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Viennale 2025: Stalinistischer Terror und Elefantensuche in Afrika

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 3 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit

63. Viennale: "Two Prosecutors von Sergei Loznitsa und "Ghost Elephants" von Werner Herzog
63. Viennale: "Two Prosecutors von Sergei Loznitsa und "Ghost Elephants" von Werner Herzog

Sergej Loznitsa zeichnet im Spielfilm "Two Prosecutors" ("Zwei Staatsanwälte") ein beklemmendes Bild des stalinistischen Terrors der späten 1930er Jahre, Werner Herzog begibt sich im Dokumentarfilm "Ghost Elephants" dagegen auf die Suche nach den Vorfahren des größten je in Afrika erlegten Elefanten.


Der in Weissrussland geborene und seit 2001 in Deutschland lebende Ukrainer Sergej Loznitsa pendelt zwischen Dokumentar- und Spielfilm, zwischen Filmen zur sowjetischen Geschichte und zur ukrainischen Gegenwart. Für "Two Prosecutors" diente ihm der gleichnamige Roman des sowjetischen Physikers und Schriftstellers Georgi Demidow als Vorlage, der selbst 1938 verhaftet wurde und 14 Jahre in einem Gulag verbrachte. Seine Bücher konnten erst nach seinem Tod im Jahre 1987 und dem Fall der Sowjetunion durch seine Tochter veröffentlicht werden.


Ein Insert verankert die Handlung in der Sowjetunion des Jahres 1937, gleichzeitig wird darin auch schon auf die zweite große stalinistische Verfolgung hingewiesen. Ein Prolog macht schon die beklemmenden Verhältnisse im Gefängnis erfahrbar, wenn abgemagerte Häftlinge auf den Hof getrieben werden, einer mit einem Sack in eine Zelle geführt wird, wo er die darin enthaltenen Briefe verbrennen muss. Auffallend ist, dass sich darin die Häftlinge immer noch an den verehrten Stalin wenden, den Grund für ihre Verhaftung und Folterung allein im Fehlverhalten des Geheimdienstes NKWD oder anderer Befehlsempfänger sehen.


Eine mit Blut geschriebene Notiz, in der ein Häftling um ein Gespräch mit dem Staatsanwalt bittet, gelangt doch nach außen und bald meldet sich der soeben in diese Position berufene, junge Alexander Kornev bei der Gefängnisverwaltung. Was folgt ist eine Odyssee, die eindringlich die Ohnmacht des Individuums und die Erbarmungslosigkeit der Bürokratie vermittelt.


Endlos lässt man Kornev zunächst in einem Büro warten, führt ihn, als er nicht locker lässt, schließlich doch zum Häftling. Treppen werden hochgestiegen, an zahlreichen Zellen und Wärtern geht es vorbei und immer wieder werden Türen von Zellentrakten aufgesperrt und wieder verschlossen, bis er vor dem Häftling steht. Immer noch glaubt dieses einst hohe Parteimitglied an den Sozialismus, sieht die Schuld für seine Verhaftung und Folterung allein im Geheimdienst und bittet den Staatsanwalt die Generalstaatsanwaltschaft oder sogar Stalin persönlich über die (vermeintlichen) Missstände in dieser Region zu informieren.


Der engagierte Staatsanwalt nimmt seine Aufgabe ernst, reist nach Moskau, kommt im labyrinthischen Gerichtsgebäude schließlich zum realen Generalstaatsanwalt Andrei Wyschinski , der nach langem Warten sich seinen Fall ruhig anhört. Mit dem Auftrag Beweise zu sammeln wird der junge Staatsanwalt in seine Provinz zurückgeschickt, doch ahnen kann man, dass auch der Generalstaatsanwalt Teil des Terrorregimes ist...


Klein gehalten ist im Grunde die Handlung, beschränkt sich auf die Gefängnisszenen, denen spiegelbildlich ebenso die Szenen im Gerichtsgebäude gegenüberstehen wie der Fahrt Kornevs nach Moskau seine Rückfahrt. Wie Loznitsa damit den engen und verdreckten Gefängniszellen das großzügige Büro des Generalstaatsanwalts gegenüberstellt, so stellt er der Fahrt in einem Großraumwaggon mit zahllosen armen Menschen nach Moskau bei der Rückfahrt eine Elite im Luxusabteil gegenüber, die Alkohol trinkt und ausgelassen feiert.


Mit verwaschenen Farben, kaltem Licht und sorgfältiger Ausstattung evoziert Loznitsa dicht ein Klima der Beklemmung und Hoffnungslosigkeit, aber auch die Konsequenz und Schnörkellosigkeit, mit der er die Handlung entwickelt, trägt wesentlich zur Intensität von "Two Prosecutors" bei. Eindringlich wird so ein kafkaeskes Bild einer Bürokratie und eines Machtapparats gezeichnet, in dem der moralisch aufrechte Protagonist chancenlos ist und schließlich selbst unter die Räder kommt.


Auch wenn Loznitsa dabei ganz im Historischen bleibt, lässt sich sein Film mühelos auf aktuelle repressive Regime übertragen, andererseits wirkt sein Film in diesem historischen Gestus, in der Dialoglastigkeit und der kammerspielartigen Anlage formal aber auch sehr konventionell und entwickelt wenig genuin filmische Kraft.


Unverkennbar ein Film von Werner Herzog ist " Ghost Elephants". Ausgehend vom Skelett des größten jemals erlegten Elefanten im Smithsonian Museum in Washington begleitet Herzog den Zoologen Steve Boyes nach Namibia, von wo er mit einem Team von indigenen Fährtenlesern und weiteren Wissenschaftlern ins wasserreiche Hochland von Angola aufbricht, um Nachfragen dieses "Henry" genannten Elefanten zu finden.


Das Vordringen in unbekannte Regionen ist ebenso ein echtes Herzog-Thema wie der von seiner Aufgabe besessene Forscher. Wie Steve Boyes so in der Nachfolge klassischer Herzog-Helden von Aguirre bis Fitzcarraldo steht, so setzt er mit der Reise die Erkundung im Vulkanfilm "La Soufrière" (1977), des Himalaya in "Gasherbrum – Der leuchtende Berg" (1985) oder prähistorischer Höhlenmalereien in "Höhle der vergessenen Träume" (2010), aber auch die fiktiven Reisen in abgelegenen Regionen vom Amazonasdschungel in "Aguirre" (1972) und "Fitzcarraldo" (1982) über den australischen Outback in "Wo die grünen Ameisen träumen" (1984) bis zur patagonischen Bergwelt in "Cerro Torre: Schrei aus Stein" (1991) fort.


Wenn der 83-jährige Herzog mit seinem unverkennbaren bayrischen Englisch und seiner raunenden Stimme durch den Film führt, dann sind immer noch eine so große Leidenschaft, Faszination und Neugierde zu spüren, sodass sich diese direkt auf das Publikum übertragen. Für die Sprache der Buschmänner und ihre Herstellung von Pfeilgift interessiert er sich ebenso, wie für die Möglichkeit mittels DNA die Verwandtschaft heute im Hochland von Angola lebender Elefanten mit dem 1955 vom Ungarn Josef J. Fénykövi erlegten Elefanten zu beweisen.


Erschreckend erinnert er mit einem Ausschnitt aus dem berüchtigten Dokumentarfilm "Afrika addio" (1966) an das Abschlachten von Elefanten vom Hubschrauber aus, spricht auch die Folgen des jahrzehntelangen Bürgerkriegs für die Elefanten an, fragt nach der Zerstörung der Biodiversität und nach der Verbindung von Mensch und Elefanten, deren Seele nach Meinung der Buschmänner bei tranceartigen Tänzen in ihren Körper übergehen.


Ebenso spannend wie informativ ist dieser im Auftrag von National Geographic entstandene Dokumentarfilm und auch der Humor kommt bei Herzogs teil liebevoll-ironischem Kommentar nicht zu kurz. Wissensvermittlung und Mythenbildung um die Buschmänner und Boyes fließen dabei ineinander und prägnant, aber unaufdringlich zeichent "Ghost Elephants" mit der Kontrastierung der archaischen Buschmänner mit ihrem einfachen Leben und modernster wissenschaftlicher Technik zur Untersuchung der DNA auch ein eindrückliches Bild der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in unserer heutigen Welt.

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