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AutorenbildWalter Gasperi

Dream Scenario

Ein unauffälliger Biologieprofessor wird berühmt, als er plötzlich in den Träumen zahlloser Menschen erscheint. Doch der Ruhm kippt in Ablehnung, als er in den Träumen eine dunklere Rolle zu spielen beginnt. Mit einem lustvoll aufspielenden Nicolas Cage gelang Kristoffer Borgli eine vor Einfallsreichtum sprühende Satire auf Ruhmsucht und Cancel Culture.


Vor 25 Jahren erzählte Spike Jonze in "Being John Malkovich" (1999) von einem Büro, von dem aus man in den Kopf des Schauspielers John Malkovich eindringen konnte. An diesen herrlich surrealen Film erinnert die Prämisse des englischsprachigen Debüts von Kristoffer Borgli, doch der Norweger dreht die Positionen um: Hier dringt nicht jemand in den Kopf von Nicolas Cage bzw. des von ihm gespielten Biologieprofessors Paul Matthews ein, sondern vielmehr dringt diese Person, ohne selbst etwas zu tun, in die Träume von ihm völlig Fremden ein.


Ähnlich trocken wie Jonze erzählt Borgli die Geschichte, die wieder einmal die US-Produktionsgesellschaft A 24 ermöglicht hat. Bei dieser Firma bekommen riskante und ungewöhnliche Projekte eine Chance, bei denen die meisten anderen amerikanischen Studios abwinken würden. Den durchgeknallten Oscar-Sieger "Everything Everywhere All at Once" (2022) verdanken wir beispielsweise ebenso diesem Unternehmen wie Yorgos Lanthimos´ "The Lobster" (2015) und "The Killing of a Sacred Deer" (2017), Jonathan Glazers "Under the Skin" (2013) und "The Zone of Interest" (2023), Alex Garlands "Ex Machina" und "Men – Was dich sucht, wird dich finden" (2022), Joel Coens "Macbeth" (2021), David Lowerys "The Green Knight" (2021), Celine Songs "Past Lives – In einem anderen Leben" (2023) oder die ungewöhnlichen Horrorfilme von Robert Eggers ("The Lighthouse", 2019) und Ari Aster ("Hereditary", 2018; "Midsommar", 2019; "Beau is Afraid", 2023).


Aster hat nun auch bei "Dream Scenario" als leitender Produzent seine Finger im Spiel. Der 1985 geborene Borgli hat sich mit seinem zweiten Spielfilm "Sick of Myself" (2022) einen Namen gemacht. Wie er dort von einer Frau erzählte, die sich selbst durch Medikamente krank macht, um so Aufmerksamkeit zu erregen, so steht auch hier ein Mann im Zentrum, der unter seiner Nichtbeachtung leidet.


Paul Matthews (Nicolas Cage) führt ein unscheinbares Familienleben, seinen beiden Töchtern im Teenageralter ist er peinlich. An der Uni langweilen sich seine Student:innen bei seinen Vorlesungen und dann gibt es da noch eine Kollegin, die die von ihm entwickelten wissenschaftlichen Ideen veröffentlichen will. Im Innersten träumt er aber selbst vom Ruhm als Wissenschaftler, doch das Buch, das er selbst geplant hat, existiert bislang nur in seinem Kopf.


Kein Zufall ist es auch, dass dieser Evolutionsbiologie in seiner Vorlesung ausführlich über die Tarnung des Zebras referiert. Wie dieses durch seine schwarzweißen Streifen in der Herde untertaucht und nicht als einzelne Beute ausgemacht werden kann, so ist auch dieser Mittfünfziger sehr zu seinem Leidwesen ein unbeachteter Mensch der Masse.


Das ändert sich freilich, als immer mehr, vielfach ihm auch völlig fremde Menschen von ihm träumen. Bald ist der Hörsaal bei seinen Vorlesungen voll, medial wird von ihm berichtet und er wird zu Talk-Shows eingeladen. Während er davon träumt durch den Ruhm nun endlich die Chance zu bekommen, sein Buch zu veröffentlichen, sehen ihn andere als Werbeträger für Softdrinks.


Dass er in diesen Träumen selbst nie agiert, sondern bei einem Autounfall, einem Erdbeben oder einem Mord nur teilnahmslos zusieht, aber nicht eingreift, passt zum passiven Auftreten von Matthews im Alltag. Ins Negative kehrt sich aber seine Berühmtheit, als er in den Träumen plötzlich zum Aggressor wird, die Träumenden vergewaltigt oder ermordet. - Auf Distanz zu ihm gehen nun zunehmend die Menschen und sein Leben geht förmlich den Bach runter und er erkennt, dass es doch auch Vorteile hat wie ein Zebra ein unscheinbarer Teil einer Herde zu sein.


Ganz auf Nicolas Cage hat Borgli seine sehr unterhaltsame, schwarze Gesellschaftssatire zugeschnitten. Der Schauspieler, der weniger durch herausragende Leistungen als vielmehr durch sein Over-Acting Berühmtheit erlangte, spielt mit sichtlichem Vergnügen diesen Biologielehrer, der sich nach Anerkennung sehnt, aber bald den Fluch des Ruhms erlebt, gleichzeitig selbst aber überhaupt nichts zur Entwicklung der Dinge beiträgt. Während Cage in den im Alltag spielenden Szenen durch Zurückhaltung brilliert, kann er in den Albtraum-Szenen seine Lust an der Übertreibung voll ausleben.


Mit seiner einfallsreichen Visualisierung der Träume der Menschen sorgt Borgli dabei ebenso immer wieder für Überraschungen und Witz wie mit dem von ihm selbst geschriebenen, perfekt aufgebauten Drehbuch. Konsequent wird dabei zwar eine klassische Geschichte von Aufstieg und Fall erzählt, aber gleichzeitig wird mit den Träumen eine herrlich surreale Komponente eingebaut.


Andererseits ist "Dream Scenario" aber auf der Höhe der Zeit, wenn ebenso treffsicher wie bissig von der Gier nach Ruhm und der Sehnsucht aus der Masse herauszustechen erzählt wird und bitter die Schattenseiten des Ruhms aufgezeigt und mit schwarzem Humor die Cancel Culture kritisiert wird. Denn mag Matthews auch von Beginn an eine schwelende Unzufriedenheit und latente Wut ausstrahlen, so bleibt er doch bis zum Ende ein im Grunde sympathischer und bemitleidenswerter Antiheld, dessen Absturz ins Bodenlose bewegt. – Dass seine "Traumstory" ein neues Business ins Leben ruft, ist dabei ebenso ein weiterer bissiger Kommentar zur heutigen Gesellschaft wie sein Ruhm im fernen Europa gerade mit der dunklen Seite seiner Traumerscheinungen.

 

 

Dream Scenario USA 2023 Regie: Kristoffer Borgli mit: Nicholas Cage, Lily Bird, Julianne Nicholson, Star Slade, David Klein, Kaleb Horn, Liz Adjei, Paula Boudreau, Marnie McPhail Diamond, Noah Lamanna, Tim Meadows Länge: 100 min.



Läuft derzeit in den Kinos.


Trailer zu "Dream Scenario"



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