Ousmane Sembènes 1968 entstandene satirische Abrechung mit Bürokratie und Korruption gilt als zentraler Film des afrikanischen Kinos. Bei Studiocanal ist der Klassiker, der einerseits mit seinem bissigen Witz, andererseits mit den zeitlos aktuellen Themen immer noch bestens unterhält, in 4K restaurierter Fassung auf DVD und Blu-ray erschienen.
Nachdem Ousmane Sembènes erster, auf Französisch gedrehter Film "La noire de…" 1966 internationale Beachtung fand, setzte sich der französische Kulturminister André Malraux persönlich für das nächste Projekt des Senegalesen und für eine finanzielle Förderung durch Frankreich ein. Voraussetzung war aber, dass Sembène die Verfilmung seiner eigenen Kurzgeschichte "Mandabi" auf Französisch dreht. So wurde sowohl eine Fassung in Französisch als auch eine in der Landessprache Wolof erstellt.
"Mandabi", der 1968 beim Filmfestival von Venedig mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichnet wurde, ist damit der erste, ganz in einer afrikanischen Sprache gedrehte Langspielfilm Westafrikas und gilt als zentrales Werk des afrikanischen Kinos insgesamt. Schwer verständlich ist dabei, wie eine französische Fassung überhaupt funktionieren soll, denn ganz zentral für den Film sind das gesellschaftliche Gefälle und die Machtverhältnisse, die sich durch die Verwendung von Wolof durch die einfache Bevölkerung einerseits und Französisch als Amtssprache und Sprache der Mächtigen andererseits ausdrückt. In Umlauf kam so auch nur die Wolof-Version, die französische wurde sofort wieder vernichtet.
Im Zentrum steht der in einer Vorstadt von Dakar lebende Ibrahima Dieng (Makhourédia Guèye). Seit mehreren Jahren ist er arbeitslos, doch wie ein vornehmer Herr lässt er sich auf der Straße von einem Friseur rasieren und die Nase reinigen. Auch zu Hause lässt er sich von seinen zwei Frauen wie ein Pascha bekochen und bedienen.
Trist scheinen zwar die finanziellen Verhältnisse, doch die in 4K Restaurierung herrlich leuchtenden, kräftigen Farben der bunten Gewänder sowie die sonnendurchfluteten Bilder strahlen Lebensfreude und Vitalität aus. Trotz ernster Themen schlägt Sembène in diesem sehr sinnlichen Film einen komödiantischen Ton an, macht sich mit bissigem Witz über den Patriarchen lustig und präsentiert auch - wie in vielen seiner Filme - starke Frauen, die nicht kuschen, sondern auch aufbegehren und ihren eigenen Kopf durchsetzen.
Die missliche Lage scheint sich durch eine Postanweisung zu verbessern. 25.000 Francs hat ein nach Frankreich emigrierter Neffe geschickt, 2000 soll Ibrahima bekommen, den Rest für seine Schwester und den Neffen aufbewahren, der freilich in Europa nicht das große Glück gefunden hat, sondern in Paris als Straßenkehrer arbeitet.
Doch mit dem Gang zur Post, um das Geld abzuholen, setzt eine Odyssee ein, die Sembène Gelegenheit bietet ebenso treffsicher wie bissig mit den senegalesischen Verhältnissen abzurechnen. Denn da stößt Ibrahima einerseits auf eine Bürokratie, durch die die Auszahlung immer wieder verzögert wird, andererseits werden auch das Machtgefälle und die Chancenlosigkeit der nur Wolof sprechenden einfachen Bevölkerung sichtbar.
Leicht findet Ibrahima bei seinen Behördengängen zwar Helfer, aber jeder will dafür einen finanziellen Beitrag und gleichzeitig bedrängen ihn auf Schritt und Tritt Bettler. Zuhause wiederum kaufen seine Frauen in der Hoffnung auf den Geldsegen auf Pump groß ein, sodass die Schulden steigen. Durch die Postanweisung wird die Lage Ibrahimas so zunehmend schlechter und gänzlich betrogen steht er am Ende da.
Diesen Schlusspunkt nützt der erklärte Marxist und Atheist, um nicht nur Ibrahima und seine Frauen, sondern auch das – afrikanische – Publikum daran zu erinnern, dass einzig sie selbst die Situation verändern können. Ganz offen ruft "Mandabi", mit dem Sembène im Gegensatz zur Literatur auch die zahlreichen Analphabeten erreichen konnte, damit die einfache Bevölkerung auf aktiv zu werden und sich die Ausbeutung durch die herrschende Klasse nicht länger gefallen zu lassen.
Nichts hat diese Satire, die mit ihrem pointierten Blick auf Menschen und Situationen immer noch besticht, an Aktualität verloren, denn Bürokratie und Korruption haben in den letzten 50 Jahren wohl noch zugenommen und sind auch kein rein afrikanisches Problem. Anhand einer konkreten kleinen Geschichte, die in einem treffend gezeichneten senegalesischen Milieu verankert ist, erzählt Sembène so von zeitlosen und universellen Problemen und unterhält gleichzeitig bestens.
An Sprachversionen bieten die bei Studiocanal erschienene DVD und Blu-ray die Originalfassung auf Wolof und die deutsch synchronisierte Fassung sowie deutsche, französische und englische Untertitel. Reichhaltig sind die teils neuen Extras. Ein sehr genauer und ausführlicher Audiokommentar der Filmemacher*innen Samba Gadjigo und Jason Silverman, die 2015 mit "Sembène!" einen Dokumentarfilm über den "Vater des afrikanischen Kinos" drehten, wird ebenso geboten wie ein 30-minütiges Interview mit Sembènes Sohn Alain Sembène. Dazu kommen das 25-minütige Feature "Blick zurück auf einen Klassiker", ein dreiminütiger, stummer und schwarzweißer Blick auf die Dreharbeiten, ein 25-minütiges Feature über "'Mandabi' und die Geburt des westafrikanischen Kinos" sowie ein Gespräch mit Autor Boubacar Boris Diop und Soziologin Marie-Angélique Savané und ein Booklet mit einem Essay des Sembène-Experten David Murphy.
Trailer zu "Mandabi"
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