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Drei Kilometer bis zum Ende der Welt - Trei kilometri până la capătul lumii

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 18. Sept.
  • 3 Min. Lesezeit
"Drei Kilometer bis zum Ende der Welt": Beklemendes rumänisches Drama über Homophobie, Korruption und die Macht der Kirche
"Drei Kilometer bis zum Ende der Welt": Beklemendes rumänisches Drama über Homophobie, Korruption und die Macht der Kirche

In einem Dorf im rumänischen Donaudelta erregt nicht ein homophober Angriff auf einen Jugendlichen, sondern die homosexuelle Orientierung des Opfers Bewohner:innen und Eltern: Emanuel Pârvu gelang mit seinem in Cannes mit der Queer Palm ausgezeichneten dritten Spielfilm ein unaufgeregtes, aber konzentriertes und packendes Drama, das von einem großartigen Ensemble getragen wird.


Weit erstreckt sich das Schwarze Meer vor der Küste des kleinen Dorfs im rumänischen Donaudelta. Doch dieser Weite der ersten Einstellung stehen die engen gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber. In langen statischen Einstellungen fängt Emanuel Pârvu zunächst die familiäre Situation des 17-jährigen Adi (Ciprian Chiujdea) ein, der nach dem Sommer ein Studium beginnen will.


Der Vater (Bogdan Dumitrache) wünscht, dass er die Marine-Akademie besucht, doch Adi träumt von einer Ausbildung zum Schauspieler und während er lieber ins ferne Bukarest möchte, drängen die Eltern ihn im nahen Tulcea zu studieren. Sichtbar wird aber auch die prekäre finanzielle Situation der Familie, hat der Vater doch beim Dorfbonzen Zentov Schulden.


Man sieht zwar, wie Adi auf einer nächtlichen Straße mit einem jungen Studenten aus Bukarest sehr vertrauten Umgang hat, doch ausgespart wird, was danach passiert. Körperlich schwer lädiert kehrt der Teenager jedenfalls nach Hause zurück. Der Übergriff wird angezeigt, Adi ungewöhnlicherweise in Gegenwart des Polizeichefs und der Eltern von einer Ärztin untersucht und seine Verletzungen genau protokolliert.


Nüchtern dokumentiert Pârvu auch dieses Geschehen in langen statischen Einstellungen. Auf Musik wird konsequent verzichtet, erst zum Nachspann setzt sie ein. In diesem Verzicht auf Musik ebenso wie in den langen statischen Einstellungen erinnert "Drei Kilometer ..." an die Filme von Cristian Mungiu, in dessen "Graduation" (2016) Pârvu mitspielte. Doch der 46-jährige Schauspieler und Filmregisseur hält nicht rigoros und verbissen an einem Stil fest, sondern zeigt sich formal flexibel, als die Hintergründe der Tat bekannt werden und es auch darum geht Emotionen nach außen zu kehren.


Bald sind die beiden Söhne des mächtigen Zentov nicht nur als Täter ausgeforscht, sondern gestehen freimütig Adi verprügelt zu haben, weil sie ihn bei leidenschaftlichen Küssen mit dem Studenten aus Bukarest beobachtet haben. Das Opfer wird so zum Täter gemacht, denn auch – und vor allem – Adis Eltern stellen sich nun gegen ihren Sohn, wollen ihn unbedingt "von der Krankheit heilen", deren Bekanntwerden im Dorf für einen Skandal sorgen würde.


Durch Fokussierung auf Adi, seine Eltern, den Polizeichef und den mächtigen Zentov sowie den Pfarrer des Dorfs entwickelt Pârvu dicht die Handlung. Zu Adi hält nur seine Freundin Ilinca. Von ihr erhält er moralische Unterstützung, doch ausrichten kann sie gegen die Mächtigen des Dorfs nichts.


Während Vater und Mutter Adi ans Bett fesseln und ihm den Mund knebeln, will der Pfarrer mit Gebet und Weihrauch "die Krankheit" austreiben. Intensiv werden dabei auch die psychischen Wunden und die innere Erregung Adis, aber auch die Wut der Eltern nach außen gekehrt, wenn in emotional aufgeladenen Szenen die ruhige Erzählweise durch schnellen Schnitt und unruhige Handkamera abgelöst wird.


Zentov wiederum verspricht einerseits Adis Vater seine Schulden zu erlassen, falls er die Anzeige zurückzieht, und andererseits dem Polizeichef für dessen angestrebte vorzeitige Pensionierung zu sorgen, falls er die Anzeige nicht weiterleitet.


So zurückhaltend, aber mit größter Konzentration das großartige Ensemble spielt, so atmosphärisch dicht bettet Pârvu die Handlung in ein genau, aber unaufdringlich eingefangenes ländliches Milieu ein. Die wild wuchernde Natur des Flussdeltas und die lichtdurchfluteten Sommerbilder des im Cinemascope-Format gedrehten Films stehen dabei im Kontrast zur gesellschaftlichen Enge des Dorfs, in dem die Zeit abgesehen von Smartphones mit nicht asphaltierten Lehmstraßen, Röhrenfernsehern und einfachen Häusern in den 1960er oder 1970er Jahren stehen geblieben zu sein scheint.


Aus diesem Hintergrund heraus, der gewissermaßen das Fundament von "Drei Kilometer …" ist, entwickelt Pârvu ein ebenso unaufgeregtes wie beklemmendes Drama über Homophobie. Gleichzeitig wird mit messerscharfem Blick ein präzises Bild eines Dorfes gezeichnet, in dem einerseits mit Freunderlwirtschaft und Korruption möglichst alles intern geregelt und die Wahrheit unter den Tisch gekehrt wird, andererseits die Macht der Eltern und der Kirche ungebrochen ist.


Dennoch scheint mit dem Eintreffen einer Beamtin des Jugendamts die Wahrheit ans Licht zu kommen. Engagiert recherchiert sie, ist aber letztlich in ein System eingebunden, in dem sie Anweisungen ihrer Vorgesetzten, die wiederum bestens vernetzt sind, befolgen muss.


Pârvu schlägt insgesamt zwar weder inhaltlich noch formal neue Wege ein, dennoch packt sein in Cannes 2024 mit der Queer Palm ausgezeichnetes Drama dank des ebenso ruhigen wie genauen Blicks und der großartigen schauspielerischen Leistungen von der ersten bis zur letzten Minute.



Drei Kilometer bis zum Ende der Welt - Trei kilometri până la capătul lumii

Rumänien 2024

Regie: Emanuel Pârvu

mit: Ciprian Chiujdea, Bogdan Dumitrache, Laura Vasiliu, Valeriu Andriuță, Ingrid Micu

Länge: 105 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.



Trailer zu "Drei Kilometer bis zum Ende der Welt"



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