top of page

Filmbuch: Daniel Schmid (Film-Konzepte 74)

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 22. Juni
  • 3 Min. Lesezeit
"Daniel Schmid": Spannende Essays zum Werk des 2006 verstorbenen Schweizer Regisseurs
"Daniel Schmid": Spannende Essays zum Werk des 2006 verstorbenen Schweizer Regisseurs

Der 74. Band der Reihe Film-Konzepte würdigt mit einem Vorwort und neun wie gewohnt fundierten Essays das Werk des 2006 verstorbenen und weitgehend vergessenen Schweizer Regisseurs Daniel Schmid.


Im Vorwort stellen die Herausgeber:innen Kristina Köhler, Fabienne Liptay und Jörg Schweinitz, die sich mit diesem Band von der Reihe Film-Konzepte verabschieden, Daniel Schmid als Regisseur vor, der sich einerseits immer wieder auf seine Schweizer Wurzeln bezog, andererseits aber auch europäisches Kino schuf und mit seiner Übersteigerung der Formen und dem Spiel mit Camp und Kitsch immer wieder Widerspruch provozierte.


Wie gewohnt bei dieser Buchreihe wird in den folgenden Essays aber nicht das gesamte Werk Schmids vorgestellt, sondern auf einzelne Aspekte fokussiert. So stellt Seraina Winzeler in ihrem Beitrag ausgehend von dem auf Super-8 gedrehten 40-minütigen Porträt "Lady Shiva oder: 'Die bezahlen nur meine Zeit'" (1974) die Edel-Prostituierte Irene Staub alias Lady Shiva ins Zentrum, die Schmid in seine Kreise einführte und der er auch eine kleine Rolle in seinem Film "Hécate" (1982) gab.


Fabienne Liptay untersucht dagegen die Dienerfiguren in Schmids frühen Filmen "Thut alles im Finsteren Eurem Herrn das Licht zu ersparen" (1971) und "Heute nacht oder nie" (1972). Die Autorin arbeitet Schmids Spiel mit Abhängigkeiten heraus, zeigt auf, wie Schmids Liebe für Oberflächen und Stilisierung sowie die Evokation einer völlig künstlichen Welt zum Vorwurf eines Rückzugs aus dem Politischen führte, und sieht in den biographischen Wurzeln des Regisseurs als Hotelierssohn einen persönlichen Bezug zu diesen Herren-Dienergeschichten.


Während Schmids Operninszenierungen ebenso wie seine Spielfilme "La Paloma" (1974), "Violanta" (1977) und Jenatsch" (1987) unberücksichtigt bleiben, widmet sich Kristina Köhler ausführlich dem mittellangen "Notre Dame de la Croisette" (1981). Dem Bild, das der Fotograf Helmut Newton mit seinen Aufnahmen vom Filmfestival von Cannes als Ort des Glamours, der Prominenten und Starlets vermittelt, stellt Köhler Schmids Film gegenüber, in dem eine Frau erfolglos versucht, Zugang zu Filmvorführungen und Pressekonferenzen zu bekommen.


Die Autorin arbeitet dabei nicht nur heraus, wie "Notre Dame de la Croistte" zwischen Dokumentar- und Spielfilm sowie zwischen Fernseh- und Kinofilm oszilliert, sondern stellt Schmids Film auch in Bezug zu Essays von André Bazin und Edgar Morin über das Festival von Cannes. Wie Bazin zeichnet nämlich der Schweizer das Festival als eine im Stil eines katholischen Ordens abgeschlossene ritualisierte Gesellschaft, und inszeniert es wie Morin als Ort der Präsentation der Filmbranche, bei der die Grenzen von Mythos und Realität verschwimmen.


Patrick Straumanns Analyse von Schmids Spiel mit Oberflächen und Künstlichkeit, aber auch mit der Filmgeschichte in "Hécate" steht Jörg Schweinitz Beitrag zum Dokumentarfilm "Il bacio di Tosca" (1984) gegenüber. Beeindruckend detailreich beschreibt Schweinitz dabei sowohl Schmids Arbeit mit den Räumen der Casa Verdi, eines Mailänder Altersheims für Opernsänger:innen, als auch die Lust der Opernsänger:innen in einstige Rollen zu schlüpfen.


Fred Truniger bietet Einblick in den Filmzyklus "Le film du cinema suisse" (1990), für den rund ein Dutzend Schweizer Regisseur:innen anlässlich der 700-Jahr-Feier der Eidgenossenschaft einen kurzen Film drehen sollten, und zeichnet nach, wie Schmid in seinem Beitrag "Les amateurs" (1990) mit Archivmaterial arbeitet. Ganz auf die Kompilation von Amateurfilmen von Tourist:innen beschränkte sich der Regisseur dabei nämlich, thematisierte aber nicht die Klassengegensätze zwischen Gästen und Einheimischen, die in diesen Filmen sichtbar werden, und verzichtete auch auf Quellenangaben zu den Filmen.


Jan Sahli untersucht Schmids Spiel mit dem Erzählen und Erinnern in dem autobiographisch beeinflussten "Zwischensaison" (1992) und Magrit Tröhler bietet zunächst Einblick in die unterschiedliche Rezeption des Spielfilms "Beresina" (1996) in der Deutschschweiz im Vergleich zur Westschweiz und der restlichen Welt. Anschließend arbeitet die Autorin heraus, wie Schmid in diesem Spielfilm mit Mythen-Bildern der Schweiz spielt, aber sie nicht eindeutig dekonstruiert oder kritisiert, und deckt die Parallelen zwischen realen Schweizer Skandalen der 1990er Jahren und der Filmhandlung auf.


Spannend ist auch Stefanie Schlüters Beitrag über die Freundeskreise von Schmid in den 1960er und 1970er Jahren. Anschaulich beschreibt die Autorin das dichte Netzwerk der Berliner Filmstudenten Schmid, Werner Schroeter, Holger Meins und die Kontakte zu Rainer Werner Fassbinder, die in den Filmen der jeweils anderen als Schauspieler oder Regieassistenten mitarbeiteten, macht aber auch Unterschiede in den Filmen sichtbar. Denn Fassbinders konkret politischem Interesse stand bei Schmid immer eine Ästhetisierung und Stilisierung oder aber – wie bei den "Diener-Filmen" - die Verschiebung des Politischen ins Historische gegenüber.


Abgerundet wird der Band, der mit seinen auf gewohnt hohem Niveau stehenden, wissenschaftlichen Essays zur Wiederentdeckung des fast vergessenen Werks von Daniel Schmid anregt, wie gewohnt durch eine kurze Biographie und ein Werkverzeichnis, bei dem auch Fernsehfilme und Arbeiten für Bühnen sowie Filme, bei denen der Schweizer als Schauspieler oder als Drehbuchautor mitarbeitete, aufgelistet werden.

 

Kristina Köhler / Fabienne Liptay / Jörg Schweinitz (Hg.), Film-Konzepte 74: Daniel Schmid, Edition text + kritik, München 2024. 136 S., € 28, ISBN 978-3-96707-950-0

Commentaires


bottom of page