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  • AutorenbildWalter Gasperi

Wheel of Fortune and Fantasy


Drei Geschichten um jeweils drei Personen, um die Liebe, um Enttäuschungen und um den Zufall. – Trügerisch einfach ist Ryusuke Hamaguchis an die Filme Éric Rohmers erinnernder Episodenfilm, gewinnt aber in der Konzentration auf die Charaktere und ihre Dialoge große Dichte und Tiefe.


Mit "Ryusuke Hamaguchis Kurzgeschichten" überschreibt der 41-jährige Japaner, dessen jüngster Film "Drive My Car" heuer den Oscar für den besten internationalen Film gewann, seinen bei der Berlinale 2021 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten achten Spielfilm. "Magie (oder etwas weniger Vorhersehbares"), "Bei offener Tür" und "Noch einmal" sind die drei Episoden überschrieben. Gemeinsam ist ihnen die Fokussierung auf ganz wenige Personen, auf lange Dialoge in Echtzeit und Beziehungsverwicklungen als Thema.


Ruhig und lakonisch trocken ist Hamaguchis Blick. In minutenlangen Einstellungen lässt er seinen Figuren viel Zeit. Weigehend statisch bleibt die Kamera von Yukiko Iioka, auch Klaviermusik wird nur reduziert in dialoglosen Momenten eingesetzt. Die Farbpalette wird von sanften Beigetönen dominiert. Keine breite Erzählung wird aufgebaut, sondern ganz auf den Augenblick konzentriert sich Hamaguchi. Nichts soll hier von den Figuren ablenken, in deren Dialogen und Reaktionen die emotionalen Verwicklungen aufgedeckt werden.


Begeistert erzählt so Tsugumi (Hyunri) nach einem Fotoshooting bei der Taxifahrt ihrer Kollegin Meiko (Kotone Furukawa) ausführlich von der Begegnung mit einem Mann und der Erotik des ersten, endlos langen Gesprächs. Rasch erkennt Meiko, dass es sich dabei um ihren Ex-Freund Kazuaki (Ayumu Nakajima) handelt. Er hat sie verlassen, weil sie ihn mehrfach betrogen hat. Doch die Schilderung Tsugumis lässt ihr Begehren neu aufflammen. Meiko fährt zu Kazuaki, konfrontiert ihn mit der Erzählung Tsugumis und versucht ihn zurückzugewinnen.


Der Student Sasaki (Shouma Kai) wiederum will die Karriere eines Professors (Kiyohiko Shibukawa) zerstören, der ihn bei einer Prüfung durchfallen ließ. Dazu soll Sasakis verheiratete Geliebte Nao (Katsuki Mori) den Professor in seinem Büro verführen, doch dieser reagiert beherrscht, bittet Nao aber das aufgenommene Gespräch ihr per E-Mail zu schicken.


Und in der letzten Episode begegnen sich schließlich zwei vermeintliche Klassenkameradinnen 20 Jahre nach ihrem Schulabschluss zufällig auf einer Rolltreppe wieder. Im Gespräch entdecken sie aber langsam, dass sie sich getäuscht haben und sie sich in Wahrheit gar nicht kennen.


Trügerisch einfach ist dieser Film, erinnert darin ebenso an die Werke des Südkoreaners Hong Sang-soo ("The Woman Who Ran", "Introduction") wie die Beziehungsfilme Éric Rohmers, den Hong ebenso wie Hamaguchi als ihr Vorbild bezeichnen. Doch gerade durch diese Einfachheit und seinem Minimalismus gelingt es "Wheel of Fortune and Fantasy" in die Tiefe vorzudringen.


In Gang kommen dabei die Geschichten jeweils durch einen Zufall: die zufällige Erzählung Tsugumis im Taxi, die zufällige Fernseh-Nachricht der Preisverleihung an den Professor, die Sasaki auf die Idee der Liebesfalle bringt, die zufällige Begegnung der einstigen Klassenkameradinnen.


Von diesem Ausgangspunkt aus spinnt Hamaguchi sein Netz, lässt das zentrale Gespräch zunächst in Echtzeit ablaufen, um dann mit einem Zeitsprung von einigen Wochen oder auch Jahren zu zeigen, welche Folgen diese Begegnungen zeitigten. Dabei erlaubt er sich aber auch die Szene zu wiederholen und anders ablaufen zu lassen. – Es sind eben auch Fantasien darüber, wie unterschiedlich sich Beziehungen aufgrund eines Zufalls entwickeln können.


Ein Wunder ist dabei, wie leicht dieser Film bleibt, nichts Sprödes oder Verkopftes hat, zwar seine Figuren stets ernst nimmt, aber gleichwohl nie dramatisch wird, fast schon verspielt bleibt. Auch diese Leichtigkeit verbindet "Wheel of Fortune and Fantasy" mit den Filmen Rohmers oder auch mit "Das Mädchen und die Spinne" der Zürcher-Brüder.


Nicht große Geschichten sind eben nötig für einen beglückenden und berührenden Film, sondern vielmehr der genaue Blick und das Gespür für Figuren, für ihre Sehnsüchte, ihre Einsicht, dass sie etwas verpasst haben, und ihrem Versuch nochmals eine Wende in ihrem Leben herbeizuführen.


Wheel of Fortune and Fantasy Japan 2021 Regie: Ryusuke Hamaguchi mit: Kotone Furukawa, Kiyohiko Shibukawa, Katsuki Mori, Fusako Urabe, Aoba Kawai Länge: 121 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen

Trailer zu "Wheel of Fortune and Fantasy"


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