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Bergers - Schäfer

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 6. Juni
  • 4 Min. Lesezeit
"Bergers - Schäfer": Starke Selbstfindungsgeschichte und ungeschönter Blick auf die harte Arbeit von Schafhirten
"Bergers - Schäfer": Starke Selbstfindungsgeschichte und ungeschönter Blick auf die harte Arbeit von Schafhirten

Ein junger kanadischer Werbefachmann will alles hinter sich lassen und ein neues Leben als Schafhirte in den französischen Alpen beginnen: Sophie Deraspe gelang mit der Verfilmung von Mathyas Lefebures semi-autobiographischem Roman "D´ou viens-tu, berger?" ein ungeschönter, herb-poetischer und bildmächtiger Spielfilm, der auch ein eindrückliches Bild der Probleme und der harten Arbeit heutiger Schafzüchter und Hirten zeichnet.


Schon die erste Einstellung, in der ein mächtiger schneebedeckter Alpengipfel in einer langen Überblendung in das Gesicht von Mathyas (Félix-Antoine Duval) übergeht, nimmt gefangen. Einerseits wirkt das Bild der Berglandschaft wie der ganze folgende Film echt und ungekünstelt, andererseits erzählt die Überblendung auch schon von einer Verschmelzung von Mensch und Landschaft und vom Aufgehen des Menschen in dieser Landschaft.


In der Suche nach sich selbst durch Rückzug aus der hektischen, städtisch-modernen Welt in die Einsamkeit der Natur kann man eine Tendenz im neueren Kino feststellen. Erzählte schon Sean Penn in seiner Jon Kracauer-Verfilmung "Into the Wild" (2007) davon, so verstärkte sich diese Sehnsucht in den letzten Jahren mit Filmen wie Felix van Groeningens und Charlotte Vandermerschs "Le otto montagne" ("Acht Berge", 2022), Adrian Goigingers "Märzengrund" (2022) oder Michael Kochs "Drii Winter" (2022), der freilich ein raues Bild des Bergbauernlebens zeichnete. Zuletzt bot auch Louise Courvoisiers "Vingt Dieux" ("Könige des Sommers", 2024) einen unverfälschten, aber positiven Blick auf landwirtschaftliche Arbeit im Jura.


Sophie Deraspe versetzt in ihrer Verfilmung von Mathyas Lefebures 2006 erschienenem semi-autobiographischen Roman "D´ou viens-tu, berger?" mit Voice-over in die Perspektive des kanadischen Werbefachmanns Mathyas (Félix-Antoine Duval). Während er in einer Bar neben dem römischen Amphitheater von Arles sitzt, liest er einen Brief vor, in dem er seiner Familie und seinen Bekannten in Montreal mitteilt, dass er Job und Wohnung hinter sich lassen will und in der Provence ein neues Leben als Hirte beginnen will.


Die Schafzüchter in der Bar verlachen ihn zwar nur als naiven Träumer, da er keine Ahnung von der Arbeit eines Hirten hat, dennoch nimmt ihn ein Bauer schließlich mit. Doch dies bleibt ein kurzes Intermezzo, da der zeitliche Aufwand für die Einschulung des Neulings größer als sein Nutzen ist. Ernüchternd sind anschließend aber auch Mathyas´ Erfahrungen mit einem cholerischen Bauern, der immer nur herumschreit und tobt.


Doch dann schließt sich ihm die junge Beamtin Élise (Solène Rigot) an, die ihren Bürojob gekündigt hat, und eine resolute Bäuerin engagiert das Duo, da sie dringend zwei Hirten benötigt, die ihre rund 800 Schafe im Sommer ins Gebirge führen und sich dort um die Herde kümmern…


Beeindruckend selbstverständlich verbindet Sophie Deraspe diese Selbstfindungsgeschichte mit einer eindrücklichen Schilderung des harten bäuerlichen Lebens und der Probleme heutiger Schafzüchter. Nichts wirkt in den starken Bildern von Kameramann Vincent Gonneville geschönt oder gestellt, sondern man glaubt den Geruch der Schafe und den Schweiß fast zu riechen. Auch dass Nebenrollen teilweise mit Laien besetzt wurden, trägt zur Authentizität bei.


Vor allem ist aber die Landschaft hier nicht Kulisse, sondern aus ihr heraus wird die Geschichte erzählt. Förmlich zur Erlösungsgeschichte wird "Bergers – Schäfer" dabei, wenn der Weg vom deprimierenden Blick auf die verfallenden Höfe im Tal in die erhabene Bergwelt führt.


Doch nach der harten Arbeit bei den zwei Schafzüchtern, bei der Mathyas Lehrgeld bezahlen muss und in einem schäbigen Schuppen untergebracht wird, verklärt Deraspe auch dieses Bergleben nicht. Da mag zwar dem rauen Umgang mit den Schafen im Tal, in dem ein Hirte immer von "Schlampen" spricht, liebevolle Fürsorge in den Bergen gegenüberstehen, wenn Élise ihre "Mädels" ruft, doch gleichzeitig drohen hier ungleich größere Gefahren.


So großartig nämlich die Landschaft auch ist, so bedroht doch ein Gewitter, dessen Heftigkeit unglaublich intensiv vermittelt wird, Mensch und Tier und eindringlich werden auch die verheerenden Folgen eines – unsichtbar bleibenden – Angriffs mehrerer Wölfe geschildert.


Dennoch bleibt Deraspe gegenüber den Wölfen ambivalent, wenn einerseits die Schafzüchter darin einen Feind sehen, der geschossen werden muss, Mathyas andererseits aber erklärt, dass es nun mal in der Natur dieses Raubtiers liege zu jagen. Aber auch die Folgen des Klimawandels mit versiegenden Quellen oder unsinnige bürokratische Vorgaben werden beiläufig angesprochen.


Dem Schweizer Dokumentarfilmer Erich Langjahr, der mit seiner Bauerntrilogie und vor allem mit deren letzten Film "Hirtenreise ins dritte Jahrtausend" ein eindrückliches und unaufgeregtes Bild vom Bauern- und Hirtenleben in unserer Zeit zeichnete, könnte dieser Spielfilm zu dramatisch sein. Unbestreitbar ist aber, dass "Bergers – Schäfer" abgesehen von seinen großartigen Bildern gerade mit seinen Plot Points, mit seinen starken Identifikationsfiguren und mit der Entwicklung von der Verlorenheit zum Leben im Einklang mit der Natur und mit sich selbst, wobei auch eine unaufdringliche Liebesgeschichte nicht fehlt, nicht nur große emotionale Kraft entwickelt, sondern auch über die eigene Lebensführung reflektieren lässt.



Bergers – Schäfer

Kanada / Frankreich 2024

Regie: Sophie Deraspe

mit: Félix-Antoine Duval, Solène Rigot, Guilaine Londez, Michel Benizri, David Ayala

Länge: 113 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan. Kinotheater Madlen, Heerbrugg: Mo 18.8., 20.15 Uhr

Filmstart in Österreich: Herbst 2025



Trailer zu "Bergers - Schäfer"


 

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