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AutorenbildWalter Gasperi

Crossing Europe 2021: Spurensuche zu einem NS-Massaker

Aktualisiert: 6. Juni 2021


Endphase (c) Crossing Europe

Es gibt schon viele Filme über NS-Verbrechen, aber immer noch kann Unbekanntes und Vergessenes zu Tage gefördert und so Erinnerungsarbeit geleistet werden. In akribischer Recherche zeichnet Hans Hochstöger in seinem Dokumentarfilm "Endphase", der beim Linzer Filmfestival Crossing Europe im Dokumentarfilmwettbewerb läuft, ein Massaker an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter*innen kurz vor Kriegsende nach, setzt den Opfern und Überlebenden ein Denkmal und bietet ein weiteres Mal Einblick in die österreichische Verdrängungskultur der Nachkriegszeit.


Bekannt sind inzwischen viele Gräueltaten der NS-Zeit, dennoch ist besonders erschreckend, dass auch noch in den letzten Kriegstagen das Morden kein Ende nahm. Kirsten Boie arbeitete jüngst in ihrem Jugendbuch "Dunkelnacht" ein Verbrechen in den letzten Kriegstagen in der bayrischen Kleinstadt Penzburg auf, der Fotograf und Filmemacher Hans Hochstöger spürt in "Endphase" einem Massaker nach, dem am 3. Mai 1945 – nur fünf Tage vor Kriegsende! - im niederösterreichischen Hofamt Priel 228 ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter zum Opfer fielen.


Hochstöger stammt selbst aus diesem Ort, der einerseits aus Persenbeug, andererseits aus den Bauernhöfen des auf der anderen Seite der Donau gelegenen Hofamt Priel besteht. Vom Massaker, das hier im Frühjahr 1945 verübt wurde, erfuhr er erst in den 1990er Jahren als 15-Jähriger. Intensiver beschäftigte er sich mit dem Thema ab 2010, dachte zuerst an einen Porträtband, ehe sich daraus ein Filmprojekt entwickelte, bei dem er auch seinen Bruder Tobias, einen Politikerwissenschaftler ins Boot holte. Rund sechs Jahre zog sich die Arbeit an "Endphase" hin. Verwundern kann dies angesichts des fertigen Films freilich nicht, denn die akribische und aufwändige Recherche ist unübersehbar.


Ausgehend vom Blick auf die Verlegung der Leichen auf den jüdischen Friedhof von St. Pölten im Jahr 1964 und den Namen auf dem Gedenkstein spüren die Hochstögers überlebenden Verwandten der Opfer nach. In Ungarn und Israel machen sie zwei Brüder ausfindig, die durch Trennung von der Familie dem Massaker entkamen, stoßen auch auf einen Jungen, der damals zufällig überlebte und von Dorfbewohnern gerettet wurde und einen Antifaschisten, der zwei vermutliche Täter, die der Waffen-SS angehörten, in Rumänien ausfindig machte.


In Archiven stießen die Brüder auch auf Fotos der Ermordeten, die ihnen abgenommen wurden und die an ein glückliches und blühendes Leben erinnern, das mit einem Schlag zerstört wurde. In feinfühliger Montage verbinden Hochstöger und seine Cutterin Christin Veith die Interviews mit diesen Fotos, die sich zu Familiengeschichten fügen, die einem nahe gehen.


Eine damals junge Frau, deren Familie in unmittelbarer Nachbarschaft des Massakers wohnte, wurde ebenso befragt, wie ein Dorfbewohner, der erst 1947 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrte. Berührend werden in sorgfältiger Erzählung die Schicksale der Opfer nachgezeichnet, aber auch an die Zivilcourage einzelner Dorfbewohner und an die Versuche des Inspektors Winkler, das Verbrechen aufzudecken, wird erinnert.


Doch schockierend ist immer noch, wie die Erkenntnisse Winklers einfach ignoriert wurden, wie nach dem Krieg ein Mantel des Schweigens über das Massaker gelegt wurde, im Dorf nicht darüber gesprochen wurde und von der Justiz auf die Ermittlungen Winklers nicht reagiert wurde. Auch Dorfbewohner waren wohl beteiligt und die Täter waren wohl bekannt, doch um des sozialen Friedens willen, schwieg man.


In überlegter Handlungsführung entwickelt Hochstöger "Endphase" von der Aufarbeitung des Massakers und dem Schicksal der Opfer zu dieser Verdrängung und Vertuschung. Dass diese immer noch andauert, wird spätestens deutlich, wenn die Bürgermeisterin eines Nachbarortes kein Problem darin sieht, dass ein Platz nach dem Gemeindearzt benannt ist, obwohl dieser Mitglied der Waffen-SS und vermutlich einer der Täter war.


Dennoch endet "Endphase" versöhnlich mit einer Gedenkfeier am Ort des Massakers und der Erklärung eines Nachfahren der Opfer, dass er nicht Vergeltung wolle, dass man aber das Geschehene nicht vergessen dürfe. – Das aber genau ist die große Bedeutung dieses sorgfältig gemachten Dokumentarfilms, dass er einerseits das konkrete Verbrechen dem Vergessen entreißt, den Opfern ein Denkmal setzt und andererseits exemplarisch die fehlende Aufarbeitung solcher Taten und das Wegschauen der Justiz anprangert.


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