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  • AutorenbildWalter Gasperi

Diagonale ´22: In den Alpen - Neue Filme von Robert Schabus und Adrian Goiginger

Aktualisiert: 11. Apr. 2022


Bei der 25. Diagonale in Graz feierten Robert Schabus´ Dokumentarfilm "ALPENLAND" und Adrian Goigingers Felix Mitterer-Verfilmung "Märzengrund" ihre Weltpremiere. Der noch unberührten Tiroler Bergwelt der 1960er Jahre in Goigingers Spielfilm steht die Gefährdung und Zerstörung dieses Lebensrums in Schabus´ Dokumentarfilm gegenüber.


Robert Schabus ("Bauer unser") stellt in seinem 90-minütigen Dokumentarfilm sechs Lebensräume in den Alpen vor und stellt dabei immer wieder traditionelles Leben und Wirtschaften der Zerstörung und Verschandelung der Bergwelt gegenüber. Ums Überleben kämpft so eine Bergbauernfamilie im Kärntner Mölltal, lebt aber im Einklang mit der Natur, während in Garmisch-Partenkirchen Ferienwohnungen wie Pilze aus dem Boden schießen, teils für 10.000 Euro pro m² verkauft werden und mit Schneekanonen die zunehmend kürzeren Winter verlängert werden.


Nicht nur die treffenden Bilder von Kameramann Lukas Gnaiger mit allgegenwärtigen Baukränen und einer schmalen weißen Skipiste in schmutzig brauner Landschaft, sondern auch Fotos eines Försters, bei denen einst und jetzt einander gegenübergestellt werden, vermitteln plastisch einen Eindruck von der Zerstörung dieses Lebensraums.


Als retortenhafter, hässlicher Tourismusort wird auch das französische Meribel in Szene gesetzt, in dem die Hotels zunehmend durch Ferienwohnungen verdrängt werden. Außerhalb der immer kürzer werdenden Saison ist das Dorf praktisch tot, ein Nachfolger für den praktischen Arzt, der vor der Pensionierung steht, wird sich kaum finden.


Gegenpol dazu stellt das in der Lombardei gelegene Dorf Premana dar, in dem es zahlreiche kleine Handwerksbetriebe mit Eisenverarbeitung gibt. Reich werden kann man damit freilich nicht, aber die Arbeit in den Familienbetrieben scheint ebenso erfüllend wie die Landwirtschaft mit Schafen und Ziegen von Vater und Tochter im piemontesischen Sturatal. Beeinträchtigt wird das Leben hier aber durch den zunehmenden Schwerverkehr im Tal, während in Zermatt die Wohnungspreise so hoch sind, dass die zahlreichen portugiesischen Arbeitskräfte in den Nachbardörfern wohnen.


Mit einer stimmigen Mischung aus Aufnahmen dieser Lebensräume und ihrer Zerstörung und Interviews mit Bewohner*innen zeichnen Schabus und sein Kameramann Gnaiger ein facettenreiches Bild vom Lebensraum Alpen. Nüchtern und sachlich decken sie die Verwüstung und Sackgasse auf, in die das auf schnellen Profit ausgerichtete Tourismusdenken führen, und zeigen die Verdrängung und Gefährdung traditioneller gewachsener Strukturen auf, die immer auch mit Bindung an Ort und Familie verknüpft sind. – Insgesamt ist der Befund ziemlich bedrückend und mehr Zweckoptimismus als echte Zuversicht verbreitet die Tochter des Kärntner Bergbauern, wenn sie am Ende meint "Irgendwie wird es schon weitergehen."


Von dieser Zerstörung eines Lebensraums ist in Adrian Goigingers Spielfilm "Märzengrund" nichts zu spüren und zu sehen. Nach seinem gefeierten autobiographischen "Die beste aller Welten" hat der Salzburger ein Theaterstück von Felix Mitterer verfilmt. In keiner Szene ist "Märzengrund" die Herkunft von der Bühne anzumerken, denn in großartigen Landschaftsaufnahmen verankert die Kamera von Klemens Hufnagl und Paul Sprinz die Handlung in der großartigen Zillertaler Bergwelt.


Von der Einlieferung des alten Elias (Johannes Krisch) ins Krankenhaus springt Goiginger 40 Jahre zurück ins Jahr 1968. Zwar ist hier nichts von Studentenunruhen zu spüren, doch dem Wunsch den elterlichen Hof zu übernehmen will der junge Elias (Jakob Mader) nicht nachkommen. Mehr als die bäuerliche Arbeit interessiert den Feingeist Literatur. Als zudem seine Liebe zur einige Jahre älteren Moid, die als Geschiedene eine Außenseiterin im Dorf ist, von den Eltern unterbunden wird, stürzt Elias in eine Depression und zieht sich von der Welt auf eine Alphütte zurück.


So prächtig die Bilder von Hufnagl und Sprinz sind, so überzeugend die schauspielerischen Leistungen sind, so bieder ist letztlich die Inszenierung. Die Zeichnung der Eltern ist so holzschnittartig und klischeehaft, dass sie fast zur Karikatur werden, zu kurz ist der Auftritt von Moid, als dass die lebenslange Wirkung dieser Beziehung wirklich erfahrbar würde. Aufgesetzt wirkt nicht nur die Frage nach dem Lebenssinn, die sich der alte Elias am Ende stellt, sondern auch, dass als Lektüre "Robinson Crusoe" und "Ulysses" erwähnt werden, und immer wieder ein Greifvogel als Metapher für die Sehnsucht nach Freiheit kreist.


An Francois Truffauts Kritik am französischen Kino der 1950er Jahre als profilloses Cinéma de qualité fühlt man sich erinnert, denn auch "Märzengrund" ist zwar handwerklich sorgfältig gemacht und stimmig ausgestattet, aber eben kantenloses Konfektionskino, das Feuer, Leidenschaft und inszenatorischen Esprit vermissen lässt.


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