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AutorenbildWalter Gasperi

Zwischen Skrupellosigkeit und Kampf um Unabhängigkeit: Frauen im Film noir


Mildred Pierce (Michael Curtiz, 1945) (c) Warner Bros. Entertainment Inc.

Der Film noir der 1940er und 1950er Jahre brachte mit selbstständigen Frauen, die schwache Männer ins Verderben stürzen, einen neuen Frauentypus ins Kino, der freilich in Beziehung zu gesellschaftlichen Entwicklungen steht. Das Stadtkino Basel widmet diesen Frauenfiguren anlässlich der Premiere von Luzia Schmids Dokumentarfilm "Trained to See – Women at War" eine Filmreihe.


Immer wieder konnten Frauen in Kriegszeiten, in denen die Männer an der Front standen, durch Übernahme neuer, bislang männlich dominierter Aufgaben in der Heimat ihre Stellung verbessern. In vielen kriegsführenden Ländern erhielten so die Frauen nach Ende des Ersten Weltkriegs das Wahlrecht – bezeichnenderweise aber nicht in der neutralen Schweiz.


Auch während des Zweiten Weltkriegs veränderten sich die Rollenbilder. Luzia Schmid dokumentiert diese neue Unabhängigkeit im Dokumentarfilm "Trained to See – Women at War", in dem sie drei US-Kriegsreporterinnen porträtiert. Aber auch für die Frauen, die zu Hause blieben, änderte sich die Welt.


Aufgrund der Abwesenheit der Männer konnten sie nicht auf Küche und Kindererziehung zurückgedrängt werden, sondern mussten zwangsläufig selbst für den Lebensunterhalt sorgen und dabei auch Arbeiten in der Rüstungsproduktion übernehmen. Gleichzeitig erhielten sie aber auch bislang den Männern vorbehaltene höher bezahlte Jobs.


Mit Kriegsende und Rückkehr der Männer drohten die Frauen diese soeben gewonnene Unabhängigkeit aber wieder zu verlieren, gleichzeitig taten sich die vielfach psychisch und physisch verwundeten Kriegsheimkehrer schwer, sich in der Heimat wieder einzufinden und fühlten sich schwach gegenüber den Frauen. Wie William Wylers "The Best Years of Our Lives" (1946) von diesen Kriegsfolgen für die Männer erzählt, so erzählt Rainer Werner Fassbinder in "Die Ehe der Maria Braun" (1978), wie die Selbstständigkeit der Frau in der Nachkriegs-BRD sukzessive eingeschränkt wird, bis metaphorisch mit dem deutschen Fußball-WM-Sieg 1954 die Männerherrschaft endgültig wieder zementiert wird.


Im amerikanischen Kino spiegelt sich die Desillusionierung nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie der Widerstand der Frauen gegen die Zurückdrängung in die frühere Rolle als Hausfrau und Mutter im Film noir. Familien mit Kinder gibt es in dieser Genre übergreifenden Stilrichtung bezeichnenderweise kaum, dafür immer wieder erkaltete Ehen, die für die Frauen zum Gefängnis geworden sind.


Verführerische Frauen gab es mit den Vamps zwar schon früher. Man denke nur an Louise Brooks, die in G.W. Pabsts "Die Büchse der Pandora" (1929) Männer ins Verderben stürzt, oder Marlene Dietrich, die in Josef von Sternbergs "Der blaue Engel" (1930) als Lola Lola die bürgerliche Existenz eines biederen Professors zum Zerbröckeln bringt oder in dem ebenfalls von Sternberg gedrehten "Shanghai Express" (1932) als Kurtisane und Abenteurerin einem britischen Offizier das Leben rettet.


Handelte es sich dabei aber immer um am Rand der Gesellschaft stehende Frauen wie Prostituierte, Tänzerinnen oder Nachtclubsängerinnen, so sind die Femmes fatales des Film noir großteils dem mittleren und gehobenen Bürgertum zuzuordnen.


Von der prototypischen Femme fatale Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck) in Billy Wilders "Double Indemnity" (1944), der schon zur Kriegszeit entstand, über Tay Garnetts "The Postman Always Rings Twice" (1946) bis zu Orson Welles´ "The Lady from Shanghai" (1946) stehen so immer wieder Ehefrauen im Zentrum, die sich ihres Mannes entledigen wollen. Dabei setzen sie gezielt ihre Reize ein, um schwache Männer zu manipulieren und als Helfer für ihren Mordplan zu gewinnen.


Fern ist ihnen freilich der Gedanke, sich nach geglückter Tat erneut in die Abhängigkeit eines Mannes zu begeben, vielmehr dienen die Männer nur zur Umsetzung ihrer Pläne: "I killed him for money and a woman. I didn´t get the money and I didn´t get the woman" erkennt folglich auch desillusioniert der Versicherungsvertreter Walter Neff in "Double Indemnity".


Keine Chance hat gegen die Verführungskraft einer solchen Frau in Jacques Tourneurs "Out of the Past" (1947) eine bodenständige und grundsolide junge Frau aus der Kleinstadt. Gegenpol zur Femme fatale ist diese, die als "marrying kind" auf eine Heirat aus ist und den Protagonisten auf die konventionelle Rolle eines Ehemanns und Vaters beschränken würde. Obsessiv verfängt sich so der von Robert Mitchum gespielte Jeff Bailey im Netz der Leidenschaft, auf das auch die Fischernetze in Acapulco verweisen, auch wenn er weiß, dass diese Affäre ihn in den Abgrund stürzen wird.


Auch Rita Hayworths "Gilda" (Charles Vidor, 1946) gehört auf den ersten Blick zu den klassischen Femmes fatales, die alle Mittel einsetzen, um Männer zu verführen, erweist sich dann aber als treuherzige Frau. So ist ihr und Glenn Ford in diesem Film, der sich auch durch den Glamour und die Gesangs- und Tanznummern von der Rau- und Dunkelheit der meisten Film noir abhebt, auch ein Happy-End gegönnt.


Neben der Femme fatale und dem "marrying kind" gibt es im US-Kino dieser Zeit – oder genauer im Kino des Howard Hawks - aber auch noch Frauen, die den Männern auf Augenhöhe begegnen. Gerade mal 20 Jahre alt war Lauren Bacall, als sie in "To Have and Have Not" (1944) in ihrer ersten Filmrolle an der Seite von Humphrey Bogart spielte, doch mit ihrem Charme weckte sie nicht nur im Film Bogarts rauen Seemann aus seiner Lethargie und ließ ihn ein soziales Gewissen entwickeln, sondern auch auf privater Ebene funkte es zwischen den beiden.


Der klassischen Hawksian Woman in "To Have and Have Not" steht mit Ingrid Bergman in "Notorious" (1946) eine ebenso klassische Hitchcock-Blondine gegenüber. Ein ängstlicherer Frauentyp ist dies, dennoch lässt sie sich aus Liebe zu Cary Grant mit einem nach Rio de Janeiro geflüchteten Nazi ein und spioniert unter Lebensgefahr in dessen Haus.


Gemeinsam ist "Gilda", "To Have and Have Not" und "Notorious", dass sie im Gegensatz zum klassischen Film noir nicht in einer meist nächtlichen und verregneten amerikanischen Großstadt – vor allem in L.A. -, sondern in Buenos Aires und Montevideo ("Gilda"), auf Martinique ("To Have and Have Not") und Rio de Janeiro ("Notorious") spielen.


Untrennbar mit der amerikanischen Gesellschaft verbunden ist dagegen "Mildred Pierce" (1945), zu dem James M. Cain ebenso wie zu "Double Indemnity" und "The Postman Always Rings Twice" die Vorlage lieferte. Michael Curtiz erzählt darin von einer alleinerziehenden Mutter (Joan Crawford), die alles gibt, um ihrer Tochter eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Der zunehmenden Unabhängigkeit, die sie sich mit dem Aufstieg von der Kellnerin zur Besitzerin einer Restaurantkette verschafft, stehen dabei der Egoismus und maßlose Materialismus ihrer Tochter gegenüber.


So lassen sich die Frauenfiguren im Film noir nicht auf die Femme fatale reduzieren, sondern erweisen sich als vielschichtiger und ambivalenter. Gemeinsam ist ihnen aber wohl das Streben nach Unabhängigkeit, sei es mit unermüdlicher Arbeit ("Mildred Pierce") oder eben mit krimineller Energie und Verführungskünsten.


Weitere Informationen zur Filmreihe im Stadtkino Basel und Spieldaten finden Sie hier.


Trailer zu "Mildred Pierce"




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