
Anja Salomonowitz zeichnet in einer Collage aus fragmentarischen Szenen ein Bild von Leben und Schaffen der österreichischen Künstlerin Maria Lassnig (1919 – 2014). – Ein vielschichtiger Hybrid aus Spielfilm und Dokumentarfilm, in dem Lassnig in den unterschiedlichsten Lebensaltern von Birgit Minichmayr verkörpert wird.
Enttäuscht und verwirrt wird man sein, wenn man mit dem Gedanken an ein Künstlerporträt im Stil von Wim Wenders´ "Anselm - Das Rauschen der Zeit" (2023) oder eines der zahlreichen Künstler-Biopics wie Julian Schnabels "Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit" (2018) oder Mike Leighs "Mr. Turner – Meister des Lichts" ins Kino geht.
Anja Salomonowitz ist nämlich nicht an einer chronologischen Nacherzählung des Lebens der 1919 in Kärnten geborenen Maria Lassnig interessiert und will auch nicht ein vollständiges Bild zeichnen. Vielmehr reiht die Österreicherin in freier Erzählweise Szenen aneinander, in der sie quer durch die Zeiten und Orte springt.
Einziges Bindeglied ist so Birgit Minichmayr, die Großartiges leistet, wenn sie ganz ohne Maske Lassnig sowohl als Kind als auch als zunächst zurückhaltende, später als selbstbewusste Künstlerin und als Greisin spielt. Gleich bleiben zwar ihre Frisur und ihre Brille, aber Körperhaltung, Gesichtsausdruck oder auch eine Krücke und ein Krankenbett markieren doch immer die unterschiedlichen Lebensalter.
Den Titel ihres Films hat Salomonowitz dem gleichnamigen Bild Lassnigs (1975) entnommen und tatsächlich streift auch einmal ein animierter Tiger durch ihre Wiener Wohnung. Nicht der einzige surreale Moment ist das in diesem verspielten Hybrid von Spielfilm und Dokumentarfilm, helfen doch einmal auch Ameisen Lassnig beim Tragen ihrer Gemälde.
Ohne Zeitinserts wechselt der Film zwischen Kindheitsszenen in Kärnten, in denen ihre Mutter das künstlerische Talent Marias erkennt, aber auch finanziell ausnutzt, Momenten in ihrem Atelier in New York oder einer Galerie, in der sie unzufrieden ist, über die Aufstellung und Anordnung ihrer Bilder.
Wenn schon in der ersten Einstellung eine Schulterpartie und ein Rücken in Detailaufnahme ins Bild gerückt werden, stimmt Salomonowitz schon auf Lassnigs Fokussierung auf dem menschlichen Körper ein. Wie es Ziel der Künstlerin war vor allem Gefühle auszudrücken und in Körperbildern das Innen nach Außen zu kehren, so interessiert sich auch Salomonowitz nicht für Fakten, sondern will vielmehr in der Collage von fragmentarischen Szenen ein Bild des Empfindens und der Gefühlswelt von Lassnig vermitteln.
Ihre Gemälde sind dabei nicht nur in den inszenierten Szenen zu sehen, sondern werden auch immer wieder dazwischen ebenso leinwandfüllend vor weißem Hintergrund eingeblendet wie einer ihrer Kurzfilme. Damit kommt ebenso ein dokumentarisches Element ins Spiel, wie mit einem Interview mit der Fotografin Elfi Semotan oder wenn Maria Nicolini, die die Großmutter Lassnigs spielt, aus ihrer Rolle heraustritt und direkt in die Kamera Forschungsergebnisse zur Künstlerin referiert.
Wie die traumatische Erfahrung von der Mutter verlassen worden zu sein, nicht nur die Kindheitsszenen, sondern auch der Tagebucheintrag "sie hat mich verlassen" vermitteln, so wird in einer Szene einer Ausstellungseröffnung der "Hundsgruppe", bei der ihr zehn Jahre jüngerer Geliebter Arnulf Rainer (Oskar Haag) das bürgerliche Publikum beschimpft, spürbar, wie sie immer darunter litt in der männlich dominierten Kunstwelt nicht voll akzeptiert zu werden.
Gleichzeitig macht eine Ausstellung in der Londoner Serpentine Gallery oder der Verkauf ihrer Bilder im Wiener Auktionshaus Dorotheum zu Rekordsummen die herausragende Bedeutung Lassnigs sichtbar, während andere Szenen wieder ihre enge Bindung zu ihren Bildern, die sie als ihre Kinder sieht und nicht verkaufen will, ins Zentrum rücken.
Zu einem geschlossenen Bild sollen sich die einzelnen Szenen wohl bewusst nicht fügen, sondern vielmehr signalisieren, dass man einen Menschen nie ganz, sondern immer nur bruchstückhaft erfassen kann. Doch die Splitter vermitteln insgesamt doch einen vielschichtigen Eindruck dieser herausragenden Künstlerin des 20. Jahrhunderts und regen zu einer intensiveren Beschäftigung mit ihr an.
Mit einem Tiger schlafen Österreich 2024 Regie: Anja Salomonowitz mit: Birgit Minichmayr, Lukas Watzl, Oskar Haag, Johanna Orsini, Maria Nicolini, Josef Kleindienst, Saladin Dellers, Justine Parsons Länge: 107 min.
Läuft derzeit in den österreichischen Kinos. Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do, 9.5., 20 Uhr TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Mo 20.5. bis Sa 25.5.
FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 22.5., 18 Uhr + Do 23.5., 19.30 Uhr
Trailer zu "Mit einem Tiger schlafen"
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