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  • AutorenbildWalter Gasperi

70. Berlinale: Mythisch-Märchenhaftes von Christian Petzold und Matteo Garrone

Aktualisiert: 1. März 2020


Nach Kelly Reichardts „First Cow“ sorgte Christian Petzolds “Undine” für ein zweites Highlight im Wettbewerb, im Berlinale Special präsentierte dagegen Matteo Garrone seine Adaption von „Pinocchio“.


Gespensterhaftes zieht sich durch die Filme von Christian Petzold von der untergetauchten Terroristenfamilie in „Die innere Sicherheit“ über die quasi als Untote wiederkehrende Yella im gleichnamigen Film und die Adaption von Grimms Märchen „Das Totenhemdchen“ mit „Gespenster“ bis zu der Rückkehr vermeintlich Toter im Nachkriegsfilm „Phoenix“.


Diese Linie setzt Petzold mit „Undine“, der den Auftakt einer Trilogie über Figuren der deutschen Romantik bilden soll, fort. Zwar erscheint die titelgebende Protagonistin als in der heutigen Realität verwurzelte Historikerin (Paula Beer), die Führungen zur Architekturgeschichte Berlins macht, doch bald schon tritt ihre Affinität zum Wasser zu Tage.


Als sich ihr Partner Johannes von ihr trennt, droht sie ihm zwar seine Ermordung an, begegnet aber wenig später dem Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski). Rasch entwickelt sich eine Beziehung und er nimmt sie mit auf einen seiner Tauchgänge, doch als er sie über ihren früheren Freund befragt, kommt es zu Differenzen und bald zu tragischen Ereignissen.


Wie oft in seinen Filmen verbindet Petzold souverän die mythisch-geisterhafte Ebene mit heutiger Realität. Die gesellschaftliche Komponente, die in früheren Filmen wie „Yella“ oder „Die innere Sicherheit“ den Hintergrund bildete, spart er in „Undine“ zwar vordergründig aus, spiegelt aber die Befindlichkeit Undines in ihren Vorträgen zur Stadtarchitektur. Wie sie dabei nämlich immer wieder auf die Leerstellen und Zerstörungen im Stadtbild hinweist und diese im Stadtmodell durch farbliche Abhebung auch klar hervorgehoben sind, so führen die Beziehungsbrüche auch zu schmerzenden Verlusterfahrungen in ihrem Leben.


Gerade aus der Verbindung von heutiger Welt und Mythischem, gewissermaßen von festem Grund und fließenden Unterwasserszenen, entwickelt dieser Film, der gewohnt kühl, aber sehr konzentriert und mit einer präzisen Bildsprache, durch die nichts beliebig wirkt, sondern jedes Bild Bedeutung gewinnt und sich einprägt, inszeniert ist, große Faszination und Sogkraft.


Klar sind die Bilder, alles scheint offen da zu liegen, nicht mehr als eine Beziehungsgeschichte scheint erzählt zu werden und doch bewahrt der mit Paula Beer, die in den Filmen Petzolds seit „Transit“ die Nachfolge von Nina Hoss angetreten hat, und Franz Rogowski auch stark gespielte Film ein Geheimnis, dass ihn nachwirken lässt.


Einen Gegenpol zu dieser Aktualisierung eines Mythos bildet Matteo Garrones ausgesprochen werkgetreue Verfilmung von Carlo Collodis 1883 erschienenem Kinderbuch „Pinocchio“. In jeder Einstellung spürt man die Liebe Garrones zur Vorlage. Empathisch ist sein Blick auf den armen, von Roberto Benigni mit Herzblut gespielten Tischler Gepetto ebenso wie auf dessen lebende Holzfigur Pinocchio und bewegend erzählt er so eine Vater-Sohn-Geschichte, übernimmt aber auch eins zu eins die konservative Botschaft, bei der Kinder Bestrafungen vor Augen gestellt werden, falls sie den Eltern nicht gehorchen, die Schule schwänzen, lügen oder auch leichtgläubig Betrügern wie Fuchs und Katze folgen.


Von der überschäumenden Fabulierfreude, die Garrones „Das Märchen der Märchen“ kennzeichnete, ist hier nichts zu finden, vielmehr hält sich der mit "Gomorrha" berühmt gewordene Regisseur zurück, stellt sich ganz in den Dienst der Vorlage und erzählt so breit, langsam und auch bieder, dass heutige Kinder sich dafür wohl kaum mehr begeistern können, während andererseits für Erwachsene abseits des Augenschmauses nichts geboten wird.


Staunen kann man freilich über die liebevollen Kostüme und darüber, wie die pittoreske Landschaft der Toscana und die von Schauspielern gespielten Märchenfiguren wie Pinocchio, Fuchs und Katze oder eine Schnecke mit viel Gespür und Gefühl kombiniert und wie digitale Animation aufs Nötigste beschränkt wird, einen neuen Ansatz, einen eigenen Blick auf den Kinderbuchklassiker sucht man aber vergebens.


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