
Das Programm der 75. Berlinale (13. – 23.2. 2025) weist mit Richard Linklater, James Mangold, Michel Franco, Radu Jude und Bong Joon-ho vielleicht etwas mehr große Namen als in den letzten Jahren auf, doch insgesamt scheint die neue künstlerische Leiterin Tricia Tuttle auf den gleichen Mix von renommierten Regisseur:innen und noch wenig bekannten Filmemacher:innen zu setzen. – Insgesamt stark vertreten sind Österreich und die Schweiz, während aus dem Gastgeberland Deutschland überraschenderweise nur zwei Filme in den Wettbewerb um den Goldenen Bären eingeladen wurden.
Wie schon länger bekannt ist, wird die 75. Berlinale (13. – 23.2. 2025) mit Tom Tykwers Familiendrama "Das Licht" eröffnet. Nach "Heaven" (2002) und "The International" (2009) wird dem Deutschen schon zum dritten Mal diese Ehre zuteil. Auffallend ist aber, dass er nicht im Wettbewerb, sondern in der Schiene "Berlinale Specials" läuft.
Große Hoffnungen, berühmte Regisseur:innen, Stars und Glamour an die Spree zu holen, verbanden die Verantwortlichen mit der Ernennung der Amerikanerin Tricia Tuttle zur künstlerischen Leiterin der Berlinale. Diese erfüllt die Amerikanerin nun zwar mit der Wahl von Todd Haynes zum Jurypräsidenten oder der Verleihung eines Ehrenbären an Tilda Swinton zumindest teilweise und auch in den verschiedenen Sektionen fehlen große Nehmen nicht, doch ein Schaulaufen der Starregisseur:innen wie in Cannes oder Venedig wird es nicht geben.
Im Wettbewerb kann man wohl in Richard Linklater den attraktivsten Namen sehen. Elf Jahre nach "Boyhood" zeigt er im Rennen um den Goldenen Bären "Blue Moon", in dem er den letzten Lebenstagen des Textautors des Broadway-Songwriting-Teams Rodgers und Hart folgt. Stammgast in Berlin ist dagegen der koreanische Schnellfilmer Hong Sang-soo, der mit "What Does That Nature Say to You?" die für ihn typischen Beziehungsgeschichten wohl fortsetzt.
Aber auch Radu Jude, der im Corona-Jahr 2021 mit "Bad Luck Banging or Loony Porn" den Goldenen Bären gewann, kehrt mit "Kontinental ´25" nach Berlin zurück. Der Mexikaner Michel Franco hat dagegen seine letzten Filme "New Order", "Sundown" und "Memory" in Venedig präsentiert, schickt nun aber "Dream", in dem wie in "Memory" Jessica Chastain eine Hauptrolle spielt, ins Bärenrennen in der deutschen Hauptstadt.
Vor allem nationale Größen sind der Schweizer Lionel Baier, der mit der Komödie "La cache" eingeladen wurde, und die Österreicherin Johanna Moder, die in "Mother´s Baby" von einer Dirigentin erzählt, die um die Bindung zu ihrem neugeborenen Kind ringt.
Zu den aufstrebenden Talenten zählen Leonor Serraille, deren "Un petit frêre" schon im Wettbewerb von Cannes lief, und die nun mit "Ari" nach Berlin eingeladen wurde, sowie der Brasilianer Gabriel Mascaro, der zehn Jahre nach dem viel beachteten Rodeo-Film "Boi Neon" "The Blue Trail" vorstellt. Zu dieser Gruppe kann man auch den Norweger Dag Johan Haugerud zählen, der mit "Dreams" seine mit "Sex" und "Love" begonnene Trilogie ab.
Das einzige Debüt kommt von der Britin Rebecca Lenkiewicz, die in der Romanverfilmung "Hot Milk" von einer Mutter-Tochter-Beziehung erzählt, während es sich bei "Living the Land" der Chinesin Huo Meng um einen zweiten Spielfilm handelt.
Auffallend ist, dass Deutschland – abgesehen von Koproduktionen - im Wettbewerb nur mit Frédéric Hambaleks Familiendrama "What Marielle Knows" und Ameer Fakher Eldins "Yunan", in dem ein syrischer Flüchtling in eine existentielle Krise stürzt, vertreten ist.
Insgesamt verspricht die Konkurrenz mit ihren 19 Filmen auf jeden Fall große Vielfalt. Der Bogen spannt sich nämlich vom Dokumentarfilm "Timestamp", in dem Kateryna Gornostai auf das Bildungswesen in der durch den Krieg erschütterten Ukraine fokussiert, bis zu Lucile Hadžihalilović Fantasy-Drama "The Ice Tower" und der neuen Arbeit von Hélène Cattet und Bruno Forzani ("Reflection in a Dead Diamond"), die sich bislang in ihren Filmen mehrfach mit dem Subgenre des Giallo auseinandersetzten. - Auffallend ist freilich, dass Wes Andersons vielfach in dieser Konkurrenz erwartete "The Phoenician Scheme" im Line-up fehlt.
Während der zweite Wettbewerb "Encounters" von Tricia Tuttle und ihrem Team abgeschafft wurde, wurde mit den "Perspectives" ein neuer Wettbewerb ins Leben gerufen, der Erstlingsfilmen vorbehalten ist. In diesem Rahmen feiert auch "How to Be Normal and the Oddness of the Other World" des Österreichers Florian Pochlatko seine Premiere.
In der Schiene Berlinale Specials findet man dagegen neben Tom Tykwers "Das Licht" mit "Mickey 17" auch den neuen Film des koreanischen "Parasite"-Regisseurs Bong Joon-ho. Dass der Gewinner der Goldenen Palme und des Oscars seinen neuen Film in Berlin und nicht in Cannes präsentiert, verwundert doch einigermaßen, aber auch der Umstand, dass der Start dieses Films schon letztes Jahr geplant war und immer wieder verschoben wurde, macht skeptisch.
Deutschlandpremiere wird in diesem Rahmen James Mangolds Bob Dylan-Biopic "A Complete Unknown" feiern, in dem Timothé Chalamet den legendären Singer-Songwriter und Lyriker spielt. Gespannt sein darf man hier aber auch auf den neuen Film der "Die göttliche Ordnung"-Regisseurin Petra Volpe, die in "Heldin" von einer Krankenpflegerin erzählt.
Aber auch weitere spannende Namen fehlen im Berlinale Special nicht. Jan-Ole Gerster entführt so in "Islands" nach "Oh Boy" und "Lara" in ein Luxushotel, in dem sich das Leben eines Tennistrainers durch das Eintreffen einer neuen Familie verändert. Ido Fluk erzählt dagegen in "Köln 75" nach einer wahren Geschichte von der Kölnerin Vera Brandes, die in 1970er Jahren als 18-Jährige alles riskiert, um ein großes Jazz-Konzert zu organisieren.
Gepannt sein darf man aber auch auf "Ancestral Visions of the Future", mit dem der aus Lesotho stammende Lemohang Jeremiah Mosese nach seinem vielbeachteten Spielfilm "This Is Not a Burial, It´s a Resurrection" zum Dokumentarfilm zurückkehrt und über Kindheit, Entwurzelung und Zugehörigkeit reflektiert.
Die gewohnte Mischung ist in dieser Schiene zu erwarten, wenn mit Min Kyu-dongs "Pa-gwa – The Old Woman with the Knife" ein koreanischer Thriller ebenso eingeladen wurde wie mit Anna Muylaerts "A melhor mae do mundo – The Best Mother in the World" ein Spielfilm über eine Frau, die mit ihren Kindern aus häuslicher Gewalt flieht.
Anlässlich des 80. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs wird aber auch die Premiere des Dokumentarfilms "Je n´avais que le néant", in dem Guillaume Ribot vom Ringen des "Shoah"-Regisseurs Claude Lanzmann mit der Erzählbarkeit des Unerzählten erzählt, von einer Wiederaufführung von Claude Lanzmanns epochalem "Shoah" begleitet.
Vielfalt sollte auch das Programm der Sektion "Panorama" bieten. Hier gibt es neben Andreas Prochaskas Thriller "Welcome Home Baby", in dem für eine Ärztin die Suche nach ihrer Herkunft zu einer albtraumhaften Reise in die Vergangenheit wird, als Eröffnungsfilm 33 weitere Filme aus 28 Ländern zu entdecken. Der Bogen spannt sich vom satirischen norwegischen Body-Horror "The Ugly Stepsister" über den türkischen Politthriller "Confidante" bis zur schwulen taiwanesischen Gangster-Ballade "Silent Sparks".
Stark vertreten ist hier das deutsche Kino mit sechs Produktionen. Luzia Schmid verbindet im Dokumentarfilm "Ich will alles. Hildegard Knef" ein Porträt des deutschen Stars mit dem Blick auf die Zeitgeschichte, während Martina Priessner in "Die Möllner Briefe" die rassistischen Brandanschläge 1993 in Mölln aufarbeitet. Unter den Spielfilmen sticht neben den Debüts von Nele Mueller-Stöfen ("Delicious") und Sarah Miro Fischer ("Schwesterherz") Ina Weisses "Zikaden" heraus, in dem Nina Hoss die Hauptrolle spielt.
Die Bandbreite der internationalen Dokumentarfilme reicht von einer filmischen Reise durch die 35-jährige Alleinherrschaft Alfredo Stroessners in Paraguay in Juanjo Pereiras "Bajo las banderas, el sol" ("Under the Flags, the Sun") bis zu einer Reise durch das heutige Polen in "Bedrock", bei dem Kinga Michalska Menschen porträtiert, die an den Schauplätzen des Holocaust leben.
Gespannt darf man auch auf den Spielfilm "Olmo" sein, mit dem sich der Mexikaner Fernando Eimbcke nach langer Abwesenheit im Kino zurückmeldet. Mit Denis Côte, der im Dokumentarfilm "Paul" einen Mann porträtiert, der mit Depressionen zu kämpfen hat, und Ira Sachs, der im Spielfilm "Peter Hujars Day" das Publikum in die New Yorker Kunstszene der 1970er Jahre versetzt, sind aber auch Regisseur:innen vertreten, deren Filme in den letzten Jahren große Beachtung fanden.
Das zum zweiten Mal von Barbara Wurm geleitete "Internationale Forum des Jungen Films" zeigt 30 Filme aus fünf Kontinenten. Der Bogen spannt sich dabei vom peruanischen Found-Footage-Film "La Memoria de las Mariposas" (The Memory of Butterflies"), in dem Tatiana Fuentes Sadowski indigene Sklav:innenarbeit und Kolonialverbrechen rekonstruiert und die eigenen familiären Verflechtungen hinterfragt, bis zur taiwanesischen Spektakel-Persiflage "The Trio Hall", in der roller-skating Hitler mit Stalin und Mao mit Chiang Kai-shek tanzt" (Pressemitteilung).
Neue Filme von Altmeistern des Dokumentarfilms wie James Bennings "Little Boy" in dem der Amerikaner aus der Perspektive eines kleinen Jungen in die Vergangenheit blickt, um vor der Zukunft zu warnen, oder Vitaly Manskys "Chas Pidlotu" ("Time of the Target"), in dem der ukrainisch-russische Regisseur auf den Soldatenfriedhof in seiner Geburtsstadt L´viv blickt, stehen neben sieben Spielfilmdebüts.
Österreich ist in dieser Sektion einerseits mit dem Dokumentarfilm "Unsere Zeit wird kommen", in dem Yvette Löcker ein in Wien lebendes österreichisch-gambisches Paar porträtiert, vertreten, andererseits mit der österreichisch-belgischen Koproduktion "Scars of a Putsch", in dem Nathalie Borgers den Folgen des Militärputschs in der Türkei im September 1980 nachspürt.
Nicht unterschätzen sollte man aber auch die Sektion "Generation", die per Definitionem Filme für Kinder und Jugendliche zeigt. Hier feiert zum Beispiel mit "Maya, donne-moi une titre" ("Maya, Give Me a Title") auch ein neuer Film von Michel Gondry seine internationale Premiere und mit dem in der Inuit-Community spielenden arktischen Märchen "Uiksaringitara" ("Wrong Husband") kann man auch einen neuen Film von Zacharias Kunuk entdecken, der vor 24 Jahren mit "Atanarjuat – Die Legende vom schnellen Läufer" berühmt wurde.
Die Filmgeschichte wird einerseits mit der Präsentation von acht restaurierten Klassikern von Howard Hughes´ und James Whales "Hell´s Angels" (1930) über Don Siegels "Dirty Harry" (1971) bis zu Konrad Wolfs "Solo Sunny" (1980) und andererseits mit der Retrospektive gepflegt. Unter dem Titel "Wild, schräg, blutig. Deutsche Genrefilme der 70er" werden werden 15 Filme gezeigt, darunter Klassiker wie Roland Klicks "Deadlock", Rainer Erlers "Fleisch" und Rudolf Thomes "Fremde Stadt" ebenso wie Franz Josef Gottliebs "Lady Dracula" oder Uli Lommels Serienmörderfilm "Die Zärtlichkeit der Wölfe".
Weitere Informationen zur Berlinale finden Sie hier.
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