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  • AutorenbildWalter Gasperi

Mandibules


Zwei völlig abgebrannte und nicht besonders intelligente Freunde wollen eine Riesenfliege dressieren, um mit ihr eine Bank zu überfallen: Willkommen im Universum von Quentin Dupieux, der derzeit wohl der Großmeister des Kinos des Absurden genannt werden darf.


In "Rubber" (2010) schickte Quentin Dupieux, der unter dem Pseudonym Mr. Oizo auch als Elektro-House-Musiker tätig ist, einen mordenden Autoreifen durch die kalifornische Wüste, in "Le Daim - Deerskin (Monsieur Killerstyle)" entwickelte eine Wildlederjacke ein Eigenleben und ergriff Besitz von ihrem Besitzer. Nun steht eine Riesenfliege im Zentrum der Handlung.


Mehr als die Figuren bleiben diese Objekte und Tiere in Erinnerung, denn Charakterzeichnung interessiert Dupieux nicht. Ansatzlos setzen seine meist nur gut 70 Minuten langen Filme ein, auf jede Backstory zu den Protagonisten wird verzichtet. So erhält hier Manu (Gregoire Ludig), während er am Strand in einem Schlafsack liegt, der wie ein Kokon wirkt, von einem Mann den Auftrag einen Koffer abzuholen und an einer bestimmten Adresse abzugeben.


Was im Koffer ist, soll ihn nicht interessieren, wichtig sei, dass er ihn in einem Kofferraum transportiere, damit ihn niemand sieht. So abgebrannt wie Manu ist, nimmt er den Auftrag gerne an, erhält er dafür doch 500 Euro. Offen bleibt allerdings, wieso gerade der nicht mit Intelligenz gesegnete Obdachlose mit diesem angeblich so wichtigen Auftrag betraut wird.


Auto hat Manu selbstverständlich keines, sodass er auf einem Parkplatz einen unversperrten, schrottreifen gelben Mercedes klaut. Bei einer Tankstelle liest er auch noch seinen ebenfalls nicht sonderlich intelligenten und gleichermaßen mittellosen Freund Jean-Gab (David Marsais) auf, in dessen Name man eine Reverenz an den großen französischen Schauspieler Jean Gabin sehen kann.


Noch bevor das Duo aber dazu kommt, den ominösen Koffer abzuholen, hören sie im Kofferraum Geräusche und entdecken alsbald dort eine Riesenfliege. Schnell hat Jean-Gab den grandiosen Plan gefasst das Insekt, dem er den Namen Dominique gibt, zu dressieren und bei einem Bankraub einzusetzen, um so ans große Geld zu kommen. Da keiner von ihnen eine Wohnung hat, beschließen sie ihren Plan in der Einöde bei einem Wohnwagen, dessen Besitzer sie kurzerhand gefangen nehmen, umzusetzen, doch bald läuft auch hier einiges schief und die beiden Freunde müssen umdisponieren.


Der Zufall regiert im Universum von Quentin Dupieux. Immer wieder stören Zwischenfälle die Pläne und von einer absurden Situation stolpert das Duo so in die nächste. Wenn man dabei ein Thema ausfindig machen will, dann geht es von Anfang an durchgängig immer wieder um das Streben nach Reichtum, ganz zentral ist bei Manu aber auch ebenso wie bei der Fliege die Fresssucht. Auf diese Gier und Lust am Verschlingen verweist auch der Titel "Mandibules", der übersetzt Unterkiefer oder Fresswerkzeuge heißt und der auch mit dem Inhalt des Koffers, der gegen Ende doch noch einmal ins Spiel kommt, korrespondiert.


Den doppelten Boden und die Vertracktheit anderer Filme Dupieuxs, in denen sich immer auch eine Metaebene fand, sucht man hier aber vergebens. Bewusst einfach und geradlinig erzählt der 47-jährige Franzose, fokussiert ganz auf den beiden Freunden. Auch das Setting ist reduziert gehalten. Irgendwo an der südfranzösischen Küste spielt "Mandibules" zwar, aber statt den Chic, den man mit dieser Region verbindet, zeigt Dupieux in den lichtdurchfluteten, von der Sonne förmlich vergilbten und blassen Bildern mit Vorliebe eine staubige Einöde, eine Tankstelle oder ein schmuckloses Ferienhaus.


Die stets neuen absurden Situationen, die wie an einer Perlenkette knochentrocken aneinandergereiht werden, sind es so, die Vergnügen bereiten können. Ist schon verwunderlich, wie selbstverständlich die beiden Freunde die Riesenfliege akzeptieren, so ist noch um einiges beeindruckender, mit welcher Selbstverständlichkeit das Absurde präsentiert wird. Einlassen muss man sich dazu freilich auf dieses Spiel und Frustration kann sich leicht bei denen einstellen, die bei diesem durchgeknallten Film verzweifelt nach Sinn suchen.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Mandibules"



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