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AutorenbildWalter Gasperi

Filmbuch: Kirche, Kult und Krise – Christentum im neueren Film

Von Paul Schraders "First Reformed" über Martin Scorseses "Silence" bis zu den Filmen von Terrence Malick und Wim Wenders´ "Papst Franziskus - Ein Mann seines Wortes" spürt der von Viera Pirker und Joachim Valentin herausgegebene Sammelband der Auseinandersetzung mit in der Krise steckenden religiösen Individuen, dem Evangelium und dem Vatikan in Filmen der letzten Jahre nach: Ein durch die Vielfalt der Aspekte und die tiefschürfenden Beiträge spannendes Buch.


Ausgehend von der starken Präsenz von religiösen Filmen in unserer säkularen Welt widmet sich der im Schüren Verlag erschienene Sammelband in drei großen Abschnitten dem umfangreichen Thema.


Im Abschnitt "Das religiöse Individuum in der Krise" analysiert Charles Martig ausgehend von Paul Schraders Schrift "Transcendental Style in Cinema" spannend Schraders eigenen Film "First Reformed", an dem der Autor detailliert und anschaulich die Kennzeichen des Slow Cinema herausarbeitet.


Margit Fröhlich arbeitet dagegen an den in religiöse Krisen stürzenden Protagonist:innen von Maggie Betts "Noviatate" (USA 2017), Cédric Kahns "La Prière" (Auferstehen, F 2018), Dietrich Brüggemanns "Kreuzweg (D 2014) und Jessica Hausners "Lourdes" (A/F/D 2009) die Sehnsucht nach Glauben heraus, während Karsten Schmidt bei Martin Scorseses "Silence" (USA / MX / TW 2016) nicht nur das Spannungsfeld von Glauben und Abfall von Gott, sondern auch das des zwischen Christentum und Buddhismus stehenden japanisch-katholischen Autors Shusaku Endo untersucht.


Michael Strothmeier blickt wiederum auf die Verlorenheit der Protagonist:innen in Terrence Malicks "The Tree of Life" (USA 2011), "To the Wonder" (USA 2012), "Knight of Cups" (USA/I 2015) und "Song to Song" (USA 2017), die aus fehlender Hingabe an einen Menschen oder eine Sache resultiert, und stellt diesen die völlige Hingabe Franz Jägerstätters in "A Hidden Life" (USA/D 2019) gegenüber.


Ganz auf Malicks Jägerstätter-Film fokussiert dagegen Andreas Schmoller, der in seinem großartigen Essay den Film in den Gesamtkosmos von Malicks Werk stellt, Einblick in Jägerstätters Leben und Glauben bietet und Malicks Umgang mit den historischen Fakten untersucht.


Während Jósef Niewadomski in seiner Analyse von Jan Komasas "Corpus Christi" die Aufforderung nicht auf andere zu zeigen, sondern zu vergeben als zentrales Thema herausarbeitet, widmet sich Christian Engels der dänischen Serie "Die Wege des Herrn", in deren Mittelpunkte eine Pastorenfamilie steht. Der Autor arbeitet religiöse Aspekte heraus, zeigt aber auch die Schwächen der Serie auf, die sie in die Nähe einer Soap-Serie bringen.


Im Abschnitt "Marianische Identitäten und neue Blicke auf das Evangelium" bietet Mitherausgeberin Viera Pirker einen vielschichtigen Einblick in den semidokumentarischen Film "Anatomia del Miracolo", der die Beziehung dreier ganz unterschiedlichen Frauen zur Madonna dell´Arco in Neapel und deren alljährlichen Feierlichkeiten schildert.


Knut Wenzel blickt ausgehend von Xavier Giannolis Spielfilm "L´Apparition" auf Merkmale von Marienerscheinungen, aber auch auf Parallelen zwischen diesen Erscheinungen und dem Film als Bilderzählung.


Theresia Heimerl wiederum arbeitet heraus, wie sich in der TV-Serie "Il Miracolo" ein Wunder auf einen atheistischen Minister, dessen Frau und einen in Sucht und Laster gefallenen Priester auswirkt, während Jochen Mündlein darlegt, welche Folgen das Auftreten eines echten oder vermeintlichen Erlösers in der Serie "Messiah" auf die Identitätskrisen der beiden christlichen Protagonist:innen hat.


Georg Seeßlen deckt spannend die verschiedenen Schichten von Milo Raus "Das neue Evangelium" auf, in dem der Autor einen Film an der Schnittstelle von Kunst, Religion und Politik sieht. Reinhold Zwick analysiert dagegen ausführlich Garth Davis´ "Maria Magdalena" und arbeitet ebenso detailliert wie anschaulich den Umgang mit apokryphen Evangelien im Film heraus und wie der Film in Opposition zur männlichen katholischen Kirche die Vorzugsrolle Maria Magdalenas als erster Jüngerin herausstreicht.


Im dritten Abschnitt, der den Titel "What´s up, Vatican?" trägt, bietet Peter Hasenberg zuerst einen Einblick in die Darstellung der Päpste und des Vatikan im Lauf der Filmgeschichte sowie in die Entwicklung von der Ablehnung des Kinos zu einer Medienstrategie. Giulia Evolvi widmet sich im einzigen englischsprachigen Beitrag des Buches der Serie "The Young Pope" und zeigt auf, wie Fragen der medialen Präsenz und der Sichtbarkeit des Papstes und des Vatikans ebenso wie Fragen von Familie und Liebe thematisiert und homophob-konservativen Strömungen liberale gegenübergestellt werden.


Gerhard Midding analysiert bei Francois Ozons "Grace a Dieu" sehr detailliert sowohl die Genese des Filmprojekts und den kirchlichen Widerstand als auch die Funktion der drei Protagonisten und der Rolle Lyons als zentraler Ort der katholischen Kirche Frankreichs. Aber auch die Stellung des Films im Werk Ozon und wie der Franzose der Vertuschungstheorie der Kirche die Kraft des befreiten Wortes gegenüberstellt, arbeitet der Filmjournalist anschaulich heraus.


Reinhold Zwick blickt schließlich auf die beiden Papst Franziskus-Filme "The Two Popes" von Fernando Meirelles und "Franziskus – Ein Mann seines Wortes". Während der Autor den fiktionalisierten Film von Meirelles, in dem Jonathan Pryce Papst Franziskus und Anthony Hopkins Papst Benedikt spielt, eher kurz behandelt, widmet er sich ausführlich dem Dokumentarfilm von Wenders.


Zwick zeigt dabei nicht nur auf, dass der Film nicht auf innerkatholischen Themen fokussiert, sondern auf universellen wie Armut, Ungleichverteilung und Umweltschutz und so ein Film nicht nur für Katholiken und Christen, sondern für "alle Menschen guten Willens" sein will. Anschaulich arbeitet der Autor heraus, mit welchen filmischen Mitteln Wenders Hoffnung auf eine Reform der Kirche verbreitet und dabei ein idealisiertes Bild des Papstes zeichnet, das bei genauerem Blick durchaus Einwände von Menschen, die dem Papst kritisch gegenüberstehen, hervorrufen könnte.


Abgerundet wird der Band durch die Niederschrift eines von Joachim Valentin moderierten Filmgesprächs mit Christoph Röhl zu seinem Dokumentarfilm "Verteidiger des Glaubens", der sich Papst Benedikt XVI. widmet. In diesem Gespräch wird nicht nur Einblick in die Biographie des Regisseurs und die Geneses des Projekts, sondern auch in die Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung und das Vordringen in den Vatikan geboten.


Mit seinen 18, jeweils 15- bis 20-seitigen Beiträgen, die großteils trotz ihrer Fundiertheit und Differenziertheit gut lesbar sind, bietet dieser Sammelband so einen vielschichtigen Einblick in die Präsenz religiöser Themen im aktuellen Kino und beleuchtet verteilt über die drei Abschnitte auch sehr unterschiedliche Aspekte.

 

 

Pirker, Viera / Valentin Joachim (Hg.), Kirche, Kult und Krise. Christentum im neueren Film. RFM Religion, Film und Medien 10, Schüren Verlag, Marburg 2023, 372 S., € 34, ISBN 978-3-7410-0427-8 (e-Book: € 26,99)

 

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