Crossing Europe 2025: Crossing Europe Award für rumänischen Spielfilm "The New Year That Never Came"
- Walter Gasperi
- 4. Mai
- 4 Min. Lesezeit

Beim 22. Crossing Europe film festival Linz zeichnete die Jury Bogdan Mureșanus "The New Year That Never Came" ("Anul Nou care n-a fost") mit dem mit 5000 Euro dotierten Crossing Europe Award für den besten Spielfilm aus. Der ebenfalls mit 5000 Euro dotierte Social Awareness Award für den besten Dokumentarfilm geht an "The Flats" von Alessandra Celesia.
Wie in den letzten Jahren konkurrierten auch heuer im Spielfilmwettbewerb des Crossing Europe film festivals Linz viele starke und sehr unterschiedliche erste und zweite Spielfilme. Enttäuschungen blieben aus und insgesamt waren die Filme überraschend zugänglich.
So gewann mit "Holy Rosita" von Wannes Destoop ein Film den mit 5000 Euro dotierten Audience Award, der durchaus auch einen Verleiher und damit den Weg in die Programmkinos finden könnte. Aber auch die mit einer "Special Mention" ausgezeichnete Vater-Sohn-Geschichte "Three Days of Fish" ("Drie Dagen Vis") hat Publikumspotential.
Klassisches Erzählkino bietet Bogdan Mureșanus mit dem Hauptpreis ausgezeichneter "The New Year That Never Came" ("Anul Nou care n-a fost"), der schon in Venedig den Hauptpreis in der Sektion Orizzonti und zahlreiche rumänische Filmpreise gewonnen hat. Das titelgebende neue Jahr meint den Jahreswechsel von 1989 auf 1990, den das Regime des Diktators Nicolae Ceaușescus aufgrund seines Sturzes an Weihnachten 1989 nicht mehr sah.
Die Handlung spielt an einem einzigen Tag kurz vor Weihnachten und kurz nachdem im westrumänischen Timișoara das Regime mit brutaler Gewalt gegen eine Demonstration vorging und ein Massaker verübte. Auch in der Hauptstadt Bukarest gärt es, doch die Angst vor Repressalien lässt den Funken der Revolution noch nicht überspringen.
In etwa einem halben Dutzend parallel und bestenfalls lose miteinander verbundenen Geschichten zeichnet Mureșanu mit gedämpften Farben atmosphärisch dicht ein bedrückendes Bild des spätkommunistischen Rumäniens.
Da soll ein TV-Regisseur für eine Silvestershow die Hauptdarstellerin, die eine Lobeshymne auf Ceausescu spricht, austauschen, da der Star inzwischen ins Ausland geflohen ist. Doch auch die dafür ausgewählte Theaterschauspielerin lehnt das Regime ab und versucht sich dem Auftrag zu entziehen. Gleichzeitig versuchen zwei Studenten mittels eines Schleppers über die Donau zu fliehen, während die politisch desillusionierte Mutter eines Parteisekretärs aus ihrem Haus delogiert werden soll, weil dieses einem großen Bauprojekt weichen soll. Dazu kommt auch noch ein Arbeiter, den ein politisch heikler Weihnachtsbrief seines sechsjährigen Sohnes in Angst versetzt.
Ins Drama mischen sich immer wieder bissige tragikomische Momente und eindrücklich wird in der breiten Rundumschau ein Klima des Hasses auf das Regime, aber auch der permanenten Angst vor Bespitzelung und Verrat beschworen. Im furiosen Finale, das sich zu Ravels Bolero sukzessive steigert, wird aber auch sichtbar, wie leicht dieses Pulverfass explodieren kann und eine Kundgebung für Ceaușescu in eine Protestbewegung kippen kann.
Frisch und stark präsentierte sich im Wettbewerb aber mit Sorina Gajewskis "Nulpen" und Justine Bauers "Milch ins Feuer" auch das junge deutsche Kino. Während Gajewski zwei beste Freundinnen, die nach dem Abitur zunächst mal nur chillen wollen, einen Tag lang durch das unter der Sommerhitze stöhnende Berlin begleitet, fokussiert Bauer auf einer jungen Frau, die Bäuerin werden möchte, aber hinnehmen muss, dass ihr Bruder den Hof übernehmen wird und sie nur durch Heirat eines Bauern ihren Lebenstraum verwirklichen wird können.
Beide Filme leben zu einem großen Teil von ihren ungeschminkt und echt agierenden Darsteller:innen – im Fall von "Milch ins Feuer" mit Ausnahme von Johanna Wokalek Laien –, der authentischen Sprache und dem dicht eingefangenen Milieu. Dem rotzigen Berliner Jugendslang steht so der süddeutsche hohenlohische Dialekt gegenüber und der Großstadt die ländliche Region.
Gleichzeitig steht aber auch dem ziellosen Herumhängen der Berliner Teenager die Fokussierung auf der bäuerlichen Arbeit in "Milch ins Feuer" gegenüber. Gemeinsam ist beiden Filmen andererseits wiederum, dass Frauenfiguren im Zentrum stehen.
Beginnt "Nulpen" als leichter Sommerfilm, so kommt mit Nachrichten über eine Hitzewelle und einer Klimademonstration auch die Klimakatastrophe ins Spiel. Scheinen die beiden Protagonist:innen diesbezüglich aber schon resigniert zu haben und es vorzuziehen den Tag zu genießen, ruft der kleine Bruder einer der beiden Teenager nicht nur zum Engagement auf, sondern wirft auch der Elterngeneration vor, diesen Zustand der Welt verursacht zu haben.
So flott und frech dieses Debüt somit auch erzählt ist, so vermittelt es doch auch stimmig das Gefühl einer ganzen Generation, die zwischen Lust auf Lebensgenuss und drängenden Problemen der Zeit zerrissen und auf der Suche nach Orientierung ist.
Auch "Milch ins Feuer" ist ein Sommerfilm, in dem neben Melken und Heuen auch ein Sprung in den See nicht fehlen darf. Aber Justine Bauer thematisiert eben nicht nur die Benachteiligung der Frauen in der bäuerlichen Welt, sondern setzt mit ihrem fast ausschließlich mit Frauen besetzten Film auch ein Zeichen gegen diese männliche Dominanz.
Etwas zu viel packt die Debütantin vielleicht hinein, wenn sie auch noch einen Bauern ins Spiel bringt, der als Protest gegen die Vernachlässigung der Bauernschaft durch die Politik zunächst grüne Kreuze auf den Feldern aufstellt, dann Heuballen in Brand steckt und sie – dem Filmtitel entsprechend – mit Milch löscht, ehe er die letzte Konsequenz zieht.
Dennoch ist Justine Bauer mit ihrem authentischen und quasidokumentarischen Blick aufs Landleben und die Landarbeit ein starkes Debüt gelungen, das ebenso wie Sorina Gajewskis "Nulpen" auf weitere aufregende Filme dieser beiden neuen Stimmen des deutschen Films hoffen lässt.
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