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  • AutorenbildWalter Gasperi

Green Border

Agnieszka Holland erzählt aufrüttelnd vom brutalen und menschenverachtenden Vorgehen der Wachen an der belarussisch-polnischen Grenze gegen Migrant:innen: Ein wütender Film, der wütend macht, aber mit engagierten Aktivist:innen auch Beispiele für menschliches Handeln zeigt und Hoffnung macht.


Heftig kritisiert wurde Agnieszka Holland für ihren beim Filmfestival Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichneten Spielfilm in ihrer Heimat von Mitgliedern der damals noch regierenden, rechtsnationalen PiS Partei ebenso wie von Staatspräsident Andrzej Duda. Auch im Internet schlug der Altmeisterin Hass entgegen und eine antipolnische Haltung wurde ihr unterstellt. Ganz verwundern kann dies kaum, denn gut kommen die polnischen Grenzbehörden und auch Teile der polnischen Bevölkerung wirklich nicht weg.


Die endlosen Wälder an der belarussisch-polnischen Grenze sind in der ersten Einstellung zwar noch leuchtend grün, wenn die Drohnenkamera über sie hinwegfliegt, doch noch während dieses Kameraflugs geht mit dem Insert "Oktober 2021, Europa" die Farbe in Schwarzweiß über. Diese farbliche Reduktion verleiht "Green Border" einerseits einen stark dokumentarischen Anstrich, andererseits lenkt dadurch kein Farbtupfer ab, sondern der Fokus liegt ganz auf den menschlichen Schicksalen.


Mit einem Schnitt wechselt Holland in eine Passagiermaschine, die eine syrische Familie, die aus ihrer umkämpften Heimatstadt Harasta vor dem IS geflohen ist, aber auch eine afghanische Englischlehrerin von der Türkei in die belarussische Hauptstadt Minsk bringt. Die Flugbegleiter:innen verteilen bei der Landung zwar Rosen, doch die Flüchtlinge wissen nicht, dass sie nur Spielbälle des belarussische Präsidenten Lukaschenko sind.


Dieser versucht die EU zu destabilisieren, indem er sein Land als Durchgangsstation anbietet. Die Flüchtlinge werden angelockt, indem ihnen vorgegaukelt wird, dass sie über Belarus wesentlich leichter als über den gefährlichen Seeweg quasi durch die Hintertür illegal nach Polen und damit in die EU einreisen können.


Während die Afghanin auf Asyl in Polen hofft, will die syrische Familie zu ihrem Verwandten nach Schweden. Während aber nun die belarussischen Grenzsoldaten die Flüchtlinge, nachdem sie ihnen noch Geld abgenommen haben, durch die Stacheldrahtgrenze nach Polen treiben, packen die polnischen Grenzwachen die Flüchtlinge, die sie zynisch als "Touristen" bezeichnen, sobald sie sie in den Wäldern aufgegriffen haben, in ihre Lastwagen und bringen sie wieder über die Grenze zurück.


Hautnah ist die bewegliche Kamera von Tomek Naumiuk an der syrischen Familie dran, versetzt unmittelbar ins Geschehen und fängt mit schonungsloser Härte nicht nur die Not und Bedürftigkeit der Flüchtlinge, sondern vor allem die Menschenverachtung und Brutalität der Grenzsoldaten ein.


Hier wird geschlagen, Wasser verweigert oder um den Horrorpreis von 50 Euro verkauft oder der Glaskörper einer Thermoskanne wird zerschlagen, um dann die Flasche einem unwissenden Flüchtling zum Trinken zu geben. Aber auch auf die polnische Bevölkerung fällt kein gutes Licht, wenn ein Bauer der Afghanin zwar zunächst einen Apfel gibt, aber sogleich auch das Handy zückt, mit dem er wohl die Grenzwachen verständigt.


Durch die Fokussierung auf einzelnen Figuren bekommt hier ein bewegendes Gesicht, wovon die Medien meist pauschal berichten. Nicht von Zahlen ist hier die Rede, sondern erschütternde persönliche Schicksale werden vermittelt und auch der nüchterne Begriff "Pushback" wird hier mit ebenso konkretem wie schockierendem Inhalt gefüllt.


Die entscheidende Qualität von "Green Border" besteht aber darin, dass sich Agnieszka Holland nicht auf die Perspektive der Flüchtlinge beschränkt. So folgt auf das Kapitel "Die Familie", ein kürzerer Abschnitt, in dem ein polnischer Grenzwachbeamter im Zentrum steht und in dem die Menschenverachtung der Führungsbeamten angeprangert wird. Wohl auch um seine Leute aufzuhetzen und aggressiv zu machen, sprechen diese nämlich in Bezug auf die Flüchtlinge nicht von Menschen, sondern bezeichnen sie als Waffen im Rahmen der hybriden Kriegsführung von Lukaschenko und Putin.


Eine weitere Perspektive kommt ins Spiel mit einer Gruppe von Aktivist:innen, die versuchen die Menschen aus diesem Waldgebiet, in dem auch Sümpfe drohen, zu retten. Und mit dem letzten Abschnitt "Julia" rückt schließlich eine Psychologin in den Mittelpunkt, die sich unter dem Eindruck eines tragischen Erlebnisses in den Wäldern von einer passiven Frau zur engagierten Kämpferin für die bedauernswerten Migrant:innen wandelt.


Mit diesem multiperspektivischen Ansatz zeichnet Holland einerseits ein komplexes Bild der Situation, stellt andererseits aber auch eindringlich dem Zynismus und der Menschenverachtung der Behörden die Menschlichkeit der Aktivist:innen und einzelner Zivilist:inneen gegenüber. Bewundernswert ist, wie souverän die 75-jährige Altmeisterin, deren bekanntester Film wohl "Hitlerjunge Salomon" (1992) ist, die Zügel dabei in der Hand hält. Nie verliert sie den Überblick, sondern führt bei den unterschiedlichen Perspektiven die einzelnen Geschichten immer wieder zusammen und schließlich auch zu Ende.


Hoch anzurechnen ist ihr aber auch, dass sie eben nicht in Elendspornografie verfällt, sondern nach dem heftigen und erschütternden Beginn, auch wenn tragische Ereignisse nicht ausbleiben, sukzessive doch auch Momente der Hoffnung setzt und dabei auch die Kraft der Zivilcourage und die Macht einer sich organisierenden Zivilgesellschaft zeigt.


Da finden polnische und afrikanische Teenager, die in einem Haus Unterschlupf finden, über die Musik zueinander und auch ein Grenzbeamter ringt sich zu menschlichem Handeln durch. Doch nie lassen diese einzelnen positiven Momente die schrecklichen Vorgänge an der Grenze vergessen. Dafür sorgen bis zum Ende Szenen, in denen immer wieder die Brutalität und der Sadismus der Behörden sichtbar und angeprangert werden.


Klug wird in einem Epilog aber auch der Bogen zum Beginn des Ukraine-Kriegs geschlagen und der selbstverständlichen und fürsorglichen Aufnahme von rund zwei Millionen ukrainischen Flüchtlingen das unbarmherzige und unmenschliche Vorgehen gegenüber den Flüchtlingen aus anderen Ländern gegenübergestellt, das seit 2014 rund 30.000 Menschen das Leben kostete.


Ambivalent bleibt dabei dieser Schluss, denn er zeigt einerseits wie Mitmenschlichkeit im Großen aussehen könnte und sollte, prangert aber andererseits auch einen europäischen Rassismus an, der Menschen mit zweierlei Maß misst. – Denn an der belarussisch-polnischen Grenze scheinen Gewalt und Pushbacks anzudauern.

 

Green Border Polen / USA / Frankreich / Tschechien / Belgien / Deutschland / Türkei 2023 Regie: Agnieszka Holland mit: Jala Altawil, Maja Ostaszewska, Tomasz Włosok, Behi Djanati Atai, Mohamad Al Rashi, Dalia Naous, Piotr Stramowski, Jaśmina Polak, Marta Stalmierska Länge: 147 min.


Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen

Filmkulturclub Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 20.3., 18 Uhr + Do 21.3., 19.30 Uhr



Trailer zu "Green Border"



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