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On vous croit

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 14 Minuten
  • 3 Min. Lesezeit
"On vous croit": Intensives Gerichtsdrama um einen Sorgerechtsstreit
"On vous croit": Intensives Gerichtsdrama um einen Sorgerechtsstreit

So konzentrierte und intensive 78 Minuten erlebt man im Kino selten: Charlotte Devillers und Arnaud Dufeys zeichnen maximal reduziert und mit dokumentarischer Nüchternheit eine Anhörung in einem Sorgerechtsstreit um zwei Kinder nach.


Der Opulenz, die Blockbuster bieten können, setzt das belgische Regie- und Drehbuch-Duo Charlotte Devillers und Arnaud Dufeys in seinem Debüt äußerste Reduktion entgegen. Schon die erste Großaufnahme von Alice (Myriem Akheddiou) zieht unmittelbar in "On vous croit" hinein.


Die Enge des 4:3-Formats verstärkt ebenso die Nähe und die Unmittelbarkeit wie der folgende Einsatz einer unruhigen Handkamera, wenn Alice versucht, mit immer lauterem Schreien ihren zehnjährigen Sohn Etienne (Ulysse Goffin) zu bewegen, in die Straßenbahn einzusteigen. Doch erst die 17-jährige Tochter Lila (Adele Pinckears) kann den Jungen zum Einlenken bewegen.


Gemeinsam ist das Trio unterwegs zu einem wichtigen Gerichtstermin. Dort findet nämlich eine Anhörung im Sorgerechtsstreit um die beiden Kinder statt. Etienne möchte dabei aber auf keinen Fall seinen Vater sehen. So rennt er im Gerichtsgebäude wieder weg und Alice muss ihn beruhigen. Aber auch Alice ist aufs höchste angespannt und bricht in Panik aus, als ihre beiden Kinder für ein Gespräch mit ihrem Anwalt in einen anderen Raum gebracht werden.


Vom ersten Bild an entwickelt "On vous croit" enorme Dichte und hält diese über seine knappen 78 Minuten aufrecht. Kein Bild zu viel gibt es hier und Co-Regisseurin Charlotte Devillers weiß genau, wovon sie erzählt, kam sie als Krankenpflegerin doch in Kontakt mit solchen Fällen. Aber auch die Besetzung der Anwält:innen mit echten Anwält:innen steigert die Authentizität, nur Alice, ihr Ex-Mann (Laurent Capelluto), die Richterin (Natali Broods) und die beiden Kinder werden von Schauspieler:innen gespielt.


Im Zentrum steht die 55-minütige, in Echtzeit ablaufende Anhörung im Büro der Richterin. Mit drei Kameras wurde diese Szene, bei der die Kinder nicht dabei sind, in einem Durchgang gedreht. Nichts lenkt den Blick von den Protagonist:innen ab. Mit dokumentarischer Genauigkeit filmen Devillers und Dufeys das Procedere. Zunächst legen die Anwältin von Alices Ex-Mann, die auch vor Untergriffen gegen Alice nicht zurückschreckt, und Alices Anwältin sowie der Anwalt der Kinder ihre Sicht der Dinge dar, dann kommen Alices Ex-Mann und Alice selbst zu Wort.


Fast ausschließlich statische Großaufnahmen bestimmen den Film, verstärkt wird dabei noch die Konzentration auf die Gesichter durch das nüchtern weiße Büro und die geringe Schärfentiefe, durch die der Hintergrund in unscharfes milchiges Weiß getaucht wird. Lange Einstellungen verlangen hier den Schauspieler:innen viel ab.


Im Zentrum steht dabei Alice. Minutenlang verharrt die Kamera während der Reden der Anwält:innen immer wieder auf ihrem Gesicht, macht ihre zwischen Anspannung, Verzweiflung und Wut pendelnde Stimmung intensiv erfahrbar, aber auch die Reaktion des Ex-Mannes wird nicht ausgespart.


Trocken könnte es sein, wie hier Rede auf Rede folgt, doch gerade in der radikalen Konzentration auf diese Ausführungen und den Verzicht auf jedes Beiwerk entwickelt "On vous croit" eine Kraft und eine Dichte, die im Kino Seltenheitswert haben. Auch das großartige Sounddesign, das am Beginn mit klopfender Musik die Anspannung und Beunruhigung steigert, während der Anhörung aber zurückgenommen wird, trägt zur schier atemlosen Spannung bei.


Schwere Anschuldigungen erhebt Alice gegen ihren Mann, gegen den auch eine Untersuchung wegen sexuellen Missbrauchs von Etienne läuft. Dennoch stehen hier Aussage gegen Aussage und die Richterin wird eine Entscheidung treffen müssen, die der Film ausspart.


Wie Alice am Ende mit ihren beiden Kindern beim Verlassen des Gerichtsgebäudes direkt auf die Kamera zugeht, die vor dem Trio zurückweichen muss, signalisiert ihre Erleichterung, aber auch eine Entschlossenheit, die sie während dieser nervenaufreibenden Sitzung entwickelt hat.


Nur die letzte Szene führt aus dem Gerichtsgebäude hinaus in ein Fast Food-Restaurant. Erstmals kommen hier auch wirklich Etienne und Lila zu Wort, wenn sie eine Aufnahme von ihrem Gespräch mit dem Anwalt vorspielen. Der Angst, die Etienne darin äußert, dass man ihm und Kindern im Allgemeinen sowieso nicht glauben wird, steht ein bestimmtes "On vous croit" ("Man wird euch glauben") des Anwalts gegenüber. – Die faktenbasierten Schlussinserts, mit denen dieser sensationell kompakte und intensive Film endet, vermitteln allerdings ein anderes Bild und verleihen dem Appell, Aussagen von Kindern ernst zu nehmen und diese nicht nur bei Sorgerechtsprozessen stärker zu berücksichtigen großen Nachdruck.  



On vous croit

Belgien 2025

Regie: Charlotte Devillers, Arnaud Dufeys

mit: Myriem Akheddiou, Ulysse Goffin, Adèle Pinckaers, Laurent Capelluto, Natali Broods

Länge: 78 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.


Trailer zu "On vous croit"



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