Melt
- Walter Gasperi

- vor 1 Tag
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Nikolaus Geyrhalter blickt in seinem Dokumentarfilm in langen statischen Totalen und frontal in die Kamera gesprochenen Statements auf Schneelandschaften zwischen Japan und den französischen Alpen und zwischen Kanada und der Antarktis und spürt dem Rückgang des weißen Goldes nach.
Nachdem Nikolaus Geyrhalter in "Erde" (2019) in monumentalen Bildern der Ausbeutung des Bodens nachspürte und in "Matter Out of Place" (2022) Einblick in den Umgang mit Müll bot, widmet er sich in "Melt" dem Schnee. Gemeinsam ist allen drei Filmen nicht nur, dass sie mit verschiedenen Schauplätzen einen Bogen um die ganze Welt spannen, sondern auch die für diesen Regisseur typische Inszenierung.
Lange statische und wortlose Totalen der Landschaften stehen in dem zwischen 2021 und 2025 gedrehten Dokumentarfilm neben kurzen Statements von in der jeweiligen Region lebenden oder arbeitenden Menschen. So gewaltige Schneemassen Geyrhalter, der auch selbst die Kamera führte, dabei im japanischen Tateyama einfängt und so endlos weit die Schneewüste um die deutsche Forschungsstation Neumayer 3 in der Antarktis auch ist, so ist doch überall der Rückgang des Schnees und der Klimawandel spürbar.
In Japan sprechen die Bewohner:innen von der Veränderung des Wetters in den letzten Jahren, von heißeren Sommern und weniger gleichmäßigem, dafür heftigerem Schneefall im Winter, am Dachstein-Gletscher werden die Skilifte abgebaut, weil deren Betrieb nicht mehr rentabel ist, während in Val d`Isere 650 Schneekanonen dafür sorgen sollen, dass mit Kunstschnee das Bild einer heilen Winterwelt und der Wintertourismus aufrecht erhalten werden. Immer wieder wird so auch schneereichen Regionen als Lebensraum, der die Bewohner:innen vor große Herausforderungen stellt, Schnee und Eis als Tourismusfaktor gegenübergestellt.
In gewohnter Manier bietet Geyrhalter aber keinen informationsreichen Dokumentarfilm, sondern setzt vor allem auf die Kraft seiner großartigen und sorgfältig kadrierten Bilder, denen er Zeit lässt, um zu wirken. Verschwindend klein sind nicht nur Menschen, sondern auch Bulldozer angesichts der 16 Meter hohen Schneewände in Japan oder die Pistenraupen, die auf dem Aletschgletscher zwecks Snowfarming ihre Kreise ziehen. Durch Furchen in der Gletscherfläche soll hier erreicht werden, dass der Neuschnee sich besser setzen kann und damit länger erhalten bleibt.
Eher wenig bringen zwar ein Blick auf einen verschneiten Osttiroler Bergbauernhof und die Aussagen der Bäuerin über den Rückgang des Schnees, doch die Führung von Tourist:innen durch eine Gletscherhöhle des isländischen Vatnajökull, des größten Gletschers Europas, in dem auch im Winter die Eismassen tauen, bleibt ebenso haften, wie die Bilder vom Skizirkus in Val d´Isere.
Kontrapunkt zu den vielfach menschenleeren und stillen anderen Momentaufnahmen sind diese Bilder, wenn Massen die Pisten hinuntergleiten, eine Band bei der Talstation den Gästen mit dröhnender Musik einheizt, nachts eine Lichtshow auf die Bergwand projiziert und ein spektakuläres Feuerwerk gezündet wird. Spürbar wird freilich, dass dieser künstliche Zirkus nur die Natur zerstört, aber nie Ersatz dafür bieten kann, wenn ein Mitarbeiter erklärt, dass bei Naturschnee jedes Schneekristall einzigartig sei, beim Kunstschnee dagegen alle gleich.
Und während in den Alpen der Schnee Grundlage für den Wintertourismus ist, dienen die zugefrorenen Seen und Flüsse in der nordwestkanadischen Inuvik-Region den Bewohner:innen als wichtige Verkehrsverbindungen. Bildschön sind aber auch die Aufnahmen von Eisblöcken auf Island, vor denen Tourist:innen für Fotos posieren, beunruhigen aber gleichzeitig, wenn sie langsam schmelzen oder im Meer versinken.
Wie in "Erde" und "Matter Out of Place" arbeitet Geyrhalter so auch in "Melt" mit dem Spannungsverhältnis von grandioser Natur und zerstörerischen menschlichen Eingriffen, wenn immer wieder Pistenraupen und Bulldozer durch die weiten Schneeflächen ihre Kreise ziehen. Der Regisseur selbst beschränkt sich dabei auf die Beobachterposition. Er meldet sich nur ganz selten mit Zwischenfragen zu Wort und erst ganz am Ende wird der warnende Gestus plakativ, wenn ein Forscher in der Antarktis ein drastisches Bild von den katastrophalen Folgen eines möglichen Schmelzens des Polareises zeichnet.
Melt
Österreich 2025
Regie: Nikolaus Geyrhalter
Dokumentarfilm
Länge: 127 min.
Läuft jetzt in den österreichischen Kinos, z.B. im Kino GUK in Feldkirch.
Trailer zu "Melt"




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