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Quand vient l´automne – Wenn der Herbst naht

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 29. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit
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François Ozon entwickelt in seinem 23. Kinofilm um zwei alternde Freundinnen und ihre schwierigen Beziehungen zu ihren erwachsenen Kindern einen komplexen Mix aus Familiendrama und Thriller: Ein von zwei großartigen Hauptdarstellerinnen getragener, sanft-melancholischer Film, der seine Geheimnisse nur langsam preisgibt und vieles in der Schwebe lässt.


Fast jedes Jahr bringt François Ozon einen neuen Film heraus und scheint sich dabei immer wieder neu zu erfinden. Während "Quand vient l´automne" hierzulande in den Kinos startet, feiert seine Neuverfilmung von Albert Camus "L'Étranger" schon beim Filmfestival von Venedig Premiere.


Sexualität und Genderfragen ziehen sich durch sein Werk, aber mit "Ricky" (2009) hat er auch einen sozialrealistisch geerdeten Fantasyfilm gedreht, mit "Grâce à Dieu" ("Gelobt sei Gott", 2018) einen Fall von Missbrauch in der katholischen Kirche Frankreichs aufgearbeitet und in "Tout s’est bien passé" ("Alles ist gut gegangen", 2021) sich dem Thema Sterbehilfe gewidmet.


Mühelos wechselt er auch zwischen einem historischen Liebesdrama wie "Frantz" (2016) und einer Komödie wie "Mon Crime" ("Mein fabelhaftes Verbrechen", 2023). Waren seine Protagonist:innen bislang nicht nur meistens weiblich, sondern auch meistens jung, so schlägt er mit "Quand vient l´automne" nochmals einen neuen Ton an, wenn er zwei alternde Freundinnen ins Zentrum rückt. Vor Jahrzehnten lernten sich Michelle (Hélène Vincent) und Marie-Claude (Josiane Balasko) in Paris kennen, jetzt leben sie in einer Kleinstadt im Burgund.


Gemeinsam sammeln sie in den herbstlichen Wäldern Pilze und Michelle fährt ihre Freundin zum Gefängnis, wo sie ihren Sohn Vincent (Pierre Lottin) besucht. Wieso er im Gefängnis sitzt, wird nie erklärt, nur von früheren Dummheiten wird gesprochen. Während Vincent aber seine Mutter liebt und nach seiner Haftentlassung auch eine freundschaftliche Beziehung zu Michelle entwickelt, ist das Verhältnis zwischen Michelle und ihrer erwachsenen Tochter Valerie (Ludivine Sagnier) sehr angespannt.


Der Mutter-Tochter-Konflikt verschärft sich, als Valerie mit ihrem etwa achtjährigen Sohn Lucas (Garlan Erlos) aus Paris ins Burgund zu Besuch kommt. Vor allem Geld will die Tochter, macht ihrer Mutter nur Vorwürfe und vollends zum Bruch kommt es, als Valérie nach einer Pilzvergiftung im Krankenhaus landet. Nach der Genesung reist sie sofort ab und auch jeden Kontakt zwischen Michelle und Lucas, der ursprünglich seine Ferien bei der Oma verbringen hätte sollen, will sie unterbinden.


Erst langsam erschließt sich, was die Hintergründe dieses Konflikts sind und spannend macht "Quand vient l´automne" seine Offenheit. Rätseln kann man hier lange, in welche Richtung sich die Handlung denn entwickeln wird und worum es eigentlich geht, obwohl retrospektiv gesehen schon die allererste Szene ein Kernthema vorgegeben hat.


Ein Vergnügen ist es den beiden Hauptdarstellerinnen Hélène Vincent und Josiane Balasko zuzusehen. Bewegend vermitteln sie die Sorgen des Alterns, wenn die 81-jährige Vincent als Michelle zwar durchaus zufrieden scheint mit ihrem selbstbestimmten Leben im alten Haus, aber nicht nur mit der Gartenarbeit zunehmend überfordert ist. Sorgen macht sie sich auch um ihr nachlassendes Gedächtnis und die Pilzvergiftung ihrer Tochter löst bald schwere Schuldgefühle aus. Von Anfang an im Hintergrund steht Michelles Freundin, doch auch deren Unsicherheit wird im Spiel der 75-jährigen Josiane Balasko in jeder Szene spürbar.


Aber auch in der Besetzung der Tochter Michelles mit Ludivine Sagnier erzählt Ozon vom Altern. Immer wird man bei dieser Schauspielerin wohl die Jugendlichkeit im Kopf haben, die sie in Ozons "Swimmingpool" (2003) ausstrahlte, doch 22 Jahre später spielt sie nun eine psychisch schwer angeschlagene Frau.


Dazu kommen die von warmen Gelb- und Brauntönen bestimmten herbstlichen Wälder und das verwachsene Haus von Michelle, die nicht nur perfekt mit der Thematik des Alterns korrespondieren, sondern auch Erinnerungen an den Indian Summer in "All That Heaven Allows" ("Was der Himmel erlaubt", 1955) von Douglas Sirk, einem der Lieblingsregisseure Ozons, wecken. Über diese visuelle Reverenz hinaus lassen sich aber auch inhaltliche Parallelen zwischen Sirks großem Melodram und Ozons Genre-Hybrid finden.


Zum Familiendrama, das ganz auf die beiden Freundinnen und ihre Kinder sowie den Enkel fokussiert, kommt aber auch noch eine Thrillerebene. Offen bleibt nämlich, ob Michelle ihre Tochter vielleicht doch mit ihrem Pilzgericht beseitigen wollte und wie der Zusammenbruch durch die Vergiftung ausgespart wird, zieht sich auch in einer Szene in Paris die Kamera vor dem dramatischen Ereignis zurück und lässt die Vorgänge somit in der Schwebe.


Stoßen kann man sich freilich an den Geistererscheinungen, die Ozon einbaut, wirken diese doch reichlich kitschig und auch ein großer Zeitsprung im Finale irritiert. Denn obwohl hier Jahre vergangen sind, scheinen Smartphones und Autos unverändert. Doch gering wiegen diese Einwände angesichts dieses wunderbar eigenwilligen Films, der auch sehr rund und sanft in einem wiederum herbstlich bunt leuchtenden Wald endet.

 

Quand vient l´automne – Wenn der Herbst naht Frankreich 2024 Regie: François Ozon mit: Hélène Vincent, Josiane Balasko, Ludivine Sagnier, Pierre Lottin, Garlan Erlos, Sophie Guillemin Länge: 104 min.



Läuft derzeit in den KInos, z.B. im Cinema Dornbirn, Kinok St. Gallen und ab 1.9. im Kino GUK in Feldkirch


Trailer zu "Quand vient l´automne – Wenn der Herbst naht"



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