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  • AutorenbildWalter Gasperi

Pionier des afrikanischen Kinos: Ousmane Sembène

Der 1923 geborene Senegalese Ousmane Sembène gilt als zentrale Figur bei der Entwicklung des Kinos in der südlich der Sahara gelegenen Region. Neben Romanen und Novellen schuf er zwischen 1963 und 2004 auch zwölf Filme, in denen er entschieden für eine afrikanische Identität plädiert, Kolonialismus, Bürokratismus sowie Ausbeutung und die Unterdrückung der Frau heftig anklagt. Das Filmpodium Zürich widmet dem 2007 verstorbenen Filmemacher derzeit eine Retrospektive.


Alles andere als in die Wiege gelegt war dem am 1. Januar 1923 im Süden Senegals als Sohn eines muslimischen Fischers geborenen Ousmane Sembène der Weg zum Schriftsteller und Filmemacher. Schon mit 14 Jahren musste er die Schule verlassen, nachdem er sich angeblich geweigert hatte, die "Marseillaise" auf korsisch zu singen. Schon in dieser Episode zeigt sich aber Sembènes Kompromisslosigkeit und sein Widerstand gegen Autoritäten, die später dazu führen werden, dass oft viele Jahre zwischen einzelnen Filmen liegen, da er Vorgaben von potentiellen Produzenten nicht akzeptieren wollte.


Als Gelegenheitsarbeiter auf dem Bau und bei der Bahn schlug er sich in Dakar durch und lernte so die Lebensbedingungen der Unterschicht kennen, ehe er als 19-Jähriger in die französische Armee eingezogen wurde und für die Kolonialmacht in Europa gegen den Faschismus kämpfte. Zweimal setzte er sich mit dieser Thematik in seinen Filmen auseinander.


In "Emitai" ("Gott des Donners", 1991) erzählt er in langsamem Rhythmus von der gewaltsamen Rekrutierung senegalesischer Soldaten und der Requirierung von Nahrungsmitteln durch die Franzosen und dem Widerstand der Frauen. In "Camp de Thiaroye" ("Camp der Verlorenen", 1987) stehen dagegen senegalesische Kriegsheimkehrer im Zentrum, deren Versuch, sich gegen die alte Unterdrückung aufzulehnen, brutal niedergeschlagen wird.


Wie diese Soldaten kehrte Sembène nach Kriegsende in den Senegal zurück. Dort arbeitete er bei der Eisenbahn und beteiligte sich an Streiks. 13 Jahre später wird er diese Erfahrungen in seinem Roman "Gottes Holzstücke" (1960) verarbeiten.


1948 kehrte er aber illegal nach Frankreich zurück, arbeitete in der Automobilindustrie und dann zehn Jahre als Hafenarbeiter in Marseille. Auch hier zeigte sich sein gesellschaftspolitisches Engagement bei Gewerkschaftskämpfen und Protesten gegen den Krieg Frankreichs in Vietnam. Aber auch literarisch wird er in dieser Zeit aktiv und 1956 wird mit "Le docker noir" seine erste Novelle veröffentlicht.


Gleichzeitig erkannte dieser Autodidakt aber auch, dass er mit der Literatur in seiner von Analphabetismus gekennzeichneten Heimat die Arbeiterschicht und die Menschen auf dem Land nicht erreichen kann. Eine Alternative sah er im Film, der den Massen zugänglich ist.


Während er als überzeugter Marxist von westlichen Filmschulen abgelehnt wurde, wurde er 1961 im Moskauer Gorki-Studio angenommen. Dort absolvierte er ein Praktikum bei den renommierten Regisseuren Mark Donskoi und Sergej Gerassimov.


1962 kehrte er mit einer 16-mm-Kamera in den Senegal zurück und erregte mit seinem 22-minütigen Kurzfilm "Borom Sarret" (1963) aufsehen. Im Stil des Neorealismus deckt Sembène darin anhand der alltäglichen Begegnungen eines Karrenschiebers in Dakar die Ausbeutung der Unterschicht auf.


Drei Jahre später folgte mit dem 60-minütigen "Le noir de…" ("Die Schwarze aus Dakar", 1966) sein erster Langfilm. Darin prangert Sembène am Schicksal einer jungen Senegalesin, die von einem französischen Paar als Kindermädchen nach Frankreich geholt wird, dort aber als Köchin und Putzfrau ausgenutzt wird und ständigen Demütigungen durch die weiße Herrin ausgesetzt ist, Rassismus an.


Leichter als diesen tragisch endenden Spielfilm legte er die Verfilmung seines eigenen satirischen Romans "Mandabi" ("Die Überweisung", 1968) an. Im Zentrum steht ein einfacher Mann, der, weil er keinen Personalausweis besitzt und der Kolonialsprache Französisch nicht mächtig ist, erfolglos versucht, das Geld zu erhalten, das ihm per Postüberweisung von seinem Neffen in Paris geschickt wurde. Die grotesken Verwicklungen, die sich dabei ergeben, nützt Sembène, um mit der Bürokratie und einem gefühlskalten Kleinbürgertum abzurechnen.


Satirisch angelegt ist auch "Xala" (1975), in dessen Mittelpunkt ein neureicher Afrikaner steht, der nach der Heirat mit seiner dritten Frau von Impotenz befallen wird. Hier richtet sich der Spott aber nicht mehr gegen die Franzosen, sondern gegen die Korruption schwarzer Politiker und gegen die einheimische Oberschicht, die die Verhaltensweisen und Statussymbole der ehemaligen Kolonialherren übernimmt. "Ceddo" (1976) entführt dagegen ins 17. und 18. Jahrhundert und erzählt von einem westafrikanischen Stamm, in dem sich eine freiheitsliebende Gruppe gegen die Islamisierung zu wehren versucht.


Komödiantische Züge kennzeichnen dagegen "Guelwaar" (1992), in dem sich ein Konflikt entwickelt, weil ein verstorbener katholischer Politiker versehentlich von einer muslimischen Familie bestattet wurde. Im Laufe der Auseinandersetzung decken dabei Rückblenden auf, dass der Tote zu Lebzeiten ein scharfer Kritiker sozialer und wirtschaftlicher Missstände war.


Die Stärke der afrikanischen Frauen feierte Sembène in einer 2001 begonnenen Trilogie über ganz alltägliches Heldentum: In der Komödie "Faat Kine" (2001) erzählt er von einer selbstbewussten alleinstehenden Frau, die plötzlich wieder von ihren früheren Männern heimgesucht wird. Ernstere Töne schlägt er dagegen in seinem letzten Film "Moolaadé" (2004) an, in dem in einem senegalesischen Dorf vier Mädchen, die sich der Genitalverstümmelung entziehen wollen, bei einer starken Frau, die schon die Beschneidung ihrer Tochter verhindert hat, Zuflucht suchen.


Noch einmal bietet er so in diesen beiden Filmen emanzipatorisches Kino von großer Kraft. Den dritten Teil dieser Trilogie konnte Sembène allerdings aufgrund einer schweren Krankheit nicht mehr realisieren und starb am 9. Juni 2007 in Dakar.



Spieldaten und weitere Informationen zur Filmreihe im Filmpodium Zürich finden Sie hier.


Trailer zu "Mandabi" ("Die Ãœberweisung")


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