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Fiore mio

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 5 Tagen
  • 4 Min. Lesezeit
"Fiore mio": Beglückender poetischer Dokumentarfilm über Natur und Menschen im Monte-Rosa-Massiv
"Fiore mio": Beglückender poetischer Dokumentarfilm über Natur und Menschen im Monte-Rosa-Massiv

Paolo Cognetti bricht von seiner Hütte im Aostatal immer wieder ins Monte-Rosa-Massiv auf, nicht nur um die Natur zu genießen, sondern auch um sich mit Wirt:innen der Berghütten zu unterhalten: Ein poetischer Dokumentarfilm, der mit seinem ruhigem Erzählrhythmus und seinen großartigen Bildern tief in eine Welt eintauchen lässt, in der Mensch und Natur eine Einheit zu bilden scheinen.


Schon mit seinem preisgekrönten Roman "Le otto Montagne" ("Acht Berge", 2027) und dessen Verfilmung durch Felix Van Groeningen und Charlotte Vandermeersch (2022) hat der italienische Autor Paolo Cognetti Leser:innen und Kinozuschauer:innen in ein abgeschiedenes Bergdorf im Aostatal entführt. In seiner ersten eigenen Regiearbeit seit dem 2006 entstandenen, knapp einstündigen "The Wrong Side of the Bridge" steht er nun selbst im Mittelpunkt.


Nach Andrea Laszlo De Simones 2017 veröffentlichtem Song "Fiore mio" hat er seinem Dokumentarfilm den Titel gegeben, doch Blumen gibt es in den 80 Minuten kaum zu sehen. Ausgehend vom versiegenden Wasser des Brunnens seiner auf 1700 Metern gelegenen Hütte bricht Cognetti nämlich mit seinem Hund Laki als treuem Begleiter mehrfach ins vegetationsarme, von Felsen und Gletschern dominierte Monte-Rosa-Massiv auf, um zu erforschen, woher das Wasser eigentlich kommt. Seit seiner Kindheit ist der 47-jährige gebürtige Mailänder mit diesen Bergen vertraut und man spürt in jeder Einstellung, wie sehr diese für ihn im Sinne des Titelsongs "meine Blume, die Blume meiner Seele" sind.


Die Wanderungen, die sich vom Frühsommer, in denen der Aufstieg noch mit Tourenski erfolgt, bis in den Herbst spannen, bieten dem Bestsellerautor die Möglichkeit die atemberaubende, unberührte Natur ebenso wie die Kulturlandschaft ins Bild zu rücken und mit den Wirt:innen von drei Berghütten Gespräche zu führen.


Die Steinhäuser der Walser mit ihren Dächern aus Granitplatten und eine aufgelassene Alp fängt die Kamera von Ruben Impens ebenso ein wie prächtige Lärchenwälder und die vergletscherten Gipfel oder Steinböcke, Gämsen, einen Fuchs und ein Murmeltier, denen Cognetti bei seinen Wanderungen begegnet. Eindrücklich zeigen sich bei diesen Aufnahmen, deren Ausstrahlung durch die feinfühlige Musik von Vasco Brondi gesteigert wird, auch die Möglichkeiten moderner kleiner Kameras und Drohnen, mit denen Cognetti bei seinen Aufstiegen leichtfüßig aus unterschiedlichen Perspektiven begleitet werden kann.


Gespräche mit Bekannten bieten aber auch Einblick in die Walsersprache "Titsch", klären auf, dass der Name "Monte Rosa" nichts mit der Farbe Rosa zu tun hat, sondern vielmehr von "rouja" für Felsen stammt und auf Titsch das Massiv nur "El gletscher" genannt wird. Beiläufig vermittelt "Fiore mio" aber solche Informationen, wichtiger sind dem Film die Eindrücke und die Begegnungen.


Zu diesen Wanderungen und Naturbildern kommen als zweite Ebene die Gespräche auf den Hütten. Cognetti selbst hält sich dabei zurück. Auf das ursprünglich geplante Voice-over mit Texten aus seinem Tagebuch hat er schlussendlich verzichtet und lässt den Hüttenwirt:innen viel Raum, um über ihre Sicht vom Leben und ihre Erfahrungen zu erzählen.


So begegnet er auf der Oresteshütte (2625 m) dem alten Arturo, mit dem er als Kind die ersten größeren Bergtouren unternahm. Wird diese Hütte von Arturos Tochter geführt, die in der Bergwelt in Yoga ihr spirituelles Fundament und Ruhe findet, so kümmert sich auf der Quintino Sella Hütte (3585 m) der Nepalese Sete um den Betrieb. Während er von seinen Erfahrungen als Sherpa im Himalaya und den dortigen Gefahren erzählt, berichtet die junge Hüttenwirtin der Mezzalama Hütte (3036 m), dass sie eigentlich immer am Meer leben wollte und während ihrer Zeit in Irland bei McDonalds arbeitete. Offen lässt sie, ob sie auf der Hütte länger als eine Saison bleiben wird.


Cognetti presst keine zwingende Dramaturgie in seinen Film hinein, sondern lässt diese Begegnungen und Erzählungen stehen, ohne sie weiterzuentwickeln. Befreit wirkt sein Film in diesem Verzicht auf ein striktes Konzept. Nichts wird hier den Zuschauer:innen aufgezwungen, sondern lässt ihnen Raum, um zu schauen, hinzuhören, durchzuatmen, zu staunen und in den Rhythmus und die Ruhe dieser von der modernen Zivilisation unberührten Welt einzutauchen.


Diese unaufgeregte Erzählweise, der lockere Wechsel zwischen Naturaufnahmen und Gesprächen verleiht "Fiore mio" seine ganz eigene Stimmung und seinen Reiz. Nur am Rand wird so auch der Klimawandel angesprochen und auch auf spektakuläre Bilder von Eisabbrüchen wird verzichtet. Vielmehr beschwört Cognetti mit seinem sehr sinnlichen und empathischen Film intensiv ein Gefühl für die Schönheit der Natur und den Traum von einer Harmonie von Mensch und Natur.


Auch wenn das Versiegen des Wassers im Tal und gegen Ende Bilder vom schmelzenden Eis, von Gletscherschliffen und weiten Karfeldern unübersehbar vom Klimawandel künden, so tritt Cognetti doch nie als Mahner und Warner auf. Aber gerade wie er sich darauf beschränkt, die sich ändernde Natur mit der Kamera einzufangen und zu dokumentieren und es den Zuschauer:innen überlässt, sich darüber Gedanken zu machen und Schlüsse zu ziehen, macht "Fiore mio" zu einem beglückenden Erlebnis.

 

 

Fiore mio  Italien / Belgien 2024 Regie: Paolo Cognetti Dokumentarfilm mit Paolo Cognetti, Remigio Vicqueri, Marta Squinobal, Arturo Squinobal, Corinne Favre, Sete Tamang Länge: 80 min.



Läuft derzeit in den deutschen und Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen. - Ab 17.10. in den österreichischen Kinos.

Kinothek extra in der Kinothek Lustenau: Mi 10.12., 20 Uhr + Mo 15.12., 18 Uhr



Trailer zu "Fiore mio"



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