Streiten kann man sich über Filme wie "Kala Azar", "Oasis" und "Los inocentes", aber sicher ist, dass sie viel riskieren. Das ist kein biederer Mainstream, sondern jeder dieser Filme, die im Spielfilmwettbewerb des Linzer Filmfestivals Crossing Europe (1.6. – 6.6. 2021) laufen, zeichnen sich durch eine eigene Handschrift aus.
Vor einigen Jahren machte das griechische Kino vor allem auf Festivals auf sich aufmerksam. Ganz eigenwillige und auch verstörende Filme von Newcomern wie Yorgos Lanthimos und Athina Rahel Tsangari kamen damals von der Balkanhalbinsel. In dieser Tradition steht auch der erste Spielfilm der 37-jährigen Videokünstlerin Janis Rafa. Der Titel "Kala Azar" bezieht sich auf die indische Bezeichnung einer Infektionskrankheit, die durch Parasiten ausgelöst wird. Doch so wenig sich ein Zusammenhang zwischen Titel und Film herstellt, so wenig stellt sich auch eine stringente Handlung ein.
Grob gesagt geht es um ein jüngeres Paar, das im Auftrag einer Firma tote Haustiere, vor allem Hunde, aber auch einen Kanarienvogel und einen Goldfisch, bei ihren Besitzern abholt, sie kremiert und die Asche dann den Besitzern zurückgibt. Bewusst fragmentarisch bleibt aber die Handlung und immer wieder fragt man sich nach dem Sinn des Ganzen.
Um das Verhältnis von Tier und Mensch geht es Rafa offensichtlich, wenn sie schon in der ersten Szene Bilder vom Geschlechtsverkehr des Paares mit Hunden, die durch flaches Wasser streifen, verknüpft. Dem Nahverhältnis zu den Hunden, speziell der Frau und ihres Vaters, der sich von seinem Hund das Gesicht ablecken lässt und im gleichen Bett schläft, steht dabei Massentierhaltung von Hühnern gegenüber. Eine Blechblaskapelle spielt diesen zwar im Finale ein Ständchen, doch schon in der nächsten Einstellung werden sie in enge Kisten gepfercht.
Aber auch eine Gruppe militärisch wirkender Jäger, die Schießübungen abhält, irritiert, während man in langen Fahrtszenen und Blicken auf eine triste griechische Landschaft mit Brachland und Bauruinen einen Kommentar zum maroden Zustand des Landes sehen kann. – Mühsam ist dieser enigmatische Film zwar anzusehen, andererseits regt er zum Denken und Diskutieren an und wird einem nicht so schnell aus dem Kopf gehen.
Geradlinig erzählt dagegen Ivan Ikic in "Oasis", doch zumindest besetzungstechnisch ging der Serbe ein kühnes Experiment ein, als er die drei Hauptrollen mit drei jungen Erwachsenen mit geistiger Beeinträchtigung besetzte. Von einer aus dem Jahr 1968 gedrehten jugoslawischen Reportage, in der die Errichtung eines Heimes für junge Menschen mit Behinderung gefeiert wird, in dem die Insassen vorbereitet werden sollen, ein selbstständiges Leben zu führen, springt Ikic nicht nur in die Gegenwart, sondern vom allgemeinen Blick von außen auch auf drei konkrete Jugendliche.
Mit der Einlieferung Marijas führt Ikic auch den Zuschauer in das Heim, das "Oasis" kaum mehr verlassen wird. Nicht um die Schilderung der Institution geht es aber, sondern ganz auf Marija, Dragana und Robert, der kein Wort spricht, liegt der Fokus. Hautnah folgt bald eine bewegliche Handkamera den ProtagonistInnen, bald wird ihnen in langen, ruhigen Einstellungen Raum gelassen.
Gegliedert in die Kapitel Marija, Dragana und Robert erzählt Ikic zunächst von der Freundschaft zwischen den beiden jungen Frauen, von Eifersucht, als sich Marija in Robert verliebt, auf den Dragana schon lange ein Auge geworfen hat, und dem Bestreben der Pfleger körperliche Kontakte zu unterbinden und die Liebenden zu trennen.
Das ist schlüssig erzählt, formal konsequent umgesetzt und erzeugt mit schmutzigen Farben und zerbröckelndem Heim eine bedrückende Atmosphäre, allein die doch sehr wortkargen ProtagonistInnen bleiben einem trotz des starken Spiels der drei Laien seltsam fremd und machen einem den Zugang zu ihrer Gefühlswelt nicht leicht.
Fragen von Schuld und Verantwortung, von Vertrauen und Misstrauen verhandelt der Spanier Guillermo Benet in seinem Langfilmdebüt "Los inocentes". Auf eine Nacht und sechs Personen beschränkt sich die Handlung, die mit einer Party in einem besetzten Haus einsetzt. Als die Polizei einschreitet, flüchten die jungen Männer und Frauen, töten dabei aber einen Polizisten durch einen Wurf mit einem Pflasterstein. Bald treffen sie sich in einer Wohnung, rekonstruieren die vergangenen Ereignisse und diskutieren die weitere Vorgangsweise.
In sechs Kapiteln erzählt Benet die Geschichte aus der Perspektive der einzelnen Protagonist*innen. Mit engem 1:1 Bildformat und nah geführter Kamera, bei der vielfach nur das Gesicht einer Person zu sehen ist, während sich der Gesprächspartner im visuellen Off befindet, erzeugt der Spanier anfänglich großen Druck und Intensität, doch tragfähig ist dieses Konzept kaum über 100 Minuten und je öfter die Geschichte aus anderer Perspektive neu aufgerollt wird, desto ermüdender wird dieses Unterfangen doch. Das Aufbrechen einer linearen Erzählung und die konsequente Arbeit mit dem engen Bildformat beeindruckt aber dennoch.
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