Am 26. Dezember wäre der Schweizer Filmregisseur Daniel Schmid 80 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass widmet das Kinok St. Gallen Schmid, der mit Filmen wie "La Paloma" und "Violanta" ebenso kunstvolle Traumspiele schuf wie mit "Il bacio di Tosca" einen bewegenden Dokumentarfilm, im Dezember eine Filmreihe.
Allzu früh erlag der gebürtige Flimser am 5. August 2006 einem Krebsleiden. Nicht nur im Schweizer Kino, sondern auch international sind die Filme des Hotelierssohns Solitäre. In keine Schule und kein Schema passen Spielfilme wie "La Paloma" (1974) , "Violanta" (1977), "Hecate - Worte kommen meist zu spät" (1982) und "Jenatsch" (1987), orientieren sich nicht an der Realität, sondern lassen das Publikum vielmehr in eine traumartige Kunstwelt abtauchen, die von der deutschen Romantik, den exotischen Filmen Josef von Sternbergs und den großen amerikanischen Melodramen der 1950er Jahre beeinflusst scheint.
Schmid erklärte auch selbst: "Ich glaube, daß Film eine sehr artifizielle Kunst ist, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. Film ist totale Fiktion." (Ulrich Gregor, Geschichte des Films ab 1960, Bd. 3, S. 231). Gleichwohl drehte er mit "Il bacio di Tosca" (1984) auch einen bewegenden Dokumentarfilm, der freilich mit den Porträts ehemaliger Operndiven, die im von Giuseppe Verdi gegründeten Mailänder Altersheim Casa di Riposo per Musicisti ihren Lebensabend verbringen, wiederum eine vergangene Zeit heraufbeschwört.
Seine Kindheit im elterlichen Hotel im graubündischen Flims verarbeitete er dagegen in "Hors saison - Zwischensaison" (1992), in dem er einen Mann beim Gang durch ein leerstehendes Schweizer Berghotel, in dem er seine Kindheit verbrachte, sich an die Vergangenheit erinnern lässt.
Von diesen Schweizer Bergen brach Schmid nach dem Abitur 1962 nach Berlin auf, studierte Geschichte, Publizistik, Politikwissenschaft und Kunstgeschichte, ehe er 1966 ein Studium an der neu gegründeten Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin begann. Hier lernte er auch Rainer Werner Fassbinder kennen und übernahm nicht nur Rollen in dessen "Händler der vier Jahreszeiten" (1972) und "Lilli Marleen" (1981), sondern spielte auch in Wim Wenders´ "Der amerikanische Freund" (1977) und in "Der Bomberpilot" (1970) und "Der Rosenkönig" (1987) von Werner Schroeter, mit dem Schmid die Lust an ästhetischer Maßlosigkeit verbindet.
Seine eigene Regielaufbahn begann er 1971 mit der dialoglosen, mittellangen fiktiven Dokumentation "Thut alles im Finstern, Eurem Herrn das Licht zu ersparen" (1971). Schon hier entführt der Graubündner mit der Fokussierung auf der letzten Dienerschule Europas und dem Verhältnis von Diener und Herr das Publikum in eine ganz eigene Welt. Zwei Jahre später nahm er die Herr-Diener-Thematik in seinem ersten langen Spielfilm "Heute Nacht oder nie" (1972) mit einer Feier, bei der die Herrschaft die Dienerschaft bedienen muss, wieder auf. Pessimistisch fällt dabei Schmids Blick auf die Untergebenen aus, denn als zur Feier geladene Schauspieler mit einer Aufführung zur Revolution gegen die herrschenden Verhältnisse aufrufen wollen, lachen die Diener nur darüber.
Gesellschaftskritische Akzente finden sich auch in der "Schatten der Engel" (1975) betitelten Verfilmung von Rainer Werner Fassbinders umstrittenem Bühnenstück "Der Müll, die Stadt und der Tod", in dem Schmid von Prostitution, Spekulation und Korruption in einer Großstadt erzählt. Heftige Proteste rief dieses grelle Melodram weniger wegen der bissigen Abrechnung mit der Finanzmetropole Frankfurt hervor als vielmehr aufgrund der Wahl eines "reichen Juden" als Hauptfigur. Auch der Vorwurf des Antisemitismus blieb so nicht aus.
Die Stilisierung von "Heute Nacht oder nie" und "Schatten der Engel" kennzeichnet auch seine Melodramen "La Paloma" und "Hecate" sowie seine Conrad Ferdinand Meyer-Verfilmungen "Violanta" und "Jenatsch". Von der Gegenwart entfernt sich Schmid damit und beschwört mit Ausstattung, Licht, Farben und Musik eine traumartige Vergangenheit, die mehr von Kinobildern als von der Realität gespeist ist. Schmid zelebriert dabei die Ästhetik und erzählt in betörenden Bildern, für die immer Renato Berta verantwortlich zeichnet, und erlesener Ausstattung von unglücklich endenden leidenschaftlichen Liebesbeziehungen oder lässt bei seinem Film über den Bündner Freiheitskämpfer und Machtpolitiker Jürg Jenatsch, die Zeitebenen verschwimmen.
Nah an der Oper sind diese Filme in ihrer Überhöhung bis zum Kitsch, und wenig verwunderlich ist folglich, dass Schmid zwischen 1984 und 2002 auch Opern am Opernhaus Zürich und am Genfer Grand Théâtre inszenierte.
Begeistert wurden seine Traumspiele vor allem in Japan aufgenommen, wo Schmid mit "Das geschriebene Gesicht" (1995) auch eine Hommage an das traditionelle Kabuki-Theater drehte. Doch mit "Beresina oder die letzten Tage der Schweiz" (1999), für den ebenso wie für "Jenatsch" und "Hors saison - Zwischensaison" Martin Suter das Drehbuch schrieb, drehte er auch eine Satire auf die Schweiz von heute, besonders auf die gehobene Gesellschaft.
Bleiben werden von diesem großen Ästheten neben dem Dokumentarfilm "Il bacio di Tosca" aber wohl vor allem seine hochartifiziellen, der Gegenwart und der Realität enthobenen ebenso magischen wie hochromantischen Kinoträume.
Weitere Informationen und Spieldaten finden Sie hier.
Trailer zu Pascal Hofmanns und Benny Jabergs Dokumentarfilm "Daniel Schmid - Le chat qui pense"
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