteibonzen schwärmen bei einer Privatvorführung von William Wylers "Mrs. Miniver", zu dessen deutschem Gegenstück "Das Leben geht weiter" werden soll.


Gleichzeitig erfordern Luftangriffe immer wieder die Flucht in Schutzbunker und Berlin entwickelt sich sukzessive zu einer Trümmerlandschaft, aus der das Filmteam schließlich in die Lüneburger Heide flüchtet. Lebensmittelknappheit wird ebenso sichtbar wie Denunziantentum und die grausamen Folgen einer Verhaftung, aber auch wie mit entsprechenden Beziehungen sogleich wieder Haftentlassung erreicht werden kann, zeigt das Buch.


Die Rücksichtslosigkeit der Filmproduktion wird sichtbar, wenn als Statisten KZ-Gefangene geholt werden, während andererseits die Bevölkerung für die Stars Viktor de Kowa und Hilde Krahl schwärmt. Aber auch die Wendehalsmentalität deckt Kreitz auf. Denn nicht nur Liebeneiner, der immer wieder betont, dass er immer nur an Kunst, aber nicht an Propaganda interessiert gewesen sei, obwohl er doch wenige Jahre zuvor den Euthanasie-Film "Ich klage an" (1942) gedreht hat, versucht sich mit Heranrücken der Briten schon wieder mit den Eroberern oder Befreiern gut zu stellen.


Vieles gelingt Isabel Kreitz so in ihrer auch sehr flüssig zu lesenden Graphic Novel: Sie bietet einerseits verschlüsselt Einblick in Erich Kästners Leben, zeichnet andererseits die Produktion des letzten NS-Propagandafilms nach und vermittelt ein dichtes Zeitbild des letzten Jahres des NS-Regimes. Beeindruckend ist auch, wie unspektakulär dieses Buch bleibt und ganz durch die genaue Beobachtung und künstlerische Gestaltung der Realität sowie starke Figurenzeichnung und stringente Handlungsentwicklung Spannung bestens mit historischen Einblicken verbindet und zeitlose Fragen nach dem richtigen Verhalten in Zeiten einer Diktatur aufwirft.


Abgerundet wird die beeindruckende historische Graphic Novel durch ein Nachwort von Michael Töteberg, der Einblick in die Filmproduktion nach der Niederlage von Stalingrad und Wolfgang Liebeneiners Karriere bietet sowie durch ein Register zu den realen Personen, die im Buch vorkommen – und der bruchlosen Fortsetzung ihrer Karriere nach 1945.

 


Isabel Kreitz, Die letzte Einstellung, Reprodukt Verlag, Berlin 2025, 312 S., € 29, ISBN 978-3-95640-452-8

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