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  • AutorenbildWalter Gasperi

73. Berlinale: Starker Thriller kontra schulbuchmäßiger Problemfilm

Aktualisiert: 26. Feb. 2023


Ivan Sen präsentierte mit "Limbo" im Wettbewerb einen starken lakonischen Thriller über Rassismus gegenüber den Aborigines. Die Baskin Estibaliz Urresola Solaguren dekliniert in "20.000 especies de abejas" die geschlechtliche Identitätsfindung eines achtjährigen Kindes dagegen allzu schulbuchmäßig und thesenhaft durch.


Ein Fremder kommt in eine Stadt. – So beginnen nicht nur klassische Western, sondern auch Ivan Sens im australischen Outback spielender Thriller "Limbo". Die fiktive Stadt heißt zwar Limbo, gedreht wurde aber in Coober Pedy, das als Opal-Hauptstadt der Welt gilt. Mit ihren zahlreichen Schächten, Erdlöchern und unterirdischen Behausungen ist sie ein faszinierendes und filmisch noch nahezu unverbrauchtes Setting.


Ivan Sen, der selbst auch für die Kamera verantwortlich zeichnet, rückt diese Landschaft in starken Schwarzweißbildern großartig ins Bild. Dies sorgt ebenso für atmosphärische Dichte wie die ungeschönten, rauen, aber lebensechten Charaktere und die ebenso knappen wie trockenen Dialoge.


So ist der Polizist, der in die Stadt kommt, um Ermittlungen in einem 20 Jahre zurückliegenden Mord an einer jungen Aborigine, deren Leiche nie gefunden soll, wieder aufnehmen soll, kein strahlender Held, sondern ein gebrochener Mann. Wie der Ort Limbo selbst sich quasi in einer Zwischenwelt befindet, so sind auch alle Charaktere nicht gefestigt, sondern wirken aus der Bahn geworfen, an der Grenze zum völligen Absturz oder aber zu einem Neubeginn.


Reagieren der Bruder und die Schwester der Ermordeten sowie weitere Aborigine zunächst sehr zurückhaltend auf die Fragen des weißen Polizisten, so fassen sie langsam doch Vertrauen und öffnen sich. Einblick bekommt der Fremde so in den Rassismus, mit dem die Polizisten damals in diesem Fall ermittelten, einen verdächtigen Weißen bald wieder freiließen und die Schuld diversen Aborigines bis hin zum Bruder der Verschwundenen in die Schuhe schieben wollten.


Langsam erkennt der Polizist so auch, wie die Familie des Opfers an diesen Ereignissen zerbrochen ist, und beginnt auch, so gut er kann, zu versuchen die familiären Risse wieder zu kitten.


Wie Sen, der selbst Sohn einer Aborigine und eines Deutsch-Ungarn ist, ohne Schnörkel, lakonisch und stringent erzählt, die Zuschauer:innen mit den Ermittlungen des Polizisten Einblick in die gebrochenen Lebenssituationen der Aborigines gewinnen lässt und klassische Thrillerhandlung mit Sozialkritik verknüpft, das macht "Limbo" zu einer trefflichen kleinen Genreperle.


Weniger zu überzeugen vermochte dagegen "20.000 especies de abejas" der Baskin Estibaliz Urresola Solaguren. Durchaus ungewöhnlich und spannend ist zwar das Thema eines achtjährigen Kindes, das als Junge geboren wurde, aber zunehmend Zweifel an seiner geschlechtlichen Identität entwickelt und immer entschiedener fordert als Mädchen angesprochen zu werden, doch die Baskin dekliniert diese langsame Identitätsfindung viel zu schulbuchmäßig im Stil eines Films zu einem Thema durch.


Da mag die kleine Sofia Otera noch so überzeugend die Zerrissenheit und das geschlechtliche Schwanken Aitors bzw. Cocos vermitteln und Solagurens Inszenierung auch einfühlsam sein, so fehlt dem Film doch Kraft und Verve und verliert sich zunehmend in Langatmigkeit statt sich auf einen Höhepunkt hin zu entwickeln.


Auch die Verknüpfung mit der Situation der Mutter, die einsehen muss, dass sie vielleicht doch nicht eine große Bildhauerin ist, und der Großmutter und Tante als Modelle anderer Geschlechterrollen und Lebenswege funktioniert nicht wirklich. – Gut gemeint ist "20.000 especies de abejas" sicherlich und wird mit der aktuellen Gender-Thematik und der Einbindung der Bienen als Metapher für die jeweiligen Rollen, die auch der einzelne Mensch finden muss, sicher ein Kinopublikum finden, doch sicher ist auch, dass Sébastien Lifshitz mit "Petite fille" vor drei Jahren schon einen ungleich besseren Dokumentarfilm zu dieser Thematik gedreht hat.


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