Das Verschwinden des Josef Mengele
- Walter Gasperi

- 2. Nov.
- 4 Min. Lesezeit

Der "Todesengel von Auschwitz" Dr. Josef Mengele war einer der grausamsten NS-Kriegsverbrecher, konnte sich aber durch Flucht nach Lateinamerika der Verantwortung entziehen: Kirill Serebrennikov zeichnet in seiner Verfilmung von Oliver Guez´ 2017 erschienenem, gleichnamigem Tatsachenroman mit einem herausragenden August Diehl in der Hauptrolle ein dichtes, aber eisiges Porträt eines reuelosen Monsters in Menschengestalt und einer Umwelt, die ihm das Weiterleben in Lateinamerika ermöglichte.
Berüchtigt war der 1911 geborene Arzt Josef Mengele für seine Experimente an Menschen im KZ Auschwitz. Nach Kriegsende gelang ihm die Flucht über eine der sogenannten Rattenlinien nach Argentinien. Bis 1955 bot ihm – und zahlreichen weiteren NS-Kriegsverbrechern - die mit dem Faschismus sympathisierende Bewegung von Präsident Juan Péron Unterschlupf. Nach dem Sturz Prons floh Mengele 1956 nach Paraguay und, als die Verfolgung von Kriegsverbrechern im Zuge des Eichmann-Prozesses und der Auschwitzprozesse verschärft wurde, in den 1960er Jahren weiter nach Brasilien, wo er 1979 bei einem Badeunfall starb.
Problematisch ist es einen Kriegsverbrecher zum Protagonisten eines Romans und nun eines Films zu machen und ihm so eine Plattform zu bieten, doch der Blick des seit 2022 in Berlin lebenden Putin-Kritikers Kirill Serebrennikov auf Mengele ist nicht weniger kalt als der von Oliver Guez in seinem dem Film zugrunde liegenden Tatsachenroman.
Nach der energetischen Evokation der jugendlichen Leningrader Punkrockszene der 1980er Jahre in "Leto" (2018), dem alptraumhaften filmischen Trip durch eine kollabierende russische Gesellschaft in "Petrov´s Flu" (2021) und dem Historienfilm "Tchaikovsky’s Wife" (2022) zeichnet Serebrennikov in ebenso bestechenden wie eisigen Schwarzweißbildern von Kameramann Vladislav Opelyants ein beklemmendes Bild Mengeles. Hautnah folgt der Film dem "Todesengel von Auschwitz", in fast jeder Szene ist er präsent, dennoch bleibt man immer auf Distanz zu diesem Kriegsverbrecher und blickt von außen auf dieses reuelose Monster in Menschengestalt.
Gegliedert durch Zeitinserts springt der Film zwischen der Flucht aus Argentinien, den Aufenthalten in Paraguay und Brasilien und einem Besuch durch seinen Sohn Rolf in den 1970er Jahren in Brasilien hin und her. Bestechend wird dabei schon in der ersten Szene, in der Mengele nach dem Sturz Perons aus Argentinien flieht, mit beweglicher Kamera seine Angst und wachsende Paranoia vermittelt, andererseits wird immer wieder sichtbar, wie dieser Nazi an seiner menschenverachtenden Ideologie bis zu seinem Tod festhielt.
Über das Porträt dieses Täters hinaus, den August Diehl, der zuletzt in der Bulgakov-Verfilmung "Der Meister und Margarita" (2024) brillierte, mit seinem markanten Schnauzbart und unterstützt von entsprechender Maske mit großer Intensität spielt, weitet sich "Das Verschwinden des Josef Mengele" dabei zu einem Film, der auch ein erschreckendes Bild einer Zeit und einer Umwelt zeichnet, die dem Kriegsverbrecher seine Flucht und sein Überleben ermöglichten.
Gefeiert wird er so nicht nur von zahlreichen ebenfalls geflohenen Nazis in Argentinien, sondern kann auch Ende der 1950er Jahre noch in seine bayrische Heimatstadt Günzburg zurückkehren, wo ihn Familie und Dienerschaft empfangen und kaum Gefahr der Auslieferung an die deutschen Behörden besteht, da in diesen vielfach ehemalige Nazis wichtige Positionen besetzen.
Aber nicht nur von anderen Nazis wird er unterstützt, sondern auch ein nach Brasilien emigriertes ungarisches Paar gewährt im gegen entsprechende finanzielle Entschädigung Unterschlupf, obwohl er die Ungarn als minderwertig betrachtet.
Allfällige Verfolger spart Serebrennikov aus und konzentriert sich – mit Ausnahme von einem Verhör durch die argentinische Polizei – ganz auf Mengele und seine Helfer. Gerade mit diesem abrechnenden Blick auf das ihn unterstützende Umfeld wird dieser kompromisslose Film auch zu einem zeitlosen Plädoyer gegen verbohrte menschenverachtende Ideologien und für ein vom Gewissen bestimmtes menschliches Handeln.
Auf einer weiteren Ebene bringt der russische Regisseur, der mit den Inserts "Gregor", "Peter" und "Don Pedro" auch einen Eindruck von den mehrmaligen Identitätswechseln des Flüchtenden vermittelt, mit dem Besuch von Mengeles Sohn Rolf (Max Bretschneider) auch eine Vater-Sohn-Geschichte und einen Generationenkonflikt ins Spiel.
Die Nachrichten über die Gräueltaten seines Vaters in Auschwitz will Rolf nicht glauben und will von ihm selbst die Wahrheit erfahren. Verstörend ist dabei, wie es trotz Mengeles entschiedenem Festhalten an der NS-Ideologie schließlich doch zu einer Aussöhnung zwischen Vater und Sohn kommt.
Gleichzeitig löst diese Begegnung auch in Farbe gehaltene Rückblenden an Mengeles Zeit in Auschwitz aus. Gezielt Erinnerungen an Jonathan Glazers "The Zone of Interest" soll dabei wohl eine von leuchtend gelben Blumen gerahmte Szene an einem Fluss wecken. Während Glazer allerdings den Schrecken von Auschwitz nur auf der Tonebene vermittelt, bietet Serebrennikov nach diesem Einstieg in Breitwandformat in fingierten, farbigen Super-8-Filmen aus dem Lager Einblick in die grausamen, verbrecherischen und menschenverachtenden Taten.
Schockierend vermittelt auch eine farbige Liebesszene aus Auschwitz, die in Opposition zur wachsenden Paranoia, dem körperlichen Zerfall und dem sozialen Abstieg vom großbürgerlichen Haus in Paraguay zur schäbigen Hütte in Sao Paulo auf der Nachkriegsebene steht, den Eindruck, dass die KZ-Zeit für Mengele die schönste Zeit seines Lebens war.
Das Verschwinden des Josef Mengele
Deutschland / Frankreich 2025
Regie: Kirill Serebrennikov
mit: August Diehl, Max Bretschneider, Burghart Klaußner, Friederike Becht, Dana Herfurth, Paula Beer, David Ruland, Heinz K. Krattiger, Carlos Kaspar, Santino Lucci, Ramiro Lucci
Länge: 135 min.
Läuft derzeit in den deutschen und österreichischen Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn und im Kino GUK in Feldkirch.
Trailer zu "Das Verschwinden des Josef Mengele"




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