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75. Berlinale: Das ländliche China und schwierige Mutter-Tochter-Beziehung

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Aktualisiert: 23. Feb.

"Living the Land" von Huo Meng und "Hot Milk" von Rebecca Lenkiewicz im Wettbewerb der 75. Berlinale
"Living the Land" von Huo Meng und "Hot Milk" von Rebecca Lenkiewicz im Wettbewerb der 75. Berlinale

Das Rennen um den Goldenen Bären startete mit Huo Mengs "Living the Land" ("Sheng xi zhi di") und Rebecca Lenkiewicz´ "Hot Milk". Während Meng ins ländliche China des Jahres 1991 entführt, spielt Lenkiewicz´ Regiedebüt an der südspanischen Küste.


Das Voice-over des zehnjährigen Chuang gibt in Huo Mengs "Living the Land" die Erzählperspektive vor. Nach dem Tod seiner Großmutter, deren Bestattung ausführlich geschildert wird, wird Chuang zu Verwandten gebracht, da seine Eltern auf der Suche nach Fabrikarbeit in den Süden des Landes aufbrachen.


Wird mit dem Einstieg Chuang als Protagonist eingeführt, so weitet sich "Living the Land" rasch zum Porträt eines chinesischen Dorfes im Jahr 1991, in dem es keine klare Hauptfigur gibt, sondern die Gemeinschaft, ihre Rituale und die ländliche Arbeit im Zentrum stehen. Die Moderne hat hier noch keinen Einzug gehalten, wenn Chuang mit dem Ochsenkarren zum Dorf gefahren wird, wenn der Weizen mit der Sichel von Hand geerntet und mit dem Dreschflegel gedroschen wird.


Aber auch ein Blick in die überfüllte Schulklasse wirft Meng, erinnert an die Einkindehe und Zwangssterilisation, schildert aber auch eine Hochzeitsfeier ausführlich. Wie dieses ursprüngliche Leben neben der Moderne steht, wird klar, wenn im Dorf noch mit dem Mondkalender gerechnet wird, während offiziell der Sonnenkalender gilt.


In langsamen Schwenks lässt sich Meng viel Zeit für die Schilderung dieses bäuerlichen Lebens, verklärt es auch, indem er es in warmes Sommerlicht und die Felder in sattes Grün und den Weizen in leuchtendes Gelb taucht, verschweigt aber auch die Härte der Arbeit nicht.


Dem steht eine frostige Herbststimmung mit kahlen Bäumen, Dominanz von Blaugrau und nebelverhangener Landschaft gegenüber, wenn Sprengungen zwecks Suche nach Öl Einzug halten und das Land mit einem Traktor gepflügt wird.


Markant stellt der Film auch der traditionellen und feierlichen Erdbestattung am Beginn am Ende die Verbrennung einer Verstorbenen in einem kalten Krematorium gegenüber. Wenn bei der anschließenden Heimfahrt die Urne zerbricht und der Traktor im Matsch mehrfach steckenbleibt, ist das auch ein unübersehbarer Kommentar zum chinesischen Fortschrittsglauben.


So schön das aber auch gefilmt ist und so rund das auch erzählt ist, so kann "Living the Land" im Blick auf die gesamte Dorfgemeinschaft und dem Verzicht auf klare und markant gezeichnete Identifikationsfiguren doch nur geringe emotionale Kraft entwickeln und fließt insgesamt recht träge und langatmig über 132 Minuten dahin.


Mit knackigen 92 Minuten kommt dagegen Rebecca Lenkiewicz bei ihrer Verfilmung von Deborah Levys Roman "Hot Milk" aus. Im Gegensatz zur Breite von "Living the Land" liegt hier der Fokus ganz auf der auf einen Rollstuhl angewiesenen Rose und ihrer etwa 25-jährigen Tochter Sofia. Zwecks Behandlung der Gehbehinderung sind Mutter und Tochter nach Südspanien zu einem Heiler gefahren. Dieser interessiert sich aber kaum für die physische Verfassung der Mutter, sondern befragt sie vielmehr nach ihrer Biographie und ihrem familiären Background.


In dem atmosphärisch dicht eingefangenen Urlaubsambiente zwischen Ferienanlagen und Strand befreit sich Sofia zunehmend vom Zugriff der sie stets herumkommandierenden und kritisierenden, kontrollsüchtigen Mutter. Vor allem die Begegnung mit der Deutschen Ingrid, die Sofia verführt, aber auch Beziehungen zu mehreren Männern hat, bewegt die junge Britin ihre Mutter zunehmend zu kritisieren und wie der Heiler intensiver nach der immer verschwiegenen Familiengeschichte zu befragen.


Getragen von den beiden starken Hauptdarstellerinnen Emma Mackay und Fiona Shaw sowie Vicky Krieps als freigeistigem Gegenpol Ingrid lotet Lenkiewicz dicht diese schwierige Mutter-Tochter-Beziehung aus. Spannung baut die Regiedebütantin dabei dadurch auf, dass sie auf Erklärungen verzichtet und sich aufs Beobachten beschränkt, stellt aber mit dieser Zurückhaltung auch die Geduld der Zuschauer:innen auf die Probe: Hier wird man nämlich nicht an die Hand genommen und durch den Film geführt, sondern muss – bis zum offenen Ende - interpretieren, was man zu sehen bekommt.



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