An Tempo mangelt es David Leitchs Actionkomödie "Bullet Train" sicherlich nicht, doch auch ein von Brad Pitt angeführtes lustvoll und mit viel Selbstironie spielendes Ensemble kann nicht über die Überkonstruktion und Überlänge des sich an den Filmen Quentin Tarantinos orientierenden Spektakels hinwegtäuschen.
Schwierig ist immer die Programmierung des Eröffnungsfilms eines Festivals. Denn einerseits soll dabei ein Film gezeigt werden, der auf breites Publikumsinteresse und auch mediales Echo stößt, andererseits soll doch auch gewisses Niveau geboten werden. Über die 7000 Zuschauer*innen fassende Piazza Grande rauschte so zwar "Bullet Train", aber überzeugen konnte das Actionspektakel nicht.
Grund für die Programmierung war wohl auch, dass man anlässlich der Verleihung des Excellence Award Davide Campari an Aaron Taylor-Johnson auch einen Film mit dem 32-jährigen Briten zeigen wollte. Da empfahl sich natürlich Leitchs Actionkomödie.
Seltsam mutet bei diesem Film auch das Embargo für Berichte an, das eine Veröffentlichung erst 30 Minuten nach Beginn der öffentlichen Vorstellung erlaubt. Bei Weltpremieren mag das Sinn machen, bei einem Film, der an diesem Wochenende schon weltweit in zahlreichen Kinos anläuft und zu dem schon zahlreiche Kritiken erschienen sind, macht das aber keinen Sinn.
Der Titel "Bullet Train" ist bei David Leitchs Actionkomödie Programm. Einerseits spielt nahezu der ganze Film in dem japanischen Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen, der im Englischen Bullet Train heißt, andererseits spult Leitch auch die Handlung mit Hochgeschwindigkeit ab.
Im Mittelpunkt steht der erfolglose Auftragskiller Ladybug (Brad Pitt), der als Ersatz für einen erkrankten Kollegen im Shinkansen einen Aktenkoffer entwenden soll. Gleichzeitig finden sich im Zug aber noch sechs weitere Killer*innen ein, die alle ihre eigene Agenda verfolgen, sowie eine aus dem Zoo entkommene hochgiftige Schlange. Gern wäre Ladybug ja nach Beschaffung des Koffers beim nächsten Stop ausgestiegen, doch da der Zug nur jeweils eine Minute hält, kommt immer wieder etwas dazwischen.
Und während der Bullet Train so von Tokio in Richtung des fast 500 Kilometer entfernten Kyoto rast, kommt es an Bord in permanent wechselnden Konstellationen zu Schlägereien und Schussduellen zwischen den Killer*innen. Gleichzeitig werden mit Inserts und Rückblenden immer wieder kurz Vorgeschichten erzählt oder es wird später nachgeholt, was zuvor ausgelassen wurde.
Unübersehbar an den Filmen Quentin Tarantinos ist die Erzählweise orientiert, speziell die Killer Tangerine und Lemon erinnern an "Pulp Fiction", doch der Dialogwitz zündet nur teilweise und die zum Teil übertrieben brutalen Actionszenen trotz zumindest sehr solider Inszenierung nur ganz selten.
Dazu kommt, dass "Bullet Train" mit seinen zahlreichen Rückblenden und Personenwechseln völlig überkonstruiert ist. Einfachheit sollte die Grundmaxime eines Actionfilms sein, sodass man ganz in die Handlung eintauchen kann. Hier aber ist man ständig gefordert, die Zusammenhänge im Kopf zu rekonstruieren.
Aber auch die Länge von 127 Minuten ist ein Problem, denn das Schema der wechselnden Konfrontationen läuft sich doch bald tot, sodass der Film dann nur noch quasi auf einer Endlosschleife bis zum völlig überzogenen Finale weiterläuft.
Immerhin nehmen weder Leitch noch seine Schauspieler*innen ernst, was sie hier bieten. Die Selbstironie, mit der speziell Brad Pitt diesen glücklosen Killer spielt, ist erfrischend. Aber auch die leichthändige und nie ganz ernst gemeinte Reflexion über Schicksal und Zufall, über Glück und Pech und darüber, dass man auch einem Misserfolg durch Perspektivenwechsel wieder etwas Positives abgewinnen kann, hat ihren Reiz. – Davon abgesehen verpufft diese Actionkiste des früheren Stunt-Man Leitch, aber nicht erst mit den Abspanntiteln, sondern schon zuvor mit der leicht variierten Wiederholung des ewig Gleichen.
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