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La venue de l´avenir – Die Farben der Zeit

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 1 Tag
  • 4 Min. Lesezeit
"La venue de l´avenir - Die Farben der Zeit": Cédric Klapisch lässt stilvoll die Gegenwart und Vergangenheit aufeinanderprallen
"La venue de l´avenir - Die Farben der Zeit": Cédric Klapisch lässt stilvoll die Gegenwart und Vergangenheit aufeinanderprallen

Als vier Cousins das verlassene Haus einer vor Jahrzehnten verstorbenen Vorfahrin durchstöbern, tauchen sie zunehmend in die Familiengeschichte und das Paris der Belle Époque ein: Cédric Klapisch stellt in seinem lichten schwung- und stimmungsvollen Sommerfilm Vergangenheit und Gegenwart einander gegenüber, macht Unterschiede und die Bedeutung familiärer Wurzeln sichtbar.


Immer wieder geht es in den Filmen von Cédric Klapisch um Familie und Gemeinschaft. In seinem kommerziell erfolgreichsten Film "L´auberge espagnol" (2002), der mit " L’auberge espagnole – Wiedersehen in St. Petersburg" (2005) und "Beziehungsweise New York" (2010) zwei Fortsetzungen bekam, entwickelt sich so langsam in einer WG in Barcelona eine Freundschaft zwischen Erasmus-Student:innen aus verschiedenen Ländern.


Geht es in "So ist Paris" (2008) anhand mehrerer lose verknüpfter Geschichten um Einsamkeit und familiäre Bindungen, so führt in "Der Wein und der Wind" (2017) das Erbe eines Weinguts im Burgund drei unterschiedliche erwachsene Geschwister zusammen. In "Einsam Zweisam" (2019) stehen zwei einsame Pariser:innen im Zentrum, die sich erst finden müssen, sich zunächst aber immer wieder knapp verpassen, und in "En Corps – Das Leben ein Tanz" findet eine Balletttänzerin nach einer Verletzung eine neue Gemeinschaft.  


Einander unbekannt sind sich auch die Mitglieder einer weitverzweigten Familie, die ein seit 1944 leerstehendes Haus erben soll. Erst die Behörden, die das Haus übernehmen, abreißen und stattdessen ein Shoppingcenter mit großem Parkplatz errichten wollen, machen die Nachfahren der von Adèle (Suzanne Lindon) ausfindig und fordern sie auf, Wertgegenstände und Erinnerungsstücke im Haus sicherzustellen.


Mit dem jungen Fotografen Seb (Abraham Wapler), einem Imker (Vincent Macaigne), einer Businessfrau (Julia Piaton) und einem kurz vor der Pensionierung stehenden Lehrer (Zinedine Soualem) werden vier Cousin:innen als Interessensvertreter:innen bestimmt, die das Haus durchstöbern. Die alten Fotos und ein Gemälde, das sie dort finden, lassen sie aber bald in die Vergangenheit eintauchen.


Spielerisch leicht wechselt Klapisch nun immer wieder zwischen Gegenwart des Jahres 2025 und Vergangenheit des Jahres 1895, in der die 21-jährige Adèle von Le Havre nach Paris aufbricht, um ihre Mutter zu suchen. Im Aufeinanderprall der gemächlichen Reise mit einer Pferdekutsche und einem Dampfer auf der Seine im Gegensatz zum Schnellzug in der Gegenwart, wird die Veränderung ebenso sichtbar wie in der noch dörflichen Gegend um den Montmartre, auf dem das Sacré-Coeur noch in Bau ist.


Ebenso eindrücklich wie nostalgisch wird diese Umbruchs- und Aufbruchszeit mit einem staunenden Blick auf den noch neuen Eiffelturm oder auf die elektrische Beleuchtung der Avenue de l´Opera evoziert und auch auf den schon aufkommenden Kinematographen und damit auf das Kino wird gegen Ende hingewiesen. Aber auch mit Kurzauftritten von damaligen Berühmtheiten wie Victor Hugo, Sarah Bernhardt oder dem Fotografen Felix Nadar soll ein möglichst dichtes Bild dieser Zeit vermittelt werden.


Hart aneinandergeschnitten werden dabei Gegenwart und Vergangenheit immer wieder, wenn man sich nach Öffnen einer Tür plötzlich in der Vergangenheit befindet oder wenn ein Brief abwechselnd von Schreiber und Adressatin in der Vergangenheit und den Cousin:innen in der Gegenwart gelesen wird. Aber im Gegensatz zu Zeitreisefilmen wie Woody Allens "Midnight in Paris" (2011) oder Multiverse-Filmen wie "Everything Everywhere All At Once" (2022) bleiben die Zeitebenen immer getrennt. Nur in einem Drogenrausch tauchen die Protagonist:innen der Gegenwart direkt in die Vergangenheit ein und greifen dann auch massiv in die Ereignisse ein.


Gleichzeitig steht den Recherchen der Nachkommen die Suche Adèles nach ihrer Mutter, die schließlich mit der Suche nach dem Vater noch weiter in die Vergangenheit zurückführt, gegenüber. Andererseits spielt Klapisch mit Parallelen, wenn Cousin Seb nach dem Unfalltod seiner Eltern ebenso bei seinem Großvater aufwuchs wie Adèle nach der Weggabe durch ihre Mutter bei der Großmutter.


Vor allem spielt "La venue de l´avenir - Die Farben der Zeit" aber mit der Entwicklung der Kunst und der Bildproduktion. Den zahlreichen Fotos, die Seb heute bei Shootings in Sekundenschnelle macht, steht die Fotografie des späten 19. Jahrhunderts gegenüber, bei der man lange stillstehen muss. Dazu kommt aber auch das Spannungsfeld von Malerei und Fotografie und vor allem die Entstehung des Impressionismus.


Wenn gleich zum Auftakt bei einem Fotoshooting im Musée de l’Orangerie das Model fordert, dass doch die Farben der Seerosenbilder von Monet digital verändert werden sollen, da diese nicht zum präsentierten Kleid passen, kritisiert Klapisch ironisch die fehlende Wertschätzung klassischer Kunst. Diese feiert er mit dem Auftauchen Claude Monets, zeigt aber auch hier den Wandel, wenn seinem berühmten Bild "Impression, Soleil levant" (1872) der heutige Hafen von Le Havre gegenübergestellt wird.


Wenn Klapisch dabei nicht nur den Fotografen Seb, sondern auch den jungen Monet mit Abraham Wapler besetzt, dann stellt er freilich wieder Kontinuitäten zwischen den Zeiten her. Gemeinsam mit Seb sollen so auch die Zuschauer:innen angeregt werden nicht nur immer in die Zukunft zu blicken, sondern auch ihre Vergangenheit und ihre Wurzeln zu erkunden.


So wird nicht nur sukzessive eine verschüttete Familiengeschichte gelüftet, die sich langsam zu einem vollständigen Bild fügt, sondern über die Recherche entwickelt sich auch eine Freundschaft zwischen den sich am Beginn unbekannten Cousin:innen. So feiert Klapisch familiäre Bande, zeigt aber auch, wie schnell es hier wieder zu Streit kommen kann, wenn es ums Geld geht.


Die einzelnen Figuren gewinnen zwar angesichts ihrer großen Anzahl und der häufigen Szenenwechsel nicht allzu großes Profil, doch trotz dieser kleinen Schwäche sorgen Klapischs ausgesprochen detailreiche und stilvolle Inszenierung und sein warmherziger Blick für einen stimmungsvoll-sanften Sommerfilm, der ebenso geistreiche wie charmante Unterhaltung bietet und gelöst aus dem Kino entlässt.    La venue de l´avenir – Die Farben der Zeit

Frankreich / Belgien 2025 Regie: Cédric Klapisch mit: Suzanne Lindon, Abraham Wapler, Vincent Macaigne, Julia Piaton, Zinedine Soualem, Cécile de France Länge: 124 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan. Ab 14.8. in den österreichischen und deutschen Kinos



Trailer zu "La venue de l´avenir - Die Farben der Zeit"


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