Der Wettbewerb um den Goldenen Bären startete mit Matt Johnsons Nachzeichnung der Geschichte des BlackBerry-Smartphones in "BlackBerry" temporeich und unterhaltsam. Emily Atef evoziert dagegen in ihrem Liebesdrama "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" dicht die Stimmung in der ostdeutschen Provinz kurz nach dem Mauerfall.
Schwarzweißes Archivmaterial, in dem die neuen Kommunikationsmöglichkeiten gefeiert werden und als Vision eine Zukunft beschrieben wird, in der man nicht mehr zur Arbeit pendelt, sondern ortsunabhängig arbeiten kann, bekräftigen die Historizität von "BlackBerry", in dem Matt Johnson den Bogen von 1996 bis 2007 spannt.
Den nerdigen Tüftlern Mike Lazaridis und Douglas Fregin, die in den 1990er Jahren mit Kumpels in ihrer Werkstatt im kanadischen Waterloo am ersten Smartphone basteln, steht der gerissene Manager Jim Balsillie gegenüber. Als Lazaridis / Fregin ihm ihre Erfindung verkaufen wollen, lässt er sie zunächst abblitzen, doch als er wenig später seinen Job verliert, kommt er auf das Duo zurück.
Lazaridis und Fregin bringen technisches Verständnis und Erfindergeist ein, Balsillie wird mit seinen beinharten Verhandlungs- und Verkaufstaktiken dafür sorgen, dass das BlackBerry zum Welterfolg wird. Doch im Laufe dieser Entwicklung kommt es auch zwischen Lazaridis und Fregin zu Konflikten, wenn während Fregin klare Positionen vertritt, geht Lazaridis immer wieder Kompromisse ein, bis er auch seine letzten Überzeugungen aufgibt.
Mit einer unruhigen Kamera, die immer wieder auf die Gesichter zoomt, schnellen Schwenks und einem dynamischen Schnitt hält Johnson über zwei Stunden das Tempo hoch. Jedes Privatleben bleibt ausgespart, ganz auf die Firmengeschichte konzentriert sich der Film, der mit seinem satirischen Blick an die Filme Adam McKays erinnert.
Prägnante Figurenzeichnung und pointierte Gegensätze sorgen für Reibungen, während verwaschen-schmutzige Farben in die Zeit der Jahrtausendwende versetzen. Getragen wird "BlackBerry", der auch vom Wandel einer Firma von lustvollem Arbeiten in hierarchiefreiem Umfeld zu durchstrukturiertem und von Druck bestimmtem Arbeitsplatz erzählt, aber von einem lustvoll aufspielenden Ensemble.
Vor allem Glen Howerton als Jim Balsillie spielt sich förmlich die Seele aus dem Leib, aber auch Mike Lazaridis und Doug Fregin sind mit Jay Baruchel und Regisseur Matt Johnson selbst trefflich besetzt.
Langsamer aber kaum weniger überzeugend erzählt Emily Atef in ihrer Verfilmung von Daniela Kriens Bestseller "Irgendwann werden wir uns alles erzählen". In prächtigen, lichtdurchfluteten und in warme Farben getauchten Bildern beschwören Atef und Kameramann Armin Dierolf dicht die Stimmung in der ostdeutschen Provinz im Sommer 1990.
Im Zentrum steht die 19-jährige Maria, die auf dem Hof ihres Freundes Johannes aufgenommen wurde, nachdem ihre Mutter ihren Job verlor. Ungetrübt ist zunächst das Glück des jungen Paares, doch eine Begegnung mit dem benachbarten Bauern Henner ändert für Maria alles. Auch wenn dieser eigenbrötlerische Mann doppelt so alt wie sie selbst ist und auch zu Gewalt neigt, verfällt sie ihm. So beginnt eine vor allem vom sexuellen Kontakt bestimmte Amour fou, die Maria vor ihrem Umfeld geheim zu halten versucht.
Mit ruhigem Spannungsbogen erzählt Atef diese Entwicklungs- und Liebesgeschichte Marias und bettet sie stimmungsvoll in die Zeit unmittelbar nach dem Mauerfall ein. Anhand des Lebens auf dem Hof zeigt sie präzise, wie hier eine alte Welt noch nicht ganz verschwunden, eine neue aber auch noch nicht ganz angekommen ist.
Einerseits schließen in der strukturschwachen Region Betriebe, andererseits bestaunt man die neuen Mark-Scheine, erkennt aber auch, dass auch die Landwirtschaft umgestellt werden muss, um konkurrenzfähig zu bleiben. Man freut sich über westliche Konsumgüter, ist andererseits teilweise mit der Fülle des Angebots auch völlig überfordert. Bewegend wird auch beim Besuch des vor Jahren in den Westen geflüchteten Sohnes der alten Bäuerin spürbar, welchen Schmerz die jahrelange Trennung für beide brachte.
Ganz selbstverständlich und beiläufig fließt diese Zeitschilderung in die Handlung ein, wirkt nie aufgesetzt in diesem Liebesdrama, das auch durch die sorgfältige Ausstattung und das hervorragende Ensemble nachwirkt.
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