top of page

Viennale 2025: Von Island bis in die Türkei

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 22. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Okt.

63. Viennale: "The Love That Remains" von Hlynur Pálmason und "One ot These Days When Hemmie Dies"
63. Viennale: "The Love That Remains" von Hlynur Pálmason und "One ot These Days When Hemmie Dies"

Hlynur Pálmason erzählt in "The Love That Remains" fragmentiert und poetisch vom Leben und den Gefühlen nach dem Zerbrechen einer isländischen Familie. Murat Fıratoğlu lässt dagegen in seinem Langfilmdebüt "One of These Days When Hemmie Dies" einen jungen Arbeiter im ländlichen Anatolien unterschiedliche Begegnungen machen, die ihn immer wieder von seinem eigentlichen Vorhaben abhalten.


Äußerlich haben der vierte Spielfilm des Isländers Hlynur Pálmasons und das Langfilmdebüt des Türken Murat Fıratoğlu, der in seinem Hauptberuf Rechtsanwalt ist und sich nebenbei Filmkenntnisse über Kurse erworben hat, nicht viel gemein. Dennoch verbindet beide Filme, dass viel Privates in sie eingeflossen ist. So besetzte Pálmason nicht nur die drei Kinderrollen mit seinen eigenen Kindern, sondern verwendete für die Kunstwerke seiner Protagonistin Anna auch seine eigenen Kunstwerke. Fıratoğlu wiederum spielt nicht nur selbst die Hauptrolle, sondern besetzte aus Kostengründen auch die meisten Rollen mit Familienmitgliedern und Bekannten.


Gemeinsam ist beiden Filmen auch die wichtige Rolle, die die Landschaft in ihnen spielt. Während "The Love That Remains" untrennbar in den weiten und menschenleeren sattgrünen isländischen Feldern, Gletschern und dem Meer verankert ist, drücken die von der Sonne ausgedörrten braunen Felder und staubigen Naturstraßen "One of These Days When Hemmie Dies" den visuellen Stempel auf.


Völlig anders ist allerdings die Erzählweise. Während Murat Fıratoğlu ausgesprochen geradlinig und einfach mit Fokus auf seinem Protagonisten erzählt, pendelt Hlynur Pálmason, der zudem im Gegensatz zum Breitwandformat Firatoglus im engen 4:3 drehte, nicht nur zwischen den einzelnen Familienmitgliedern, sondern setzt statt auf stringente Narration auch auf fragmentierte Szenen, die nicht zwingend chronologisch angeordnet sind.


Scheint nämlich am Beginn von "The Love that Remains" die Familie von Anna, Magnus und ihren drei Kindern bei einer Feier noch intakt, so wird bald klar, dass sich das Paar vor kurzem getrennt hat. Immer wieder sucht aber Magnus, der als Arbeiter auf einem Fischtrawler oft längere Zeit abwesend ist, Anna auf und auch sie ist immer wieder froh über die Möglichkeit nach einer Aussprache mit ihm, andererseits wird er manchmal auch zu drängend.


Viel Zeit lässt sich Pálmason, um Magnus in seinem Beruf als Fischer und Anna bei ihrer Arbeit als Künstlerin mit Metallplatten zu zeigen. Der Rost, mit dem sie dann ihre Kunstwerke auf Leinwand druckt, kann auch als Metapher für die Erodierung der Beziehung gelesen werden, gleichzeitig kann man im Gegensatz von Fischerei und Kunst ein Spiel mit Männlichkeit und Weiblichkeit sehen.


Denn mehrfach geht es auch um männliche Übergriffigkeit, wenn das Drängen von Magnus zu heftig wird oder wenn ein Künstleragent Anna am Telefon sexuell anmacht, aber auch versteckte Aggressionen werden sichtbar, wenn die Kinder eine sich verändernde Vogelscheuchen-Ritterfigur mit Pfeilen beschießen. Aber auch ein Zitat von Jack Arnolds "The Creature from the Black Lagoon", der einmal im Fernsehen läuft, verweist auf das Spannungsfeld von Sehnsucht nach Nähe und Gewalt, von Erotik und Horror.


Statt eine lineare Handlung zu entwickeln, zeichnet Pálmason ein poetisches Stimmungsbild einer zerbrochenen Familie im Wechsel der Jahreszeiten. Irritation lösen dabei immer wieder surreale Momente aus, wie ein wohl mehr geträumter als realer Absturz eines Kleinflugzeugs, ein Schwert, das plötzlich vom Himmel fällt oder ein riesiger Hahn, der Magnus nachts im Schlafzimmer angreift.


Aber auch, wie Pálmason Beeren oder Pilze, die geschnitten werden, groß ins Bild rückt und die starke Präsenz von Tieren vom Hund Panda über die Hennen und Pferde bis zu den Heringen, die Magnus fängt, oder ein Wal irritiert, da hier mit einer tieferen Bedeutung gespielt wird, die sich aber nicht erschließt. – Aber gerade diese Eigenwilligkeit und Unangepasstheit lässt "The Love That Remains" nachwirken und lohnt auch eine zweite Sichtung.


Dieser verspielten Erzählweise steht die Geradlinigkeit von "One of These Days When Hemmie Dies" gegenüber. Signalisieren in "The Love That Remains" der Wechsel der Jahreszeiten das Vergehen der Zeit, so spielt Murat Fıratoğlus Langfilmdebüt zur Gänze an einem Tag. Eindringlich beschwört der Debütant die glühende Hitze auf einem Feld, auf dem Tomaten auf Planen geschüttet, in zwei Hälften geschnitten und mit Salz bestreut werden.


Auch angesichts der harten Arbeitsbedingungen, die realistisch und intensiv geschildert werden, fordert der Arbeiter Eyüp von seinem Vorarbeiter Hemmie endlich die schon länger ausstehende Bezahlung. Als dieser aber auch aufgrund seiner Schlafstörungen unwirsch reagiert, können nur andere Arbeiter eine physische Auseinandersetzung zwischen den beiden Männern verhindern.


Wütend verlässt Eyüp das Tomatenfeld mit seinem Moped, dessen Motor immer wieder aussetzt, holt zuhause eine versteckte Pistole, um Hemmie zu töten, wird aber immer wieder durch Begegnungen aufgehalten. So hilft er einem alten Mann eine Melone nach Hause zu tragen oder trifft eine einstige Schulkollegin.


Einen guten Schlaf wünschte der Regisseur dem Publikum vor Filmbeginn, denn sein Film sei sehr langsam. Unbestritten kann man "One of These Days When Hemmie Dies", der beim Filmfestival Venedig in der Programmschiene Orizzonti mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, dem Slow Cinema zuordnen. In langen ruhigen Einstellungen folgt Fıratoğlu nämlich dem von ihm selbst gespielten Protagonisten und beschränkt sich ganz auf die alltäglichen Begegnungen.


Aber gerade in diesem Undramatischen und in der Verbindung der Fahrt Eyüps mit einer genauen Schilderung des Lebens in dieser ländlichen anatolischen Region und der unterschiedlichen Menschen entwickelt dieses Debüt seinen großen Reiz und seine Schönheit.



Weitere Viennale-Berichte:

Kommentare


bottom of page