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  • AutorenbildWalter Gasperi

Midsommar


(c) Luna Filmverleih

Vier amerikanische Studenten reisen nach Schweden, um dort an einer archaischen Mittsommernachtsfeier teilzunehmen. Nicht in dunklen Räumen, sondern in sonnendurchfluteter Wiesengegend schleicht sich dabei in Ari Asters atmosphärisch starkem Horrorfilm zunehmend der Schrecken ein.


Mit „Hereditary“ gelang dem 33-jährigen New Yorker Ari Aster vor einem Jahr ein fulminantes Debüt. Wie dort am Beginn der Schock und die Trauer über den Tod eines Familienangehörigen standen, so beginnt auch „Midsommar“ mit einem für die junge Dani traumatischen Erlebnis. Besorgt und zunehmend in Panik versucht sie per Telefon ihre psychisch kranke Schwester und ihre Eltern zu erreichen, doch jede Rückmeldung bleibt aus, bis sie die Nachricht erhält, dass sich die Schwester zusammen mit ihren Eltern umgebracht hat.


Ganz auf die von der 23-jährigen Florence Pugh („Lady Macbeth“) famos gespielte Dani fokussiert Ari Aster in dieser meisterhaften Pre-Title Sequenz. Minutenlang verharrt die Kamera in einer Einstellung auf ihrem Gesicht, wenn sie mit ihrem Freund Christian (Jack Reynor) telefoniert, der lieber mit seinen Kumpels herumhängt als sich um seine Freundin zu kümmern. Keine liebevolle Beziehung ist das, das Ende scheint absehbar, doch Dani klammert und er scheint sich nach dem Tod ihrer Familie nicht zu trauen, sich von ihr zu trennen.


In starkem Kontrast steht diese in einer amerikanischen Stadt und klimatisch von starkem Schneefall bestimmte Exposition zur folgenden Haupthandlung. Wohl nicht zuletzt, um über ihren Verlust hinwegzukommen, beschließt Dani nämlich Christian und seine zwei Freunde mit einem schwedischen Mitstudenten zu einem skandinavischen Mittsommernachtsfest zu begleiten.


Dass man damit in eine Welt versetzt wird, die unserer modernen Welt diametral entgegengesetzt ist, macht schon die Kamera bei der Autofahrt vom Stockholmer Flughafen zum nordschwedischen Dorf deutlich. Fährt sie zunächst in die Höhe, so kippt sie bald und Straße und Bäume sind oben, während der Himmel unten ist.


Der Stadt steht nun eine scheinbar dörfliche Idylle in weiter grüner Wiese gegenüber, dem kalten Winter warme Sommerfarben, aber auch dem individuellen Leben die Gemeinschaft. Freundlich werden Dani und die drei Freunde, die die Rituale für eine Diplomarbeit studieren wollen, aufgenommen, doch bald schleichen sich Irritationen ein.


Zwänge werden sichtbar, wenn sich die gesamte Dorfgemeinschaft im Freien an einer langen Tafel sitzt und wie auf Kommando alle gleichzeitig zu Messer und Gabel greifen, barbarische Riten treten zu Tage, wenn ein altes Paar von einem hohen Felsen in den Tod springt, um so nach Aussage der Dorfältesten den Kreislauf von Leben und Tod zu vollenden.


Sind Dani und Christian zunächst zunehmend geschockte Zuschauer, werden sie bald immer mehr als Akteure in die Bräuche verwickelt, während zwei weitere Außenstehende ebenso plötzlich verschwinden wie später die beiden Freunde der Protagonisten.


Spannung entwickelt Aster, der sich hier 147 Minuten Zeit lässt, durch die atmosphärisch dichte und detailreiche Schilderung dieser heidnisch-archaischen Welt, aber auch dadurch, dass sich hier der Schrecken eben nicht in dunklen Räumen, sondern in lichtdurchfluteter Landschaft aufbaut, kein dunkel gekleideter mysteriöse Mörder seine Kreise zieht, sondern die weiß gekleideten Dorfbewohner sich offen geben.


Leicht könnte so eine Evokation einer völlig fremden Welt - gedreht wurde im Sommer 2018 in Ungarn - ins Lächerliche kippen, doch der Ernst, mit der Aster darauf blickt, verhindert das. An Roman Polanskis Schilderung der Teufelsanbeter in „Rosemaries Baby“ erinnert das in der Zurückhaltung der Inszenierung, mehr noch aber natürlich in der Schilderung heidnischer Bräuche in einer Dorfgesellschaft an den Kultfilm „The Wicker Man“ (1973), in dem ein Polizist auf einer schottischen Insel auf heidnische Bräuche stößt.


Auf klassische Horrorszenen kann Aster getrost verzichten und neben dem Spiel von Florence Pugh als Dani, deren Trauer über den Verlust ihrer Familie auch in diesem Ambiente immer wieder durchbricht, langsam aber durch die Gemeinschaft scheinbar überwunden wird, auch auf die meisterhafte Kameraarbeit von Pawel Pogorzelski und die Musik von Bobby Krlic bauen. Immer wieder lösen hier ungewöhnliche Kameraperspektiven und schrille dissonante Töne Irritation und Beunruhigung aus und sukzessive steigert sich so trotz der weiten und idyllischen Landschaft die Beklemmung.


Statt gelöste Sommerstimmung zu verbreiten, werden die Zwänge intensiver, eine Flucht scheint bald unmöglich, die Gäste werden rigoros instrumentalisiert, dennoch scheint Dani dadurch über ihren Verlust hinwegzukommen, denn am Ende steht ihr mit einem Blumenkranz geschmücktes lächelndes Gesicht – ein höchst irritierender und lange nachwirkender letzter Blick.


Läuft derzeit in den Kinos (Cineplexx Hohenems) - ab 3.10. in den Schweizer Kinos


Trailer zu "Midsommar"



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