To Kill a Mongolian Horse
- Walter Gasperi
- 28. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Tradition und Moderne prallen in der Inneren Mongolei aufeinander, wenn Saina sich einerseits tagsüber auf dem Hof seines Vaters um Pferde und Schafe kümmert, andererseits am Abend in Pferdeshows für Tourist:innen seine Kunststücke zeigt: Ein unaufgeregtes, bildstarkes und poetisches Langfilmdebüt der Chinesin Xiaoxuan Jiang.
Bunt gekleidet mit historischen mongolischen Uniformen sind die Reiter, die in den abendlichen Shows mit Kunststücken auf ihren Pferden Tourist:innen unterhalten. An eine vergangene Tradition erinnern diese Darbietungen und Kostüme, doch die heutige Realität steht in bitterem Kontrast dazu.
Immer mehr Schaf- und Pferdehirten verkaufen nämlich ihre Herden an Schlachthäuser und ziehen in die Stadt. Saina (Saina) aber, dessen Laiendarsteller ebenso wie alle anderen Schauspieler:innen teilweise eine Version von sich selbst spielt, will an seinen Wurzeln festhalten und das alte Leben nicht aufgeben. Liebevoll kümmert er sich um seine Pferde, vor allem um einen weißen Schimmel, tritt aber gleichzeitig abends in einer Pferdeshow auf, um die Spielschulden seines alkoholsüchtigen Vaters (Tonggalag) zu bezahlen und die von ihm geschiedene Frau Tana (Qilemuge) und seinen kleinen Sohn finanziell unterstützen zu können.
Wie der Show der ländliche Hof gegenübersteht, so auch dem in der weiten Steppe liegenden einfachen Ziegelhaus Sainas und seines Vaters die moderne Stadtwohnung seiner Ex-Frau. Und wie er für die Tourist:innen auftritt, muss sie als Angestellte für ihren Chef bei Besuchen von Geschäftspartnern mongolische Lieder singen.
Aber auch die Folgen des Klimawandels werden sichtbar, wenn mehrfach der ausbleibende Niederschlag und die Dürre angesprochen werden, gleichzeitig kommt mit einer Mine ähnlich wie in Byambasuren Davaas "Die Adern der Welt" (2020) auch die Verdrängung der Bevölkerung durch Bergbauprojekte ins Spiel.
Im Gegensatz zu Davaas Film spielt "To Kill a Mongolian Horse" aber nicht in der autonomen Republik Mongolei, sondern in der zu China gehörenden Inneren Mongolei. So geht es Saina auch um die Bewahrung der mongolischen Identität, von der er befürchtet, dass sie sein kleiner Sohn durch den Besuch eines Kindergartens, in dem er Chinesisch und Englisch lernt, zu verlieren droht.
Dieses Verschwinden einer Welt und die Globalisierung werden aber auch sichtbar, wenn Saina bei der Bewerbung um einen Job als Reitlehrer abgelehnt wird, da man jemand suche, der nach westlicher Art reite und er doch nur auf mongolische Art reiten könne.
Dazu kommen die körperlichen Gefahren, die die Reitshows mit sich bringen. Schon in der ersten Szene prüft Saina so eine Verwundung an der Schulter, später wird er von einem Pferd gebissen und sein Freund wird nach einem Unfall mit einem Pferd schwerverletzt im Krankenhaus liegen.
Trotz dieser vielen Themen wirkt "To Kill a Mongolian Horse", der beim Filmfestival von Venedig in der Sektion Giornate degli Autori mit dem Preis fürs beste Drehbuch und die beste Regie ausgezeichnet wurde, nie überladen, denn unaufgeregt erzählt Xiaoxuan Jiang.
Genau ist der Blick der Debütantin, die als Tochter eines Pferdezüchters in der Inneren Mongolei aufwuchs und an der New York University Tisch School of the Arts Film studierte, auf die Lebensbedingungen und eindrücklich vermittelt sie in grandiosen Totalen (Kamera: Tao Kio Qiu) die Rauheit der winterlichen Steppe. Bedauern kann man hier freilich, dass dieser Film nicht in Cinemascope-Format gedreht wurde, das die Weite der Landschaft noch stärker zur Geltung gebracht hätte.
Ruhig ist auch der Erzählrhythmus in den Innenszenen. Keine schnellen Schnitte gibt es hier, sondern immer wieder lässt Jiang ihren Figuren in langen statischen halbtotalen Einstellungen Raum und Zeit und verzichtet auf eine Schuss-Gegenschussstrategie. Allein durch die Länge der Einstellungen und den langsamen Erzählrhythmus wird dabei die Trauer über das Verschwinden der Traditionen spürbar.
Assoziationen an den amerikanischen Post-Western kann dabei dieser Blick auf die touristischen Reitshows wecken. Wie nämlich die Verwundungen Sainas an den Rodeo-Reiter in Chloe Zhaos "The Rider" (2017) erinnern, so ruft speziell das eindrückliche Schlussbild Erinnerungen an Sidney Pollacks "The Electric Horseman" (1979) wach.
Wie sich nämlich im US-Film Robert Redford als Ex-Rodeo-Reiter im mit Glühlampen illuminierten Cowboykostüm auf seinem Pferd einem Werbeauftritt entzieht, so reitet hier Saina gelassen zwischen Autos auf einer vielbefahrenen Stadtstraße und erzeugt bewusst einen Stau. Beide Filme verbindet so der bittere Blick auf Traditionen, die verschwinden beziehungsweise kommerzialisiert und zum Spektakel degradiert werden.
Gleichzeitig erzählt Jiang aber auch von einer Männlichkeit, die sich im Gegensatz zur einzigen Frau im Film schwer tut, sich an die Veränderungen anzupassen. Während Saina am alten Lebensstil festhalten will, mit teils wütendem, teils witzigem Protest Widerstand leistet und sich wie sein Vater zunehmend in Alkohol flüchtet, spielt seine Ex-Frau offensichtlich mit. Dass sie dabei stets Befehle ihres Chefs ausführen muss, sagt freilich wieder Einiges aus über die Geschlechter- und Machtverhältnisse dieser sich im Umbruch befindenden Gesellschaft am Rand des Reichs der Mitte.
To Kill a Mongolian Horse Malaysia / Japan / Südkorea / Hongkong / Japan / USA 2024 Regie: Xiaoxuan Jiang mit: Saina, Undus, Qilemuge, Tonggalag, Qinartu Länge: 97 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "To Kill a Mongolian Horse"
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