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  • AutorenbildWalter Gasperi

70. Berlinale: Solider Start des Wettbewerbs

Aktualisiert: 1. März 2020


Gekonnt mischt die Argentinierin Natalia Meta in „El profugo – The Intruder“ Psychothriller mit Psychogramm, während Giorgio Diritti in „Volevo Nascondermi – Hidden Away“ das Leben des naiven Malers Antonio Ligabue nachzeichnet.


Selten findet man Genrekino im Wettbewerb großer Filmfestivals. Dass Carlo Chatrian sein erstes Bärenrennen gerade damit eröffnet, überrascht doch etwas. Ein klassischer Psychothriller ist nämlich Natalia Metas „El profugo – The Intruder“ von der Handlung her, darin verpackt geht es aber doch vor allem um den Umgang mit einem Trauma und um eine psychische Störung.


Im Zentrum steht Inés, die als Synchronsprecherin arbeitet und gleichzeitig in einem Chor singt. Trifft sie dabei am Beginn noch die Töne genau, so stellen sich bei der Arbeit ebenso wie im Chor nach einem traumatischen Erlebnis zunehmend Probleme ein. Nebengeräusche scheinen ihre Stimme zu begleiten, gleichzeitig leidet sie auch zunehmend unter Schlafstörungen, wird von Alpträumen verfolgt und sieht Menschen, die sich bald als Einbildung herausstellen.


Indem Meta ganz aus der Perspektive von Inés erzählt, lässt er den Zuschauer in deren Wahrnehmung eintauchen. Wie die Protagonistin wird man so getäuscht, kann selbst bald nicht mehr klar unterscheiden, was Realität und was Imagination ist. Zunehmend belasten diese Störungen, für die es keine physiologische Erklärung gibt, Inés freilich, sodass sie immer unsicherer agiert. Alle Lösungsversuche scheinen zu scheitern, bis sie sich diesen inneren Stimmen hinzugeben scheint, das Unterbewusste zulässt und so Befreiung findet.


Etwas abrupt mag dieses Ende kommen, doch sorgfältig entwickelt Meta die Handlung davor, lässt den Zuschauer intensiv Inés zunehmende Beklemmung erfahren und macht gleichzeitig mit dem finalen Twist eindringlich bewusst, wie wichtig es ist dieses Unterbewusste zuzulassen, nicht nach außen eine schöne Form vorzugeben, sondern eben sein eigenes Ich zu finden und sein Inneres – oder seine innere Stimme - zuzulassen.


Sich zu verstellen war dem als Sohn einer Italienerin 1899 in Zürich geborenen Antonio Ligabue fremd. Mehrfach wurde er in psychiatrische Anstalten eingewiesen und mit einer Untersuchung durch einen Arzt zur Zeit des Faschismus setzt Giorgio Dirittis Biopic „Volevo Nascondermi – Hidden Away“ auch ein.


Immer wieder brechen in dieser ersten Szene abrupt Erinnerungen Antonios an seine Kindheit in der Schweiz, an seine Ausgrenzung in der Schule und an Erfahrungen in autoritär geleiteten Heimen bis hin zur Ausweisung aus der Schweiz wegen Landstreicherei und Kleinkriminalität herein.


Verlacht und ausgegrenzt wurde er auch in der Poebene, wo er sich niederließ, bis ein Bildhauer sich seiner annahm und Antonio seine Leidenschaft fürs Malen entdeckte und Anfang der 1960er international als wichtiger Vertreter der Art brut gefeiert wurde.


Auf Zeitinserts verzichtet Diritti, ist nicht so sehr an einer faktenreichen Biographie interessiert als vielmehr an einem Charakterporträt dieses Malers, der sich zeitlebens nach Anerkennung sehnte und auf Zurückweisung immer wieder aggressiv reagierte. So spannend freilich der Beginn ist, in dem es auch um das Verhältnis von Individuum und einer Gesellschaft, die die Eigenheiten des Individuums ausmerzen will, geht, so sehr rücken doch mit Fortdauer zunehmend die äußeren Ereignisse in den Mittelpunkt und geht die Tiefe verloren.


In der atmosphärisch dichten Evokation des ländlichen Lebens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Einbettung in die Po-Ebene erinnert „Volevo Nascondermi - Hidden Away“ zwar an Ermanno Olmis „Der Holzschuhbaum“ oder „Padre Padrone“ von den Taviani-Brüdern, doch allzu klassisch und überraschungsarm ist die Erzählweise. Unbeschränkte Bewunderung verdient allerdings der Hauptdarsteller Elio Germano, der sich mit seiner Verkörperung von Antonio Ligabue schon einmal für den Darstellerpreis empfiehlt.


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