
Vier Menschen im Dialog, teilweise zu zweit, teilweise gemeinsam, aber immer wieder wird auch die filmische Fiktion transparent gemacht: Quentin Dupieux legt eine weitere ebenso schräge wie unterhaltsame Komödie vor, in der er lustvoll Fragen nach Realität und Fiktion aufwirft und schließlich auch die KI ins Spiel bringt.
Quentin Dupieux gehört zu den Schnellfilmern des aktuellen Kinos. 12 Spielfilme hat er in den letzten 14 Jahren gedreht, keiner davon freilich wesentlich länger als 70 Minuten, was Erinnerungen an den amerikanischen Westernregisseur Budd Boetticher weckt. Mit diesen schrägen Komödien hat sich der Franzose den Ruf eines Meister des Absurden erworben. Gemeinsam ist vielen seiner Filme von "Rubber" (2010) über "Monsieur Killerstyle" ("Deerskin" / "Le Daim", 2019) bis zu "Daaaaaali!" (2023) aber auch das metafilmische Spiel mit Fiktion und Realität.
Reduzierter als seine bisherigen Filme ist nun "Le deuxième acte": Fast ausschließlich mit fünf Schauspieler:innen sowie einem Restaurant und einem großen Feld als Schauplätze kommt der Franzose aus. Auch auf Absurditäten wie eine Riesenfliege in "Mandibules" ("Eine Fliege kommt selten allein", 2020), eine mordende Lederjacke in "Monsieur Killerstyle" oder einen mordenden Autoreifen in "Rubber" verzichtet Dupieux. Die Handlung beschränkt sich weitgehend auf die Dialoge von vier Personen, Groß- und Nahaufnahmen dominieren, Räume spielen kaum eine Rolle.
Mit dem Aufsperren des im Nirgendwo gelegenen, titelgebenden Restaurants setzt "Le deuxième acte" ein, ehe sich der Film den Freunden David (Louis Garrel) und Willy (Raphaël Quenard) zuwendet. In einem schier endlos langen Gespräch, bei dem die Kamera dem Duo in einer einzigen ungeschnittenen Einstellung auf einem Feldweg folgt, bittet David Willy, die bezaubernde Florence (Léa Seydoux) zu verführen, da sie ihn hartnäckig umwirbt, er aber nichts für sie empfindet und sie loswerden möchte.
Schräg, aber banal ist das Gespräch auf der inhaltlichen Ebene, entwickelt aber großen Witz durch die Durchbrechung der filmischen Realität. Immer wieder machen nämlich die beiden Figuren transparent, dass sie hier Rollen spielen und thematisieren die heutige Political Correctness, wenn Willy despektierlich über Transsexualität, Homosexualität oder Behinderung spricht.
Gleichzeitig fragt die Szene aber auch nach Schein und Sein und feiert schließlich auch die grandiose Schauspielkunst von Louis Garrel und Raphaël Quenard, die fließend zwischen Rolle und Thematisierung der Rolle wechseln.
Nicht minder beeindruckend ist als Gegenstück dazu das darauf folgende Gespräch zwischen Florence und ihrem Vater Guillaume (Vincent Lindon), die unterwegs zum Treffen mit David im Restaurant "Le deuxième acte" sind. Auch diese Szene spielt auf einem Feld, wird ebenfalls in einer ungeschnittenen Kamerafahrt gefilmt und wieder wird die filmische Realität durchbrochen. Denn Guillaume klagt einerseits über die drittklassigen Indie-Filme, in denen er spielen muss, gerät andererseits völlig außer Fassung, als ihn seine Agentin anruft, um ihm mitzuteilen, dass Paul Thomas Anderson ihn in seinem nächsten Film besetzen will.
Zusammengeführt werden die beiden Erzählstränge schließlich im Restaurant. Hier bleiben nicht nur Kontroversen zwischen den vier Charakteren aus, sondern auch sexuelle Übergriffigkeit wird thematisiert, Guillaumes Prahlen mit der Rolle in einem Paul Thomas-Anderson-Film ruft Eifersucht hervor und Florence ruft verärgert über die Rolle in diesem Film nicht nur ihre Agentin, sondern auch ihre Mutter an, die als Chirurgin gerade einen Patienten operiert.
Mehrfach macht dabei auch der ebenso abrupte wie kurze Einsatz romantischer Musik transparent, wie die Stimmung von Szenen verändert werden kann. Aber auch mit dem Kellner wird die filmische Ebene durchbrochen. Scheint seine Nervosität, die ihn mehr Wein verschütten als ins Glas schütten lässt, nämlich zunächst zu seiner Rolle zu gehören, so gesteht er bald, dass er so nervös sei, weil er erstmals als Statist bei einem Film mitwirke.
Nicht genug damit, stellt sich bald auch noch heraus, dass bei diesem Film eine KI für Drehbuch und Regie verantwortlich zeichnet. Hinreißende Kritik übt Dupieux hier, wenn er diese vom Laptop aus nur Vorgaben der Produzenten erfüllen lässt und wenn diese die Honorare der Schauspieler:innen beim Abweichen vom Drehbuch kürzt, bis schließlich der Computer abstürzt.
Spiegelbildlich zum Anfang wiederholen sich am Ende die langen Spaziergänge mit einer ungeschnittenen Einstellung, doch nun sind die Paarbeziehungen verschoben, geht doch jetzt Guillaume mit Willy als schwules Paar und Florence mit David durch das Feld. Und auch eine dramatische Szene wiederholt sich. – Offen bleibt, ob sie nun immer noch Film im Film oder filmische Realität ist.
Bei diesem Spiel mit Fiktion und Realität legt schließlich David noch eins drauf, wenn er gegenüber Florence – ganz im Stile des Science-Fiction-Films "Matrix" (1999) - erklärt, dass er glaube, dass die gesamte Realität Fiktion, die Fiktion aber Realität sei.
Dupieux bietet so mit dieser schrägen Komödie zunächst einmal seinen lustvoll aufspielenden Schauspieler:innen eine große Bühne, um alle Register ihres Könnens zu ziehen. Gleichzeitig reflektiert er aber auch dank großartiger Dialoge und herrlich schräger Details nicht nur sehr unterhaltsam über Fiktion und Realität, sondern wirft auch einen bissigen Blick auf das Filmgeschäft in Zeiten von ausgeprägter Political Correctness, Cancel Culture und KI.
Le deuxième acte – The Second Act
Frankreich 2024 Regie: Quentin Dupieux mit: Léa Seydoux, Louis Garrel, Vincent Lindon, Raphaël Quenard, Manuel Guillot Länge: 80 min.
Läuft derzeit in den österreichischen Kinos, z.B. im Kino GUK in Feldkirch.
Trailer zu "Le deuxième acte – The Second Act"
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