Am Beispiel von sieben Großbaustellen der westlichen Welt erkundet Nikolaus Geyrhalter die Eingriffe des Menschen in die Natur. – Ein bildmächtiger Dokumentarfilm, der sich auch ohne verbalen Kommentar des Regisseurs zur eindringlichen Kritik an menschlicher Hybris weitet.
Ein Insert informiert darüber, dass Wasser, Erde und Luft täglich zusammen 50 Millionen Tonnen Erde bewegen, der Mensch aber 156 Millionen Tonnen und dass er damit der wichtigste geologische Faktor ist. In sieben, jeweils 15 bis 20 Minuten langen Kapiteln – eine Gliederung, die an die Miniaturen bedrohter Völker in „Elsewhere“ erinnert - dokumentiert Nikolaus Geyrhalter diese Eingriffe.
Auf einen Kommentar verzichtet der österreichische Dokumentarfilmer dabei wie gewohnt, hält in langen statischen Totalen die Erdarbeiten fest und lässt dazwischen in ebenfalls statischen Einstellungen Arbeiter direkt in die Kamera über ihre Arbeit sprechen. Am Beginn stehen dabei immer wieder Luftaufnahmen, die einen Eindruck von der Weite der Landschaft und dem Ausmaß des Eingriffs vermitteln.
Der Planierung eines Berges im kalifornischen San Fernando Valley, um eine 2000 Hektar große Eben zu schaffen, auf der eine neue Stadt errichtet werden kann, steht das Vordringen ins Innere der Alpen beim Bau des Brenner-Basistunnel gegenüber. Verschwindend klein wirkt hier der Mensch immer wieder gegen die gewaltigen Bagger oder den Bohrer, mit dem der Tunnel in den Berg getrieben wird.
Stolz äußern sich die Arbeiter darüber einen Berg versetzen zu können oder über den Nutzen des Tunnels. Als nicht zu vermeidender Kollateralschaden werden die Eingriffe in die Natur betrachtet, Grenzen gebe es jedenfalls für den Menschen keine, immer weiter strebe man.
Spürbar wird freilich schon in diesen Kapiteln, wie gewalttätig diese Eingriffe sind, wie die Erde im wahrsten Sinne verwundet wird, wie ihr Gewalt angetan und sie ausgebeutet wird, wenn die Bagger die Erde aufreißen, oder beim Tunnelbau bei einer Sprengung die Gesteinsbrocken auch direkt gegen die Kamera – und somit gegen den Zuschauer – fliegen.
Verstärkt wird dieses Gefühl in dem musiklosen Film noch durch das brillante Sounddesign von Florian Kindlinger, das den gewaltigen Maschinen auch auf über die akustische Ebene etwas Bedrohliches verleiht.
Aber auch in den Interviews ist immer wieder vom Kampf mit der Erde die Rede, vom mühsamen Abringen der Rohstoffe und ein Arbeiter in der Kupfermine im spanischen Riotinto reflektiert ausführlich über dieses gewalttätige Verhalten des Menschen gegenüber der Natur.
Aber auch die mächtigen Bagger und Förderbänder, die Geyrhalter immer wieder ins Bild rückt, machen deutlich, dass diese Erdbewegungen erst durch die technologische Entwicklung möglich wurden. So wird heute im Marmorsteinbruch von Carrara an einem Tag erledigt, wofür man früher mehrere Monate benötigte.
So genau geplant die einzelnen langen Totalen und der Wechsel zwischen Bildern der Maschinen und Interviews, bei denen Geyrhalter nur hin und wieder aus dem Off Zwischenfragen stellt, sind, so überlegt ist auch der Aufbau des gesamten Films. Wenn nämlich auf die Erdverschiebung an der Oberfläche und den Bau des Brenner-Basistunnels Braunkohletagebau in Ungarn, Marmorgewinnung in Carrara und die Kupfermine von Riotinto folgen, so markiert das auch eine Entwicklung von der Umgestaltung der Erdoberfläche zur Ausbeutung der Erde.
Dass diese menschlichen Eingriffe nicht folgenlos bleiben, wird spätestens in den letzten beiden Kapiteln klar, wenn die Atomlagerung in einem stillgelegten deutschen Salzbergwerk und die Ölgewinnung aus Ölsand im kanadischen McKay dokumentiert werden. Denn das Endlager für Atommüll gilt inzwischen längst nicht mehr als so sicher wie ursprünglich geglaubt, und in McKay ist das gewaltige Areal abgesperrt und der Zutritt ist der indigenen Bevölkerung, die einst hier lebte, verboten, die Flüsse von Chemikalien und Giften, die zum Ölsandabbau eingesetzt werden, verseucht.
Die ruhig beobachtende und kühl dokumentierende Rolle, die die Kamera in den ersten sechs Kapiteln einnahm, wird folglich auch im letzten Abschnitt aufgegeben. Bewegt folgt sie hier zwei Indigenen in das abgesperrte Gebiet und erkundet eine verfallene Arbeitersiedlung, in der einst dieser Raubbau an der Natur begann.
Gleichzeitig stellen diese letzten beiden Kapitel, bei denen einerseits die Geschichte der Menschheit inzwischen das Problem der Atomlagerung bewusst gemacht hat, andererseits die verheerenden Folgen des Ölsandabbaus unübersehbar sind, nicht nur die davor präsentierten Großprojekte nachdrücklich in Frage, sondern sind auch ein entschiedener Appell zu Besonnenheit.
„Erde“ meint eben nicht nur die Erdverschiebungen, sondern mindestens in gleichem Maße – wie es auf einem T-Shirt der indigenen Kanadierin steht - „Mutter Erde“ und ohne je zu moralisieren ist dieser Dokumentarfilm so allein durch seine Bildgewalt eine nüchterne, aber entschiedene Kritik an der hemmungslosen und grenzenlosen Ausbeutung des Planeten, zu der der Mensch inzwischen aufgrund des technologischen Fortschritts fähig ist.
Wird vom 21. bis 25. Mai vom TaSKino Feldkirch im Kino Rio gezeigt. - Weitere Aufführungsorte und Termine finden Sie unter "Aktuell".
Trailer zu "Erde"
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