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  • AutorenbildWalter Gasperi

Anselm - Das Rauschen der Zeit


Mit fantastischen 3-D-Bildern lässt Wim Wenders in das Werk des Künstlers Anselm Kiefer eintauchen, spart aber auch dessen künstlerische Entwicklung nicht aus: Kein konventioneller Dokumentarfilm, sondern ein assoziativer Bilderfluss, der ein visuell überwältigendes Erlebnis bietet.


In langsamer Fahrt gleitet die Kamera von Franz Lustig auf in freier Natur stehende kopflose Frauenstatuen in weißen Hochzeitskleidern zu und um diese herum. Die 3-D-Technik sorgt für ein intensives Raumerlebnis, das diese Kunstwerke hautnah wie in einem Museum erleben lässt.


Verstärkt wird dieses Erlebnis im Folgenden durch die monumentalen "Türme der sieben Himmelspaläste", die in den späten 1980er Jahren auf dem 35 Hektar großen Industriegelände einer stillgelegten Seidenspinnerei im südfranzösischen Barjac entstanden.


Ausgehend von diesen ersten Eindrücken nähert sich Wim Wenders Anselm Kiefer, indem er ihn bei seinem Schaffen in seinem Atelier am Rand von Paris mit der Kamera begleitet.


Wieder dominiert Monumentalität, wenn die Kamera Kiefer in Flugaufnahme erfasst, während er mit dem Fahrrad durch das riesige Atelier fährt, oder zeigt, wie sich der Künstler mit einer Hebebühne an einem wohl rund 10 Meter hohen Gemälde hochfahren lässt. Aber auch Kiefers Einfallsreichtum wird sichtbar, wenn er Stroh auf ein Gemälde aufträgt und dieses dann mit einem Flammenwerfer bearbeitet oder flüssiges Blei auf eines seiner Werke gießt.


Von der Gegenwart geht der Blick zurück auf die Biographie. Die Parallelen zu Wenders´ eigenem Leben haben den deutschen Regisseur dabei sicher besonders interessiert und fasziniert. Beide wurden nämlich 1945 geboren, beide verbrachten ihre Kindheit auf dem Land und studierten zur gleichen Zeit in Freiburg – Wenders Medizin und Kiefer Jura -, ehe Kiefer an die Kunstakademie und Wenders an die Filmhochschule ging.


1991 begegneten sich der Künstler und der Filmemacher das erste Mal. Schon damals zogen sie in Erwägung, gemeinsam einen Film zu machen, doch dann verloren sie sich aus den Augen. 32 Jahre später ist nun aber doch ein Film entstanden, der freilich mit herkömmlichen Dokumentarfilmen wenig gemein hat.


Wie schon bei seinem Film über Pina Bausch ("Pina", 2011) spart Wenders alles Private aus und fokussiert ganz auf dem künstlerischen Werk und wieder versteht er es wie nur wenige andere Regisseure 3-D so zu nutzen, dass sich daraus ein echter Mehrwert ergibt. Eintauchen lassen diese gestochen scharfen Bilder in den Kosmos von Anselm Kiefer. - Wie muss dieser Film erst in 6 K-Auflösung wirken, in der "Anselm" gedreht wurde, die aber derzeit noch kein Kino spielen kann.


Auf Off-Kommentar verzichtet Wenders ebenso wie auf klassische Interviews. Er begleitet vielmehr Kiefer und bietet teils mit dessen eigenen Erklärungen, teils mit Archivmaterial und teils auch mit nachgestellten Szenen, in denen Wenders´ Großneffe Anton den zehnjährigen Künstler und Kiefers Sohn Daniel den 40-Jährigen spielt, Einblick in dessen Denken und dessen künstlerische Laufbahn.


Gedichte von Paul Celan und Ingeborg Bachmann, die wichtige Inspirationsquellen waren, werden zitiert und das Unverständnis über Martin Heideggers Einstellung zum Nationalsozialismus wird mit einem Kunstbuch illustriert, in dem Kiefer einen Tumor im Kopf des Philosophen wachsen lässt.


Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und das Schweigen darüber in der deutschen Nachkriegszeit wird als zentral für Kiefers Werk herausgearbeitet. Um an diese Zeit zu erinnern, goss er Kampfflugzeuge in Beton nach oder ließ sich vor europäischen Gebäuden der Zeitgeschichte in der Wehrmachtsuniform seines Vaters mit Hitlergruß fotografieren. Vorwürfe des Neofaschismus blieben nicht nur wegen dieser provokanten Aktion aus, sondern auch wegen seines großen Interesses für deutsche Heldenfiguren und der Monumentalität seiner Werke.


In Archivmaterial, das teilweise in die damalige Zeit versetzt, indem es Wenders in einem alten Röhrenfernseher laufen lässt, wird diese damalige Kritik sichtbar. Einer Stellungnahme dazu enthält sich der als Hommage angelegte Film. Vorwerfen kann man Wenders diese einseitig verherrlichende Haltung, unbestreitbar ist aber, dass "Anselm – Das Rauschen der Zeit" durch die fließende Montage, die Gegenwart, Archivmaterial und Spielszenen bruchlos verbindet, einen großen Sog entwickelt.


Schlüssig wird so der Weg von mehreren Ateliers in Odenwald an die Kunstakademie Düsseldorf zu Joseph Beuys und über die Gestaltung des westdeutschen Pavillons bei der Biennale von Venedig 1980 bis zu einer triumphalen Wanderausstellung durch die USA und die Errichtung des gewaltigen Ateliers in Barjac nachgezeichnet. – Wie dabei in assoziativem Bilderfluss Informationen und intensives immersives Erlebnis eines aufregenden und vielfältigen Werks ineinanderfließen, macht diesen "Kunstfilm" zu einem außergewöhnlichen Ereignis, das freilich nur im Kino – und am besten in 3 D – seine Wirkung entfaltet.

Anselm – Das Rauschen der Zeit Deutschland /Frankreich / Italien 2023 Regie: Wim Wenders Dokumentarfilm mit: Anselm Kiefer, Daniel Kiefer, Anton Wenders Länge: 93 min.


Läuft jetzt in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen Filmforum Bregenz im Metrokino Bregenz: Do, 2.11., 20 Uhr TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Do 9.11. bis Mi 15.11.


Trailer zu "Anselm - Das Rauschen der Zeit"


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