Die eine Familie wohnt in einem Kellerloch, die andere in einer Luxusvilla. Der Wunsch der armen Schlucker am Leben der Reichen zu partizipieren ist nur allzu verständlich. – Bong Joon-ho entwickelt daraus in seinem in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film eine messerscharfe bittere Gesellschaftssatire, die brillant bösen Witz mit Spannung verbindet.
Schon in seinem Monsterfilm „The Host“ und dem bildmächtigen Sciene-Fiction-Thriller „Snowpiercer“ gelang es Bong Joon-ho meisterhaft klassisches Genrekino mit Gesellschaftskritik zu verbinden. Wie in diesen Filmen geht es auch in „Parasite“ um große gesellschaftliche Gegensätze, die er hier anhand zweier spiegelbildlich angelegten Familien bissig aufzeigt.
Die erste Einstellung öffnet den Blick durch ein Kellerfenster in die verdreckte Wohnung der vierköpfigen Familie Gi-taek. Man lebt am Existenzminimum, Vater und Mutter sind arbeitslos, man schlägt sich mit Gelegenheitsjobs wie dem Falten von Pizzaschachteln durch. Das Geld reicht aber nicht, um Tochter und Sohn ein Studium zu ermöglichen. Verzweifelt sucht man in der Wohnung eine Ecke, in der man sich ins WLAN der Nachbarin einloggen kann.
Wenn ein LKW mit Desinfektionsmittel die Straßen reinigt, öffnet man die Fenster, damit auch das Ungeziefer in der Wohnung beseitigt wird: Gesund scheint das zwar nicht zu sein, aber praktisch. Der Blick durchs breite Fenster geht auf eine schmutzige Straße, auf der sich Passanten immer wieder nach dem Barbesuch erleichtern.
Unterkriegen lässt man sich aber dennoch nicht, bleibt bei allen Unannehmlichkeiten optimistisch. Tatsächlich taucht auch bald ein Freund des fast erwachsenen Sohnes Ki-Woo auf, der ihn bei der reichen Familie Park als Englisch-Nachhilfelehrer für deren Tochter empfehlen will.
Ki-woo nimmt natürlich an und bewirbt sich mit einem von der Schwester perfekt gefälschten Diplom, das Mutter Park dann gar nicht interessiert. Bald wird er auch versuchen den anderen Mitgliedern seiner Familie unter falscher Identität Jobs im Haushalt der Reichen, die wie die Gi-taeks einen Sohn und eine Tochter, daneben aber auch eine Haushälterin und einen Chauffeur haben, zu verschaffen….
So plakativ die Gegenüberstellung der beiden Wohnungen ist, so wirkungsvoll und eingängig ist sie: Dort die miese Kellerwohnung, hier eine durch hohe Mauern abgeschottete, fast aseptisch saubere Luxusvilla. Auf der einen Seite im Grunde nur ein Raum, auf der anderen ein über zwei Etagen ausgedehnter Wohnbereich und statt dem Blick auf die Straße öffnet hier die breite Fensterfront den Blick auf einen gepflegten grünen Rasen.
Ganz auf die beiden Familien und die Angestellten der Parks konzentriert sich Bong, entwickelt die Handlung stringent weiter und lässt sie immer wieder neue und überraschende Wendungen schlagen. Bösen schwarzen Humor mischt der Koreaner dabei leichthändig mit Spannungsmomenten und nimmt gegen Ende auch Anleihen beim Horror- und Splatterfilm.
Temporeiche Unterhaltung bietet „Parasite“ so angesichts des dicht aufgebauten Drehbuchs, übt aber auch gleichzeitig scharfe Gesellschaftskritik. Trocken und nüchtern ist Bongs Blick auf die beiden Familien, zwar erzählt er aus der Perspektive der Gi-taeks, doch reine Sympathieträger sind sie so wenig wie die Parks als Feindbilder aufgebaut werden.
Denn durchaus nett verhält sich diese Familie im Allgemeinen, auch wenn in Details immer wieder ihre Arroganz und Mitleidlosigkeit gegenüber der Unterschicht sichtbar wird: Einen speziellen Geruch, vergleichbar dem in der U-Bahn stellt man bei den neuen Hausangestellten – seltsamerweise bei allen den gleichen - fest. Ganz selbstverständlich ist es für die Parks auch, dass diese Leute, die sie engagieren und bezahlen, zu spuren haben und Vater Gi-taek schließlich auch bei einem Indianerspiel mitwirken muss. Erfüllen sie ihre Aufgaben nicht mehr ordentlich, werden sie eben entlassen.
So mag zunächst die arme Familie Gi-taek als die Parasiten des Titels erscheinen, da sie sich ja in die Familie der reichen Parks einnistet. Zunehmend wird sich aber beim Zuschauer die Frage stellen, ob nicht vielmehr doch die Reichen, die die Armen rücksichtslos ausbeuten und sich ihrer bedienen, diese Schmarotzer sind.
Auf Schwarzweißmalerei verzichtet Bong dabei aber, macht die Parks nicht zu Karikaturen, sondern zeichnet sie ebenso differenziert wie die Familie Gi-taek. Sie erscheinen nicht als bösartig, sondern sind eben Teil eines kapitalistischen Systems, das zu dieser Ungleichheit und zu diesen Klassengegensätzen führt.
Unterstützt von einem blendend agierenden Ensemble treibt Bong diese Analyse sukzessive weiter, macht in einer irrwitzigen Szene auch deutlich, wie heute mit dem Sendeknopf des Handys Leute unter Druck gesetzt werden können, bringt nebenbei die koreanische Teilung und den Konflikt mit Nordkorea ins Spiel und lässt die Ereignisse zunehmend eskalieren.
Keine reinigende Wirkung hat hier ein Gewitter, sondern Bong spitzt Witz und Spannung, die hier so verwoben sind, dass man manchmal nicht weiß, ob man lachen oder den Atem anhalten soll, nach scheinbar harmlosem Beginn immer schärfer zu. Auch ein sintflutartiger Regen spült hier am Ende nicht das Übel weg, vielmehr scheint es keinen Ausweg aus der gesellschaftlichen Kluft und keine Versöhnung zu geben und die Verhältnisse am Ende zementiert zu sein: Während die einen im Licht stehen, scheinen sich die anderen nur im Untergrund durchschlagen zu können.
Unaufdringlich, aber gerade dadurch meisterhaft fließt dabei auch Konkretes mit metaphorischem Gehalt zusammen, spiegelt sich im Wohnen im Luxushaus und dem unsichtbaren Dahinvegetieren in versteckten Kellerräumen die gesellschaftliche Diskrepanz zwischen den Reichen und den Armen, die von dieser Oberschicht gar nicht mehr wahrgenommen werden.
Derzeit in den Schweizer Kinos (Kinok St. Gallen) - ab 17. Oktober in den österreichischen und deutschen Kinos
Trailer zu "Parasite"
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