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  • AutorenbildWalter Gasperi

The Zone of Interest

Jonathan Glazer erzählt vom Schrecken des Holocaust, ohne ihn zu zeigen, lässt ihn über die Tonebene aber ungleich erschreckender vor dem inneren Auge aufsteigen, gibt aber auch der "Banalität des Bösen" ein Gesicht und gewinnt in der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen Zeitlosigkeit: Ein radikaler und ungeheuerlicher Film, der jetzt schon zu den Meisterwerken der Filmgeschichte gezählt werden kann.


Filme über den Holocaust gibt es schon viele. Alain Resnais erinnerte 1955 im halbstündigen Dokumentarfilm "Nacht und Nebel" mit zeitgenössischen Bildern von Auschwitz/Birkenau und Wochenschau-Bildern der Alliierten an das Grauen, Claude Lanzmann zeichnete im neuneinhalbstündigen "Shoah" (1974 – 1985) allein mit Interviews mit Überlebenden und Tätern und ruhigen Aufnahmen der Orte der Vernichtung die nationalsozialistische Tötungsmaschinerie nach. Steven Spielberg wiederum fokussierte in "Schindlers Liste" (1993) auf dem Industriellen Oskar Schindler, der mit seinem Einfluss mehr als 1100 Juden das Leben rettete, während der Ungar László Nemes in schwer zu ertragenden "Son of Saul" (2015) mit Handkamera hautnah aus der Perspektive eines Lagerinsassen erzählte.


Meist stehen die Opfer im Zentrum, doch der 58-jährige Brite Jonathan Glazer, der schon mit "Under the Skin" (2013) ein vielfach unterschätztes Meisterwerk schuf, wählt in seiner freien Verfilmung des gleichnamigen Romans des 2023 verstorbenen Briten Martin Amis konsequent die Täterperspektive. Der Titel "The Zone of Interest" bezieht sich dabei auf die euphemistische Bezeichnung der Nazis für das etwa 40 km² große Sperrgebiet um das Konzentrationslager Auschwitz als "Interessengebiet".


Schon der Einstieg stimmt auf einen ungewöhnlichen Film ein. Keinen großen Vorspann gibt es, sondern stumm laufen die weißen Credits auf schwarzem Grund ab, ehe der Titel auf der Leinwand erscheint, beunruhigender, düsterer Chorgesang oder vielmehr Gemurmel einsetzt und dann der Titel sehr sehr langsam wieder im Schwarz verschwindet.


Weder das Insert "Nach einer wahren Geschichte" noch sonstige Inserts zu Zeit und Ort des Geschehens verwendet Glazer, sondern wechselt mit einem Schnitt an einen sommerlichen Fluss, in dem eine Familie badet. – Doch es ist eben nicht irgendeine Familie und nicht irgendein Ort, sondern Rudolf Höß (Christian Friedel), Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz verbringt hier mit seiner Frau Hedwig (Sandra Hüller) und ihren fünf Kinder seine Freizeit, ehe es mit dem Auto wieder zu dem Einfamilienhaus der Familie geht.


Am Abend löscht Herr Höß das Licht, prüft, ob alle Türen verriegelt sind, liest seiner Tochter eine Gutenacht-Geschichte vor. Der ganze Stolz seiner Frau Hedwig, die ihr Mann "Die Königin von Auschwitz" nennt ist dagegen der große Garten mit seinen Blumen, dem Gemüse, einem Gewächshaus, einem Swimmingpool und einer Rutsche. Als "Paradiesgarten" wird ihn Hedwigs Mutter bezeichnen, als sie zu Besuch kommt. Vollendet wird das Idyll sein, wenn auch noch die begrenzende Mauer verwachsen ist.


Nie wirft die Kamera von Łukasz Żal einen Blick hinter diese Mauer, doch mit Schüssen, Schreien und Hundegebell ist das Grauen über die Tonspur immer präsent. Nachts kommt noch das Feuer aus den rauchenden Schornsteinen dazu, das teils den Himmel erhellt. Indem Glazer auf jede Abbildung des Massenmords verzichtet, sind die Zuschauer:innen gezwungen sich vorzustellen, was im Lager vorgeht und ungleich heftiger als durch Visualisierung prägt sich so das Grauen ein.


Dies stellt sich aber auch in vielen schockierenden Details ein. Denn da wird Hedwig von einem Häftling mit einem Schubkarren mit Kleidern und einem Pelzmantel beliefert, die offensichtlich den Opfern abgenommen wurden und den Hedwig nun vor dem Spiegel anprobiert. Da spielt ein Sohn scheinbar ganz harmlos im Bett, bis man erkennt, dass sein Spielzeug Gebisse von Ermordeten sind, und beim Bad im Fluss findet Rudolf einmal einen Unterkiefer. Zuhause werden die Kinder dann intensiv gebadet und geschrubbt, um die Asche, die auch im Fluss schwamm, abzuwaschen.


Distanziert und eisig ist der Blick Glazers. Er bleibt in der ruhigen Beobachterposition. Parallel lässt er Hedwig mit Freundinnen bei Kaffee und Kuchen plaudern, während nebenan Industrielle ihren Mann über einen neuen Verbrennungsofen informieren, mit dem die Leistung – sprich: die Ermordung von Juden – gesteigert werden kann.


Die polnischen Hausangestellten reden kaum ein Wort, versuchen nur die Befehle der Hausherrin möglichst gut auszuführen, denn beiläufig macht diese ihnen klar, dass sie mit einem Wort dafür sorgen könne, dass ihr Mann deren Asche über den Feldern verstreue.


Verstörend wirkt auch, wie geschockt Hedwig auf die Versetzung ihres Mannes reagiert und erklärt, dass sie auf keinen Fall ihr "Paradies" verlassen möchte, während sich mit dem neuen Arbeitsplatz Rudolfs gleichzeitig das Bild weitet. Denn fokussiert "The Zone of Interest" zunächst ganz auf die Familie Höß, so macht dort eine Besprechung mit weiteren Lagerkommandanten sowie ein kurzer Blick auf eine Landkarte, auf der die KZ im Dritten Reich eingezeichnet sind, deutlich, dass Rudolf Höß eben kein Einzeltäter war, sondern dass es die nationalsozialistische Tötungsmaschinerie und das damit verbundene Grauen an zahlreichen Orten gab.


Mit zahlreichen Details zeichnet Glazer so ein wohl noch nie in einem Film so plastisch und schockierend gestaltetes Bild dessen, was Hannah Arendt im Zuge des Prozesses gegen Adolf Eichmann 1961/62 als "Banalität des Bösen" bezeichnete. Zur Dichte des Films trägt dabei neben der überragenden Tonspur von Sounddesigner Johnnie Burn, der nur punktuell eingesetzten Musik von Mika Levi auch das nüchtern-zurückhaltende Spiel von Christian Friedel und Sandra Hüller, die akkuraten Kostüme und Ausstattung und auch die Farbdramaturgie bei.


So intensiv diese akribische Gestaltung, der mehrjährige Vorbereitungen vorausgingen, in die Zeit des um Auschwitz und auf Deutsch gedrehten Films versetzt, so verstörend bricht Glazer doch auch mehrfach mit dem Realismus. Immer wieder sieht man in traumartigen Szenen in bestechenden Schwarzweißbildern eine junge junge Frau, die durch Negativkopie weiß herausleuchtet, über die Felder streifen und in der Erde Äpfel für die Lagerinsassen verstecken. Finden wird sie dabei auch eine Dose mit einer Komposition eines Lagerinsassen, die später auf dem Klavier gespielt wird. Aber auch ein Sprung ins Dokumentarische und in die Gegenwart wird für einen Bruch in der Erzählung sorgen, aber auch wieder das Ausmaß des Schreckens plastischer erahnen lassen.


So historisch genau "The Zone of Interest" dabei auch ist, so bleibt der Film doch nie beim Historischen, sondern erzählt nicht nur von der "Banalität des Bösen", sondern auch zeitlos – oder eben brennend aktuell - von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Denn die Parallelität des Idylls der Familie Höss in ihrem Einfamilienhaus mit Garten auf der einen Seite und dem Vernichtungslager auf der anderen Seite der Mauer lässt immer auch an heutige Parallelen wie dem mitteleuropäischen Luxusleben und der Armut in Afrika, dem Krieg in Gaza oder der Ukraine denken. – So wirft Glazer auch die Frage auf, wie wir mit diesen an sich unerträglichen Parallelitäten umgehen.

 


The Zone of Interest USA / Großbritannien / Polen 2023 Regie: Jonathan Glazer mit: Christian Friedel, Sandra Hüller, Johann Karthaus, Luis Noah Witte, Nele Ahrensmeier, Lilli Falk, Anastazja Drobniak, Kalman Wilson, Medusa Knopf, Max Beck Länge: 105 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems, Skino Schaan und Kinok St. Gallen

Kinothek Lustenau: 18. / 20. / 25. / 27.3.


Trailer zu "The Zone of Interest"



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