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Crossing Europe 2025 startete mit Ina Weisses Drama "Zikaden"

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 11 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit
Ina Weisses unaufgeregtes Drama eröffnete das Crossing Europe Filmfestival Linz
Ina Weisses unaufgeregtes Drama eröffnete das Crossing Europe Filmfestival Linz

Das Linzer Filmfestival Crossing Europe startet immer parallel mit vier Eröffnungsfilmen, die einen Vorgeschmack auf die unterschiedlichen Sektionen bieten. In die Sparte European Panorama Fiction führte so Ina Weisses unaufgeregtes Drama "Zikaden" ein, aber auch jenseits der Eröffnungsfilme gab es mit Agnieszka Zwiefkas "Silent Trees" am ersten Festivaltag schon einen starken Dokumentarfilm zur Flüchtlingsthematik.


142 Filme zeigt das Crossing Europe Filmfestival Linz, doch trotz der großen Anzahl wirken die Filmer immer handverlesen und überlegt ausgewählt. Der vorwiegend junge europäische Autor:innenfilm wird gepflegt, auf stromlinienförmige und biedere Produktionen wird verzichtet.


Nach Auftritten als Schauspielerin in zahlreichen Fernsehfilmen, legte Ina Weisse 2008 ihr Regiedebüt "Der Architekt" vor, in das autobiographische Erfahrungen mit ihrem als Architekt arbeitenden Vater einflossen. 2019 folgte dann der Spielfilm "Das Vorspiel", bei dem sie mit Nina Hoss arbeitete.


Mit "Zikaden" legt Weisse nun ihren dritten Spielfilm vor. Wieder spielt Nina Hoss die Hauptrolle, fast gleichwertig neben ihr steht aber Saskia Rosendahl. Zwei unterschiedliche Frauen stellt die deutsche Filmemacherin so in den Mittelpunkt. Während die 48-jährige Isabell (Nina Hoss) als Immobilienmaklerin arbeitende Architektin dem gehobenen Bürgertum angehört, lebt die 30-jährige Anja (Saskia Rosendahl) am unteren Rand der Gesellschaft. Erstere belasten nicht nur Eheprobleme mit ihrem französischen Mann, sondern vor allem die Sorge um die Eltern, von denen der Vater nach einer Gehirnblutung Sprachprobleme hat und auf einen Rollstuhl angewiesen ist.


Anja dagegen ist als alleinerziehende Mutter überfordert, hat immer nur Gelegenheitsjobs, die sie bald wieder verliert. Ihre aufgrund der Arbeit der Mutter oft alleingelassene etwa vierjährige Tochter Greta streift – ähnlich wie die alleingelassenen Kinder in Sean Bakers "Florida Project" - mit zwei etwas älteren Jungs durch die Gegend um das Haus im ländlichen Brandenburg, bettelt bald an einer Tankstelle bei Kunden um Geld für ein Eis, versucht gepflückte Blumen zu verkaufen oder stochert in einem im Wald gefundenen Tierkadaver.


Verankert in der von Kamerafrau Judith Kaufmann in lichtdurchfluteten Sommerbildern atmosphärisch dicht eingefangenen brandenburgischen Provinz entwickelt sich so auf drei Ebenen ein unaufgeregtes und leises Drama. Weisse forciert nichts, sondern lässt Figuren und Szenen Zeit und Raum. Zufällig lässt sie so Isabell und Anja sich begegnen, ein Gespräch beginnen und langsam sich näherkommen.


Kaufmanns dynamische Kamera vermittelt immer wieder den Stress, unter dem Anja durch die Doppelbelastung von Beruf und Sorge um die kleine Tochter steht, während dieser Stil bei Isabell die Anspannung und Belastung der Verantwortung für die Eltern angesichts fehlender oder mehrfach erkrankender Pfleger erfahrbar macht.


Getragen von zwei starken Hauptdarstellerinnen, aber auch der großartigen Yvon Moltzen als kleine Greta und Weisses eigenen Eltern, die sehr lebensecht die Filmeltern spielen, entwickelt sich so ein vielschichtiges und weitläufiges Drama, das viele Problemfelder anspricht und plastisch vermittelt. Genau fängt Weisse alltägliche Situationen ein und auch die unaufgeregte Erzählweise überzeugt. Andererseits sorgt aber letztere auch dafür, dass der Film mehr dahinplätschert als wirklich Sog und Kraft zu entwickeln.


Einen starken Eindruck hinterließ am Eröffnungstag Agnieszka Zwiefkas Dokumentarfilm "Silent Trees" ("Drzewa Milcza"). Gewissermaßen ist das ein Gegenstück zu Agnieszka Hollands erschütterndem Spielfilm "Green Border". Auch Zwiefka dokumentiert nämlich zunächst die brutalen Push-Backs an der weißrussisch-polnischen Grenzen, um dann auf der aus dem Irak geflohenen kurdischen Teenager Runa und ihrer Familie zu fokussieren.


Handyaufnahmen vom Vorgehen der polnischen Soldaten und Polizisten an der Grenze und vom bitteren Überlebenskampf in den winterlichen Wäldern erzeugen große Unmittelbarkeit und Authentizität. Als Notfall wird Runas schwangere Mutter in ein polnisches Krankenhaus eingeliefert, wo sie bald stirbt. Allein bleibt der Vater mit Runa und ihren vier Brüdern zurück.


Die 16-Jährige, die sich im Flüchtlingsheim bald mit einer etwa gleich alten polnischen Betreuerin anfreundet und polnisch lernt, muss sich nicht nur um ihre Brüder kümmern, sondern auch für den Vater bei der Jobsuche als Friseur dolmetschen oder bei den Bemühungen um eine Aufenthaltsbewilligung unterstützen. Nicht genug damit kommt bei ihr auch noch eine Augenkrankheit dazu, die dringend eine Operation erfordert.


Hautnah begleitet Zwiefka Runa und ihre Familie, aber nie voyeuristisch, sondern immer einfühlsam ist der Blick, sodass bewegender Einblick in den schwierigen Flüchtlingsalltag geboten wird. Gleichzeitig kommen dazu auch noch Träume der begabten Zeichnerin Runa, in der in schwarzweißen Animationsszenen die Erinnerungen an die Erfahrungen im Wald, der sie immer wieder zu verschlucken droht, aber auch die Angst an eine Abschiebung poetisch überhöht und gerade dadurch eindringlich und nachwirkend vermittelt werden.

  

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